Der militante Klimaprotest ist nun auch als Serie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen angekommen. Zwei Projekte mit jeweils sechs Folgen, hauseigene junge Produktionen von und ZDF, online first, Comedy- bis Dramedy-mäßig umgesetzt. Auf den ersten Blick scheint die fiktiven Serien über den vielleicht relevantesten Diskurs der Gegenwart mehr zu einen als zu unterscheiden. Tatsächlich könnten Tod den Lebenden (ARD) und Aufgestaut (ZDF) jedoch kaum unterschiedlicher sein.
Tom Lass ist der Kopf hinter Tod den Lebenden. Der Schauspieler und Regisseur leitet seit 2011 bereits ein improvisierendes Ensemble in Berlin, hat Filme auf Improbasis gedreht und auch im Fall seiner neuen Serie wohl kein fixes Drehbuch zum Nachsprechen vorgegeben. Sechs Jahre Arbeit im von Lass begründeten ImproLab stecken in der Geschichte um die WG-Bewohner Juklas, Becky und Heidi, die sich in einer polyamoren Dreiecksbeziehung mit strengen Regeln befinden. Während Becky die Rolle der dominierten Außenseiterin zukommt, geht Heidi mit Juklas auch gern mal auf Partnerinnen- und Partnerjagd in der Berliner Ringbahn.
Mit Klima hat das erst einmal gar nichts zu tun. Es geht um zwischenmenschliche Hierarchien, wohlstandsgelangweilte Selbstbespiegelung, die Unfreiheiten im Freie-Liebe-Konstrukt. "Ist das dein Freund?", bellt Heidi (Odine Johne), als sie Becky (Kristin Suckow) mit Micha (Leon Ullrich) im Bett erwischt. "Dann musst du ihn teilen." So ist das hier nämlich, in diesem herrlichen Altbau, wo man - wenn man nur regelmäßig Geld bei Oma holen geht - wunderbar einen Tag nach dem anderen in Betten herumkugeln kann. Es müffelt einem schon nach der ersten Folge ganz siffig aus der Mediathek entgegen.
Kein LogikzwangDennoch gelingt es Lass und seinem Ensemble durch die improvisierten Dialoge, Tod den Lebenden einen gewissen Reiz zu verleihen. Manche Szene wirkt wahnsinnig gestelzt, aber schon in der nächsten schrauben sich die Darstellenden in seltsam schöne Betrachtungen über Wimpernwünsche oder Eizellen, die man wohl nur schwer in ein klassisches Drehbuch schreiben könnte. Die Serie bricht nicht nur mit Sehgewohnheiten, sie verknetet die Erwartungen des Publikums zu einem regelrechten Brei.
Damit entzieht sich Tod den Lebenden den Zwängen von Plausibilität und Logik. Erst will der Vermieter, Vater von Akki, der neuen Gespielin von Heidi, die Bande rausschmeißen, dann soll er mittels Sextape erpresst werden, was die Verschwörer selbst nicht so recht verstehen. Schließlich wird bei Heidi, die immer wieder das Bewusstsein verliert, eine Lungenerkrankung festgestellt, die durch Feinstaub noch schlimmer wird, also durch den Klimawandel. Die WG besorgt sich Waffen, die ein Nachbar zur Verfügung stellt, und dann - weiß auch niemand so recht, wie es weitergehen soll. Die als völlig unpolitisch etablierte Bumsgruppe einigt sich darauf, dass "die Bosse" umgelegt werden müssen. Während Becky Heidis Kind austragen soll, das ist auch noch so ein Handlungsstrang.
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Diese Absurdität ist natürlich gewollt. Das Holterdiepolter der Erzählung ergibt sich wahrscheinlich aus der Arbeitsweise, erweckt aber vor allem den Eindruck, Lass und sein Team würden sich für ihre gewählten Sujets gar nicht wirklich interessieren. Sondern eben nur dafür, was unter der WG-Glasglocke passiert. Man könnte von Tod den Lebenden behaupten, dass es auf satirische Weise die Dringlichkeit der Debatte verhandelt, die Wut und Not der jungen Generation überspitzt, aber das wäre glatt gelogen. Es geht ja gar nicht um den Klimawandel oder die Realität als solche, es geht um die Form, die gewählt wurde und was dabei herauskommt. Und vielleicht um ein Milieu mit zu viel Zeit.