Angelika Ivanov

Volontärin der Holtzbrinck-Journalistenschule, Düsseldorf

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Karriererisiko Kind: Wie Arbeitgeber Frauen immer noch benachteiligen

Unfaire Vorurteile: In einer britischen Umfrage gestand jede dritte Führungskraft, weibliche Bewerberinnen bewusst auszusortieren Bild: Getty Images


Ab einem gewissen Alter leiden Frauen unter Vorurteilen. Wer um die 30 ist, heißt es, ziehe ein Kind der Karriere vor. Diese Attitüde können sich Arbeitgeber in Zeiten des Fachkräftemangels kaum noch leisten.

 

Marie Frensch* war überzeugt, dass Mann und Frau gleichberechtigt sind. So hatten ihre Eltern sie erzogen, so hat sie es an der Hochschule erlebt: RWTH Aachen, Ingenieurwesen, stark männerlastig. Egal, ob in Vorlesungen, Lerngruppen oder Nebenjobs: Nie hat ein Kommilitone oder Kollege sie von oben herab behandelt, sie spüren lassen, dass für Frauen andere Regeln gelten.

Doch dann bewarb sich Frensch im Sommer 2017 um einen Job bei einem deutschen Automobilhersteller in München. Zuerst lief das Vorstellungsgespräch wie geplant: Frensch erzählte dem Personaler von ihrer Promotion und von Praktika während des Studiums. Der Abteilungschef hörte sich alles geduldig an, fragte neugierig nach, erzählte von den Anforderungen an die Stelle. Und hatte dann noch eine Frage: „Wie stellen Sie sich den Job vor, wenn Sie eines Tages Kinder bekommen sollten?“

Frensch blickte ihn verdutzt an und stammelte etwas, an das sie sich heute nicht mehr erinnert. Gut im Gedächtnis hat sie aber noch das mulmige Gefühl, das sie nach dem Gespräch beschlich. Und dass sie sich wenig später auch nicht über die Absage wunderte: „Im Nachhinein bin ich darüber sehr froh.“ Wer will schon in einem Unternehmen arbeiten, in dem Kinder als Karriererisiko gelten?

So wie Frensch ergeht es jedes Jahr vielen jungen Frauen bei der Jobsuche. Theoretisch herrscht im Arbeitsleben Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern; in der Praxis haben Frauen trotz Fachkräftemangel ab einem gewissen Alter berufliche Nachteile, egal, ob als Bewerberin oder Angestellte. Der latente Verdacht: Sobald die Probezeit überstanden ist, wenden sich Frauen Ende 20 bis Mitte 30 nicht dem nächsten Projekt zu – sondern der Kinderfrage.

Anonyme Umfrage

Jede dritte Führungskraft gibt anonym zu, die Bewerbung von weiblichen Kandidaten bewusst auszusortieren, wenn eine künftige Schwangerschaft auch nur vermutet wird. Das ergab vor wenigen Monaten eine Umfrage von Slater and Gordon. Die australisch-britische Großkanzlei befragte dafür etwa 500 Chefs mittelständischer Unternehmen, darunter 267 Frauen.

Das ernüchternde Ergebnis: Wäre es gesetzlich erlaubt, würden fast 40 Prozent der Geschäftsführer offene Stellen ausschließlich für Männer ausschreiben. Genauso viele Manager (und Managerinnen) waren davon überzeugt, dass Männer sich ihrem Job stärker verpflichtet fühlen. 36 Prozent erblickten in Frauen gar ein „höheres Investitionsrisiko“. Sicher, die Umfrage stammt aus Großbritannien. Gleichwohl sind ihre Ergebnisse auch auf Deutschland übertragbar. Die Studienautorin und Anwältin Remziye Ozcan hat selbst viele Fälle von Diskriminierung betreut, insofern ist ihr das Phänomen nicht neu: „Aber das Ausmaß der Vorurteile gegenüber Frauen in unserer Arbeitswelt hat mich dann doch überrascht.“

Dabei können sich Unternehmen diese Art der Diskriminierung in Zeiten des Fachkräftemangels eigentlich nicht mehr leisten. Allein im vergangenen Jahr war eine Stelle im Schnitt 107 Tage unbesetzt, ergaben Berechnungen des Bundesarbeitsministeriums.

Alte Ausreden

Dass die fehlende Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt schädlich ist, hat auch Bundesfamilienministerin Franziska Giffey erkannt. Sie will das Problem vor allem mit einer progressiveren Unternehmenskultur lösen. Gerne zitiert sie den „Fortschrittsindex“ ihres Hauses, wonach Familienfreundlichkeit inzwischen von 77 Prozent der deutschen Unternehmen als wichtig oder sehr wichtig erachtet wird. Gut zehn Jahre zuvor waren es nur 47 Prozent.

Doch was sich theoretisch gut anhört, wird in der Praxis selten gelebt. 2015 gönnten sich zwar 36 Prozent der Väter eine Elternzeit, aber vier von fünf Männern hielt es dabei gerade mal zwei Monate zu Hause – nur so lange wie vorgeschrieben, um das volle Elterngeld zu kassieren. 15 Prozent der Väter arbeiteten sogar bis zu 30 Stunden die Woche weiter. Eine längere Auszeit meinen sie sich offenbar nicht leisten zu können – oder zu wollen.

 

In gewisser Weise gibt es aus dem Dilemma der (Nicht-)Vereinbarkeit von Familie und Berufskarriere keinen Ausweg. Wenn die Weichen für den Jobaufstieg gestellt werden, müssen sich Talente entscheiden, ob sie eine Fach- oder Führungskarriere anstreben; gleichzeitig tickt für Paare die biologische Uhr: Nach dem 35. Lebensjahr steigt die Wahrscheinlichkeit einer Unfruchtbarkeit bei Frauen rapide. Wie also bringt man beides unter einen Hut? Wie können sich Paare, Männer, Frauen, ihre Kinder- und Karrierewünsche erfüllen?

 

Uterus oder nicht?

Franziska Hagemann* zum Beispiel. Sie mochte ihren Job in der Marketingabteilung eines mittelständischen Onlineversandhändlers. Sie war sechs Jahre lang eine fleißige und geschätzte Mitarbeiterin. Sie berichtete direkt an den Geschäftsführer, und das Verhältnis zu ihrem Chef war gut. Daher wollte sie ihn auch zuerst über ihre Schwangerschaft informieren.

Trotzdem war Hagemann schon Wochen vorher nervös. Wie würde er auf die Nachricht reagieren? Überrascht? Freudig? Oder beleidigt? Sie rechnete mit vielem und befürchtete manches. Aber die Reaktion verwunderte sie dann doch: Der Chef ließ seinen Kopf auf den Schreibtisch sinken und sagte, halb leidend, halb vorwurfsvoll: „Das können Sie mir doch nicht antun!“ Ein schlechter Witz nur? Leise Ironie? Verstecktes Lob? Nur wenige Monate später war Franziska Hagemann schlauer: Der Spruch war bitter ernst gemeint: als Rüge, Anpfiff und Verweis. Der Deal zwischen ihr und der Geschäftsführung: ein Jahr Pause, dann eine Teilzeitlösung; wie viele Stunden und welche Aufgaben sie übernehmen sollte, blieb offen. Hagemann glaubte, dass ihre Vorgesetzten in ihrem Sinne handeln.

Die Ernüchterung ereilte sie kurz vor der geplanten Rückkehr. Hagemann bat bei der Sekretärin des Geschäftsführers telefonisch um einen Termin. Doch statt einen Rückruf zu empfangen, fischte sie eine Woche später ein Anschreiben aus dem Briefkasten: Leider könne sie „derzeit nicht wie vereinbart zurückkehren“. Hagemann wurde erst bange, dann wütend: „Niemand hat mit mir geredet. Ich wurde einfach in die Mutti-Ecke geschoben.“

Einzelfall oder Normalität? Die Soziologin Christina Mundlos hat fast zehn Jahre in der Gleichstellung im öffentlichen Dienst gearbeitet, war bei Bewerbungsgesprächen dabei und hat für ihr Buch „Mütter unerwünscht“ Fälle von Diskriminierung am Arbeitsplatz aufgearbeitet. Ihr Urteil: „Maßstab für eine Karriere sind in Deutschland weder Leistung noch Kompetenz. Sondern Uterus oder nicht.“ Frauen würden als Mitarbeiter zweiter Klasse angesehen, ihre Karriere als Hobby.

 

Mundlos weiß, dass ihre harsche, pointierte Position polarisiert. Aber sie hat zu viele Arten der Diskriminierung erlebt, um das Problem zu verharmlosen. Eher häufig seien subtile Gemeinheiten: die ausbleibende Gratulation zur Schwangerschaft. Seltener seien Versetzungen, etwa in eine weiter entfernte Filiale, um Frauen Zeit zu rauben – ihnen nahezulegen, das Unternehmen freiwillig zu verlassen. Die Kosten dieses Verhaltens, so Mundlos, trage die Gesellschaft: „Schlechter Umgang und Mobbing führen zu mangelnder Leistung, Ausfall und unnötigen Krankschreibungen.“

Dass es auch anders gehen kann, zeigt Anna Yona. Sie ist Mutter von drei Kindern und Inhaberin von Wildling Shoes. Der Betrieb produziert nachhaltige Barfußschuhe. 90 Prozent der Beschäftigten sind Eltern, der Frauenanteil liegt bei 80 Prozent, mehr als die Hälfte arbeitet in Teilzeit. Wie das geht? Die Arbeit wird quer durch Deutschland im Homeoffice erledigt.

Die größte Herausforderung dabei, sagt Yona, ist die Kommunikation: „Mittlerweile haben wir eine Kernarbeitszeit, in der alle erreichbar sein müssen.“ Außerdem hat Yona Teil-Teilzeitstellen über 10 und 15 Wochenstunden abgeschafft: „Das lässt sich mit dem Team nur schwer vereinbaren.“

Sicher, auch die Unternehmerin musste sich daran gewöhnen, dass sie ihre Mitarbeiter nicht immer sofort ansprechen kann; dass es einer sorgfältigen Koordination bedarf, um gemeinsame Meetings einzuberufen. Dennoch überwiegen die Vorteile, sagt Yona: Aufgrund ihrer familienfreundlichen Personalpolitik erhält sie so viele Initiativbewerbungen, dass sie keine Stelle mehr ausschreiben muss. Und für ihre Freiheit seien „meine Mitarbeiter auch bereit, auf Gehalt und Sicherheit zu verzichten“.

Im geistigen Exil

Auch Wirtschaftsinformatikerin Laura Sophie Dornheim hält Flexibilität für den wichtigsten Faktor zur Begünstigung weiblicher Karrieren. Die 35-Jährige leitet die Kommunikationsabteilung bei Eyeo, der Firma hinter dem Werbeblocker Adblock Plus. Sie arbeitet im Homeoffice, 75 Prozent: „Es ist egal, wer sich von wo einwählt. Hauptsache, die Arbeit wird gemacht.“

So ein Modell wäre bei ihrem vorherigen Arbeitgeber undenkbar gewesen. Nach dem Studium ging Dornheim zu einer Unternehmensberatung; nach ein paar Jahren hatte sie die 80-Stunden-Woche satt und arbeitete freiberuflich weiter. Da kam das Angebot von Eyeo: „Der Job war interessant“, sagt Dornheim, „doch ich hatte gerade erfahren, dass ich schwanger bin.“

Was tun? Rechtlich gesehen, hätte Dornheim ihre Schwangerschaft verschweigen können, aber sie entschied sich für Transparenz – und wurde belohnt: „Kein Problem, das kriegen wir hin“, sagte CEO Till Faida. Ein paar Monate nach der Geburt stieg sie mit 50 Prozent ein, erhöhte später auf 75 Prozent. Sie erhielt Vertrauen. Und zahlte es mit guter Arbeit zurück.

Genau dieses Vertrauen haben die Vorgesetzten der jungen Mutter Franziska Hagemann verspielt. „Mich hält jetzt nur noch mein Verantwortungsbewusstsein“, sagt sie. Nachdem ihr Arbeitgeber ihr die Rückkehr während der Elternzeit verwehren wollte, holte sie sich Rat bei einer Anwältin. Sie empfahl ihr, die Absage anzufechten. Also antworte Hagemann schriftlich, dass ihr der Arbeitsplatz rechtlich zustünde und sie in wenigen Monaten erneut anfragen werde.

Und siehe da: Zwei Monate später gab es kein Problem mehr, sie kehrte zurück an ihren Arbeitsplatz – und ihre Chefs taten, als sei nie etwas geschehen. „Ich habe das einfach hingenommen“, sagt Hagemann. „Aber innerlich habe ich längst gekündigt.“


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