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Wann starb das Mordopfer?

Stefan Pittner entnimmt eine Muskelprobe, um den Abbau der Proteinen zu analysieren.

Fliegen, Totenstarre, Temperatur. Die bisherige Technik zur Tatzeitbestimmung ist fehleranfällig. Salzburger Forscher erproben eine neue Methode, um Kriminalfälle zu lösen.


Eine Leiche wird gefunden. Die Polizisten stecken den Tatort ab, der TV-Kommissar nimmt die Ermittlungen auf. Davor spricht er aber noch mit einem weiß gekleideten Mann, dem Gerichtsmediziner, der ihm erklärt: "Der Todeszeitpunkt ist zwischen 23 und 1 Uhr nachts. Genaueres dann, wenn ich im Labor bin."

So einfach wie im Fernsehen ist es aber nicht. In Salzburg beginnt die Suche nach dem Todeszeitpunkt in einem Gebäude auf dem Gelände der Christian-Doppler-Klinik. Stefan Pittner trägt dort den weißen Mantel, er geht eine enge Stiege hinunter zum Einsargraum der Gerichtsmedizin. Er wird am Oberschenkel einer Leiche eine Muskelprobe entnehmen, die Auskunft über den Zeitpunkt des Todes geben soll.

Pittner und der Leiter der Gerichtsmedizin, Fabio Monticelli, erforschen die sogenannte Protein-Methode. Wenn jemand lebt, wird Eiweiß ab- und dann wieder aufgebaut. Wenn jemand stirbt, geht es nur mehr in eine Richtung. "Es laufen im Körper Prozesse ab, die Proteine spalten. Die Proteine lösen sich auf", sagt Pittner. Je länger jemand tot ist, desto kleiner sind die Aminosäureketten, aus denen die Proteine bestehen. Und desto tiefer wandern sie in das Gel, in das Pittner später die Probe aus dem Einsargraum tauchen wird.

Im Jänner 2016 wurden zwei Leichen im Traunsee gefunden. Eine Frau wurde zerstückelt und in zwei Koffern im See versenkt. Taucher fanden einen Mann im See, dessen Hände mit Kabelbindern an zwei Taschen befestigt waren. In den Taschen waren persönliche Gegenstände, Granit und Beton. "Durch Muskelproben stellten wir fest, dass die Frau vor dem Mann starb", sagt Pittner. Die Ermittler fanden heraus: Es war Mord mit anschließendem Selbstmord. Es war der erste Fall von Pittner und Monticelli, den sie mit der Proteinmethode lösten.

Bisher hatten die Gerichtsmediziner vier Methoden, um zu bestimmen, wann ein Mensch gestorben ist. Sie überprüften, ob die Totenstarre eingesetzt hat. Sie untersuchten, ob sich Flecken bilden, ob Fliegen Eier gelegt haben. Oder sie maßen die Temperatur der Leiche. Jede dieser Methoden sei aber limitiert. "Die Körpertemperatur ist abhängig davon, wie dick jemand ist, ob er bekleidet ist, in der Sonne liegt", sagt Pittner. Wenn der Unterschied zwischen Umgebungs- und Körpertemperatur groß ist, könne er im besten Fall den Todeszeitpunkt auf sechs Stunden eingrenzen.

Wenn die Temperatur jedoch angeglichen ist, ist es für diese Technik zu spät. Nach etwa zwei Tagen hatten die Gerichtsmediziner bisher nur die Fliegenmethode zur Verfügung - die aber höchst ungenau ist. Wenn es zum Beispiel regnet, legen Fliegen keine Eier. "Wir können deshalb nur die Mindestliegezeit bestimmen, nicht den tatsächlichen Todeszeitpunkt", sagt Pittner. Bei den Leichen im Traunsee hätte die Technik gar nicht angewendet werden können. Unter Wasser gibt es keine Fliegen. Die Proteinmethode soll die Lücke füllen, obwohl auch sie von den individuellen und äußeren Umständen abhängig ist. Die Technik kann aber vom Tag eins bis Tag zehn eingesetzt werden. "Wir decken damit den Bereich ab, in dem man sonst kaum Aussagen machen kann." Die Muskelproben erweitern das Spektrum, mit dem der Todeszeitpunkt eingegrenzt werden kann.

Aber warum ist es wichtig zu wissen, wann ein Mensch starb? Die Gerichtsmedizin ist hauptsächlich bei Kriminalfällen im Einsatz. Die Forschung von Pittner hilft, die Umstände des Todes aufzudecken. Dabei sei nicht der genaue Zeitpunkt entscheidend. "Es geht darum, einen gewissen Zeitraum ausschließen zu können - in dem der Verdächtige etwa kein Alibi hat." Zum Original