
Sarajevo ist eine Stadt der Gegensätze. Gebäude, die an Wien erinnern, stehen neben Plattenbauten. Von den Hügeln schossen früher Scharfschützen.
Einschusslöcher in den Fassaden erinnern in Sarajevo noch immer an den Krieg. Bosnien-Herzegowina will aber in die Zukunft blicken: Das Land hat EU-Kandidatenstatus beantragt.
Das Flugzeug steuert die Rollbahn in Sarajevo an. Aus dem Fenster sieht die Besucherin einen großen weißen Fleck. Je näher das Flugzeug dem Boden kommt, desto klarer zeichnen sich Kreuze eines Friedhofs ab. Der Tod ist allgegenwärtig in Sarajevo.
Der jüngste Krieg in Bosnien-Herzegowina ist seit 21 Jahren vorbei, gelöst sind die Probleme aber nicht. Das Salzburger Institut der Regionen Europas (IRE) hat deshalb vor Kurzem eine Konferenz in Sarajevo abgehalten. "Wir müssen den Menschen in Bosnien-Herzegowina eine Perspektive geben", sagt IRE-Präsident Franz Schausberger. Und diese Perspektive heißt Europäische Union. Im Februar hat das Land einen Antrag auf Kandidatenstatus gestellt. Die EU-Kommission will bald darüber entscheiden.
Lars-Gunnar Wigemark ist guter Dinge. Bosnien-Herzegowina sei auf dem richtigen Weg, sagt der Botschafter der EU-Kommission. Die bosnische Regierung habe die Arbeitsgesetze reformiert, die Lohnnebenkosten reduziert. Aber das Land habe weiter Probleme. Nur 17 Prozent der Arbeitnehmer arbeiten in Unternehmen - und finanzieren damit die 83 Prozent, die für Regierungsorganisationen tätig sind. "Viele Politiker nutzen ihren Einfluss in Unternehmen, um Posten zu besetzen", sagt Wigemark. Das beweist die Statistik von Transparency International: Bosnien-Herzegowina lag 2015 auf Rang 76 des Korruptions-Index, gemeinsam mit Burkina Faso und Indien.
Im Gehsteig, auf dem Weg in die Altstadt, klafft ein großes Loch. Davon ausgehend zerstreuen sich rote Flecken über den Beton. Das Mahnmal zeigt die Stelle, an der während des Krieges eine Granate einschlug. Ähnliche Einschlagslöcher verteilen sich in der Stadt: Serben hatten sich beinahe vier Jahre lang in den Bergen verschanzt, die Sarajevo einkreisen. Scharfschützen schossen auf die Menschen in den Straßen, die zur Arbeit gingen.
"Steigt bloß nicht auf die roten Stellen", sagt Luna Mijovic. Die Schauspielerin führt zu ihrem Lieblingscafé, in dem man Wein aus Kristallgläsern trinkt. Mijovic spielte in Karl Markovics' Film "Atmen" mit. Ihr neuestes Drama "Death in Sarajevo" soll eine Metapher für Bosnien-Herzegowina sein. "Der Film und das Land sind wie ein Labyrinth. Man weiß nie, ob man im Himmel oder in der Hölle ist." Mijovic ist eine besondere Frau, eine, die es in Bosnien-Herzegowina kaum gibt. Sie ist das Kind einer Mischehe zwischen einer Muslimin und einem Orthodoxen. Nur fünf Prozent der Ehen werden über die ethnischen Gruppen hinweg geschlossen. Vor dem Krieg waren es 13 Prozent. Als Mädchen lernte Mijovic das Kreuzzeichen von ihrer Oma. Sie zeigte es daraufhin ihrer muslimischen Klasse. "Wir lachten viel. Und am nächsten Tag sprach keiner mehr mit mir", sagt sie. Jahre später erzählten ihre Mitschüler, warum sie das Mädchen damals mieden. "Sie wussten, dass sich bekreuzigen falsch für sie war."
Vielfältiges, kompliziertes Land
Der Weg durch die Altstadt Sarajevos ist wie eine Zeitreise. Zuerst die Wolkenkratzer aus Glas, in deren Einkaufszentren sich junge Frauen mit Taschen beladen. Wenige Schritte weiter fühlt sich die Besucherin wie im alten Wien, die Fassaden sind mit Engeln, Löwen und Schnörkeln verziert. Wenige Augenblicke später schlängelt sich der Duft der Wasserpfeifen durch die Gassen. Cafés mit niedrigen Tischen reihen sich um die Moscheen, in denen sich Männer und Frauen zum Beten hinknien.
Ähnlich vielfältig ist das ganze Land. Der Friedensvertrag hat 1995 eine Verfassung hervorgebracht, die ein kompliziertes Staatsgefüge produziert. Im Osten und Norden liegt die Republika Srpska, in der meist Serbisch gesprochen wird. In der Föderation Bosnien und Herzegowina leben die meisten muslimischen Bosnier und katholische Kroaten. Die Föderation ist in zehn Kantone geteilt, jeder Kanton hat sein eigenes Parlament, seine eigene Exekutive. Die Politik lähmt sich selbst. Verliebte heiraten nicht, wenn sie aus anderen Ethnien stammen. Und Kinder betreten die Schule, um dann nach Religion geteilt in Klassen zu gehen.
Elmedin Konakovic ist der Premierminister vom Kanton Sarajevo. Er könnte den EU-Beitritt blockieren. Doch Konakovic will in die Europäische Union, trotz aller wirtschaftlichen, sozialen und politischen Probleme. Mit der EU verbindet er große Hoffnungen. "Die Herkunft wäre weniger wichtig für die Menschen, wir wären alle Teil einer großen Familie", sagt er. Europa könne auch helfen, die Verfassung zu ändern. "Wir stecken fest. Die Verfassung garantiert Sicherheit für das Alte, aber es kann nichts Neues entstehen."
"Nur weil du im Westen lebst, bist du nicht automatisch glücklich"
Als Vedran Mujagic das Café Delikatesna betritt, begrüßt er alle Gäste mit Handschlag. Mujagic ist Bassist beim Dubioza Kolektiv. Die Band ist laut, lustig und singt gegen die Politik an. Auf die EU angesprochen, wird der Bassist nachdenklich. "Einerseits sagen viele Bosnier, dass die internationale Gemeinschaft die Verfassung verursacht hat - und damit die aufgeblähte Administration und die schlechte Wirtschaftslage", sagt Mujagic. Deshalb sei die EU verantwortlich für eine Lösung. Der Musiker verweist darauf, dass sein Land immer Teil eines Imperiums gewesen sei. Bosnier seien es gewohnt, andere entscheiden zu lassen. Andererseits will er die Verantwortung nicht abschieben: "Es ist Geschichte, jetzt ist eine neue Zeit."
Mujagic will sein Land nicht verlassen. Bosnier tendierten zwar dazu, den Westen zu idealisieren. Das sei aber ein Trugschluss: "Nur weil du im Westen lebst, bist du nicht automatisch glücklich."
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