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Im Abseits

Im katalanischen Torrelles de Llobregat haben im Oktober über 90 Prozent für die Unabhängigkeit Kataloniens gestimmt. Eric Salvador Pi hat sich enthalten. Ein Abendessen mit Gegnern der Independentistas.

Gerade als das Gespräch an Tisch Nummer 7 im Außenbereich der Bar La Terrasseta auf Kataloniens Unabhängigkeit kommen sollte, beginnt Eric Salvador Pi, seine Stimme zu senken.

Er mustert die kartenspielende Herrenrunde an Tisch 6, die Männer mit den Filterzigaretten in den Mundwinkeln, beugt sich nach vorne und wispert: „Wenn ich jetzt laut sage, dass ich mit Nein gestimmt hätte, dann geht es los.“ Salvador Pi schaut sich um, er sagt nichts, er weiß doch, wie sie klagen würden, die Männer, sie würden abwinken, sagen, dass er sie verraten habe, vielleicht würden ihn manche höflich bitten, die Bar zu verlassen. Also sagt der Hausmeister nichts, lehnt sich in seinem Stuhl zurück, und ersichtlich denkt er was in der Art: Ihr habt doch alle nichts verstanden.

Es ist kurz vor acht Uhr abends in Torrelles de Llobregat, einer 6000-Seelen-Gemeinde tief in den Bergen südlich von Barcelona. Unsanft erheben sich die grünen Hügel hier über den bunt verwitterten Dachziegeln, bedrohlich fast. Häuser wirken als habe man sie gedankenlos in die unwegsame Landschaft hineingesetzt. Der Ortskern lehnt sich in den Berg hinein wie ein schüchternes Kind an die Mutter.Oder wie ein bockiges. Es gibt eine schmucke  Einkaufsstraße, zweiBäcker und fünf Bars. Ein Idyll.Normalerweise.

Doch als sie hier im Oktober über Kataloniens Unabhängigkeit abgestimmt haben,  verschwand die Ruhe für einen Tag aus dem Ort. Fahnenschwingend zogen die katalanischen Independentistas durch die steilen Gassen und brachten meterlange Banner zwischen denLaternenmasten an, die nun durchhängen wie nasse Handtücher und Besucher mit „Hola República“ oder mit „Sí Sí Sí“willkommen heißen. Am Ende waren 91,6 Prozent für eine Loslösung von Spanien. Man hatte genug von der Bevormundung durch Madrid und dessen korrupter Politikerbande, wie sie hier sagen.

Politiker als korrupt zu bezeichnen, das hat in Katalonien lange Tradition. Doch inzwischen vergleichen die Separatisten Spaniens Zentralregierung mit der faschistischen Diktatur unter Generalísimo Francisco Franco, der den Katalanen nach dem spanischen Bürgerkrieg die Autonomierechte entriss und den Gebrauch der eigenen Sprache verbot. Das war im Jahr 1939. Und heute? Salvador Pi sagt: „Heute dreht sich doch alles nur ums Geld.“ Die Katalanen fühlen sich vom Länderfinanzausgleich benachteiligt, weil der die Region um Barcelona ausnehme. Aber hey, so sei das eben in einem Land, die reichen Regionen müssen den armen geben.

Salvador Pi ist 38, ein drahtiger Mann mit Glatze und einem starken katalanischen Spracheinschlag, der eigentlich anders heißt, mit richtigem Namen aber nicht in der Zeitung stehen will, Katalonien mache ihm schließlich schon genug Probleme. Seine Eltern stammen aus Andalusien, aber er ist hier aufgewachsen. Er ging zur Schule und später begann er dort, als Hausmeister zu arbeiten. Zehn Stunden ist er heute durch die Flure gefegt, reparierte dies und jenes, damit es den Kindern seiner Freunde an nichts fehlt. Nie würde er auf die Idee kommen, sie verlassen, seine Freunde, die Hügel, die ach so schönen orange-getünchten Masías, die sich in Torrelles lange vor den Independentistas niedergelassen haben und nun mit ihren steinernen Mauern immer nochwie aus derZeit gefallen dastehen. Den Katalanismus mag er trotzdem nicht. „Was glauben die, was passierenwird, wenn wir unabhängig werden?“ Man müsse sich doch nur umschauen: Unternehmen verlegen ihre Sitze aus Barcelona, weil sie fürchten, bald nichtmehr zur Europäischen Union zu gehören. Aufträge gebe es schon jetzt kaum mehr welche. „Sehen die das denn nicht?“

In La Terrasseta sind alle Tische belegt. An der Bar sitzen zwei Caballeros, drei Frauen ertränken ihre Gedanken in bauchigen, rosaschimmernden Weingläsern, ein Junge raucht Kringel in die Luft. Man isst Tapas, Hühnchen, kaum Fisch, und redet über Politik. Salvador Pi stützt seine Arme auf den Tisch und sagt: „Das ganze Gerede, das ändert doch überhaupt nichts.“ Warum er nicht abgestimmt hat? „Weil es illegal war“, sagt seine Frau Núria. Beide hätten sich gegen die Loslösung entschieden, katalanische Politiker haben schließlich eindrucksvoll bewiesen, dass sie nicht besser regieren als spanische. Vor kurzem verurteilte ein Gericht den ehemaligen Ministerpräsidenten Artur Mas unter anderem wegen Unterschlagung öffentlicher Gelder. Die Separatisten hassen diese Wahrheiten in Barcelona, noch mehr in Torrelles. Wer davon erzählt, werde schnell ausgeschlossen, sagt Salvador Pi – wenigstens für den Abend.

Andere auszuschließen, das passt überhaupt nicht hierher. Es gibt kaum etwas, das  Katalonien so groß gemacht hat wie die Gastfreundschaft, zumal in Barcelona. Die Stadt hat in den 50er und 60er Jahren Hunderttausende spanische Zuwanderer aufgenommen, später kamen Marokkaner und Chinesen hinzu. Man hört das heute noch an den Akzenten der Menschen in den Cafés der Einwandererviertel El Raval oder Barri Gòtic, in denen selten eine Bedienung aus der Stadt stammt. Eben deshalb passe der Nationalismus nicht in den Norden Spaniens, sagt Núria. Sie sei stolze Katalanin – auch wenn sie von Spanien regiert werde. Mit Sohn Enzo (9) spricht sie vorwiegend Katalanisch, mit Salva (6) Castellano, also Spanisch. Die Kinder in zwei Sprachen erziehen zu können, zeige eben ziemlich gut, wie offen Spanien sei.

Doch für den leisen Frieden haben die Separatisten längst keinen Sinn mehr. Im Oktober hat der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy das Referendum gewaltsam unterbinden lassen. Im Fernsehen sahman spanische Polizisten, die mit Schlagstöcken auf die  Menschen einprügelten. Madrid übernahm die Regierungsgeschäfte in Katalonien, entmachtete Ministerpräsident Carles Puigdemont und ließ Politiker aus den Reihen der Unabhängigkeitsparteien verhaften. Ein Mann an Tisch 6 in La Terrasseta sagt: „Na, ist das etwa keine Diktatur?“ Achselzucken an der 7.

Deshalb schlagen die Independentistas nun jeden Abend um zehn Uhr zu. Sie stehen dann unter den Straßenlaternen von Torrelles und trommeln mit Löffeln auf ihre Kochtöpfe. „Torrelles gibt ein Protestkonzert für die politischen Gefangenen“, so nennt es die Barbesitzerin. Man wolle solidarisch mit jenen sein, die für ein freies Katalonien kämpfen.  Schließlich sei niemand da, der was unternimmt. Keine Demokraten. Keine Partnerstaaten. Noch nicht einmal die Europäische Union. Die Union, sagen sie hier, habe Katalonien im Stich gelassen, sie habe sie enttäuscht.

Eric und Núria bleiben sitzen. Die beiden haben eine klare Meinung zu den Verhaftungen und zur Europäischen Union: Wer sich gegen das Gesetz stellt, müsse die Konsequenzen tragen. Dass die Independentistas glauben, die Union habe das Recht, sich in eine  innerspanische Angelegenheit einmischen zu können, damit haben sie ein Problem. Mit dem gewaltsamen Vorgehen der Regierung beim Referendum – ebenfalls. Zumal sich unter den Independentistas nie eine aggressive Stimmung breitgemacht hat, sagt Salvador Pi.

In Europa aber hat sich das Bild der sturen Katalanen längst in den Köpfen der Menschen festgesetzt. Wer die Separatisten aber trifft oder eine der vielen Demonstrationen der Unabhängigkeitskämpfer in Barcelona besucht, stellt fest, dass es sich um furchtbar freundliche und gebildete Menschen handelt. Keine Raufbolde oder Kapuzenträger, sondern Lehrer, Künstler, Schriftsteller wie Albert Sánchez Pigñol, dessen Buch „Victus“ den ersten katalanischen Exodus, den 11. September 1714, so eindrucksvoll beschrieben hat, stehen in den Reihen der Independentistas. Pigñol, dermit „Victus“ zu Kataloniens Kultfigur avancierte, erzählt darin von den Tagen, als die Bourbonen Barcelonas Stadtmauern überrannten und den Katalanen ihre Selbstbestimmung, Sprache und Kultur entzogen. Das Buch ist inzwischen Schullektüre.

Die Independentistas schwärmen von diesem Buch wie früher sonst nur von der Bibel, weil es das Leid Kataloniens ziemlich gut ausdrücke, sagen sie. In der Tat gibt es kaumein Volk, das so viele Niederlagen hinnehmen musste wie die Katalanen. Doch anstatt sich in Selbstmitleid zu ergehen, hielten es die Katalanen mit der Schmach so, wie andere mit dem Siegen: man feierte. Jedes Jahr am 11. September zelebrieren sie die Niederlage von 1714 mit einem Nationalfeiertag, an dem der katalanische Opferkult seine masochistischen Züge bemerkenswert offenlegt. Und genau damit verlieren die Independentistas den Blick fürs eigene Wohlergehen, sagt Salvador Pi.

Wie es mit Katalonien weitergeht, wisse hier niemand, sagt der Hausmeister. Am 21. Dezember werden sie noch einmal über die Unabhängigkeit abstimmen. Und dann: Barcelona als Hauptstadt? Nationalismus schlägt Solidargemeinschaft? Den  Independentistas geht es damit nicht etwa so wie den Menschen in England. Anders als bei den Brexiters sei es keine Abstimmung gegen Europa, sondern eine gegen die spanische Regierung, gegen Korruption und Unterdrückung. Nur werde das in Europa niemanden
interessieren, sagt Eric Salvador Pi. Schließlich nähmen die Separatisten billigend in Kauf, aus der Union rausgeschmissen zu werden.

Die Bar schließt. An Tisch 7 schleudert Salvador Pi noch einen Satz in die Runde: „Mir ist Politik egal, solange ich in Frieden leben kann.” Núria nickt. Der Mann an der 6 schüttelt den Kopf.Man verabschiedet sich, noch ein Plausch mit der Barbesitzerin, bis morgen. Dann verschwinden die beiden in den dunklen Straßen von Torrelles. Bona nit.

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