Ein Lernzentrum im rumänischen Periam will Roma-Kindern den Schulabschluss ermöglichen.
Mario Sabin will Koch werden - dann kann er den ganzen Tag Langos, also Mehl, Eier und Hefe, frittieren. Das elfjährige Roma-Kind hat genaue Vorstellungen von seiner Zukunft. Sein Ziel will er mithilfe des Lernzentrums für Roma im rumänischen Dorf Periam erreichen.
"Wir wollen den Roma-Kindern eine Perspektive bieten", sagt Crina Morteanu von der "Erste Stiftung", die zusammen mit der Caritas das Projekt im ländlichen Westen Rumäniens finanziert. Dafür wird mit den Kindern vor und nach der Schule im Zentrum gegessen, gespielt und vor allem gelernt. Morteanu ist selbst Romni, wie weibliche Roma richtig genannt werden, und musste sich Vorurteilen wie "Du bist Roma - stiehlst du?" stellen. Als sie den Universitätsabschluss geschafft hatte, waren alle überrascht - am meisten sie selbst. "Ich bin das lebende Beispiel dafür, dass auch Roma Karriere machen können."
Der junge Mario ist inzwischen zu den anderen Kindern gelaufen, die um den großen Tisch im Lernzentrum sitzen. Die Kinder zählen laut bis 100 und bei jedem vollen Zehner werden die Stimmen lauter.
Seit 2008 befindet sich das Zentrum in dem alten Bauernhaus, 53 Kinder werden in zwei Gruppen betreut. "Die Kinder bleiben in der Schule - das ist gut. Doch viel wichtiger ist, dass die Eltern begreifen, wie essenziell Schulbildung für das Leben ihrer Kinder ist", sagt Morteanu. Die Roma hätten wenig Vertrauen in Behörden und hielten daher auch wenig von der Schule.
Damit die Eltern dem Zentrum mehr Vertrauen entgegenbringen, wurde Viorel Veresan angestellt. Er lebt in der Roma-Siedlung und arbeitete früher als Kuhhirte. Jetzt hat er ein Abitur und ist im Büro des Lernzentrums angestellt. "Die Zukunft für uns Roma wird gut", ist er überzeugt. Seit es das Lernzentrum gebe, traue ihnen die Mehrheit der rund 4400 Einwohner in Periam mehr zu. Sie hätten es sogar geschafft, einige Roma an ein großes Unternehmen in der Nähe zu vermitteln. "Wir haben jetzt mehr Möglichkeiten." Ein wichtiger Beitrag sei die Gesetzgebung in Rumänien. "Es gibt einen Roma-Vertreter im Parlament. Außerdem ist an den Schulen und Universitäten ein gewisser Prozentsatz der Plätze für Roma reserviert", sagt Veresan. Das Schwierige daran sei nur, die Roma so weit zu bringen, dass sie die Plätze in Anspruch nehmen könnten.
Es ist Nachmittag geworden in Periam. Mario und seine Freunde aus dem Zentrum sind in der Schule im Rumänisch-Unterricht. Die Lehrerin stellt eine Frage, auf die Mario antworten will. Eifrig streckt er die Hand in die Höhe. Als er aufgerufen wird, geht er stolz zur Tafel. Er schreibt ohne Fehler den Satz: In der Obstschüssel sind: zwei Äpfel, zwei Orangen und zwei Birnen.
Es war nicht immer so, dass die Lehrer die Roma-Kinder wie alle anderen Schüler behandelt haben. "Sie wurden diskriminiert. Sie durften nicht antworten, auch wenn sie sich gemeldet haben", erzählt Boariu Floarea, die Direktorin des Zentrums. Durch zahlreiche Gespräche mit den Lehrern hat sich das verändert. "Die Kinder waren aufgrund ihrer Ethnie isoliert. Das ist nun vorbei." Dank Lernzentrum kommen die Kinder mit fertigen Hausaufgaben, sind gewaschen und benehmen sich richtig. "Wir haben ihnen alles beigebracht, damit sie nicht ausgegrenzt werden", sagt die Direktorin. Die Schulglocken läuten und Mario rennt mit den anderen Kindern nach draußen. Zu Fuß macht er sich auf in die Roma-Siedlung, die etwas außerhalb des Dorfs ist. Die Häuser sind klein, aber massiv gebaut. Hie und da fehlt ein Fenster.
Die Roma-Siedlung gibt es schon lang. Im Jahr 1890 kamen die ersten Roma in ihren Wagen an, um den Dorfbewohnern ihre Leistungen als Schmiede anzubieten. Mittlerweile leben rund 800 Menschen in diesem Teil des Dorfes. Nicht alle sind begeistert von der Arbeit des Zentrums. "Sie geben den Kindern nur schlechtes Essen, zum Beispiel Grießbrei mit Salz", so beschwert sich Marioara, die in der Siedlung lebt. Ihr Enkel ist elf und geht regelmäßig ins Zentrum. "Seine Mutter ist abgehauen, als er drei war. Jetzt habe ich ihn großgezogen", sagt die Romni. Ihr Sohn sitze im Gefängnis, weil er Alteisen gestohlen habe. "Alteisen ist meine einzige Einnahmequelle. Jeden Tag suche ich danach." Für sieben Kilogramm Eisen bekommt sie einen Euro. "Heute waren es zwölf Kilogramm, von dem Geld habe ich Brot gekauft."
Der Rasen vor ihrem kleinen Haus ist verdorrt. Warum sie hier kein Gemüse anbaut? "Ach, was soll ich schon machen, der Grund gehört nicht einmal mir", gibt Marioara zur Antwort. Die Bürgermeisterin von Periam hatte versprochen, den Grund den Roma zu schenken. Doch sie wurde abgewählt. Marioara hofft dennoch, dass der Grund eines Tages ihr gehören wird. Vielleicht kann der kleine Mario dann irgendwann wirklich seinen eigenen Langos-Stand eröffnen.