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Gefahr im Verzug

Mit dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 10.000 Jahren begann der Mensch, Pflanzen und Tiere zu domestizieren. Nützliche Eigenschaften von Wildpflanzen und Wildtieren wurden durch Züchtung verstärkt, unerwünschte unterdrückt. Das Ziel war die Anpassung an lokale Umweltbedingungen und die Widerstandsfähigkeit gegenüber Krankheiten und Schädlingen. Über die Jahrtausende entstand so eine ungeheure Zahl unterschiedlichster Kulturpflanzen. Diese landwirtschaftliche Vielfalt wird als Agrobiodiversität bezeichnet. Sie umfasst alle Teile der Umwelt, die für das Funktionieren der Agrarökosysteme von Bedeutung sind. Bakterien, Pilze und Würmer, die Bodenfruchtbarkeit garantieren - Insekten, die Blüten bestäuben - Räuber, die Kulturschädlinge in Grenzen halten und die Bestandteile der Natur, die den Wasserkreislauf in Gang halten, vor Erosion schützen oder das Klima regulieren. So gehören zur Agrobiodiversität nicht nur die in der Landwirtschaft gezüchteten Tiere, Pflanzen, Mikroorganismen und ihre Wildformen, sondern auch alle Arten, die sich parallel in den vom Menschen geprägten Landschaften entwickeln. Ackerbau ist heute noch die Grundlage der weltweiten Nahrungsmittelproduktion. Die große Menge an unterschiedlichen Arten und Sorten von Kulturpflanzen ist so etwas wie eine Versicherung gegen unvorhersehbare Ereignisse. Bei Wetterumschwüngen oder Schädlingsbefall werden Monokulturen oft komplett zerstört. Ein Landwirt, der auf Vielfalt setzt, hat die Chance, dass ein Teil seiner Ernte überlebt. Außerdem sind exportorientierte Anbauprodukte immer abhängig von der Spekulation mit Grundnahrungsmitteln und den globalen Schwankungen des Marktpreises.

Verlorene Tradition

Erst mit der zunehmenden Industrialisierung der Landwirtschaft Anfang des 20. Jahrhunderts sinkt die Zahl der Sorten und Haustierrassen. Nach Schätzungen der Welternährungsorganisation FAO beträgt der Verlust bereits 75 % der ursprünglichen Vielfalt. Die strikte europäische Sorten- und Saatgutgesetzgebung ist einer der Hauptgründe für den Verlust der Agrobiodiversität in Europa. Eine Registrierung ist nur bei einheitlichen Sorten oder Hybriden möglich. Das Saatgut alter Sorten, die in regionalen Projekten gezüchtet werden, bringt jedoch vielfältige Nachkommen hervor und kann daher nicht registriert und offiziell vermarktet werden. Gerade Bauern in der ökologischen Landwirtschaft, die auf anpassungsfähige Pflanzen angewiesen sind, können so nicht von diesen Züchtungsergebnissen profitieren. Lange Zeit war der freie Austausch von Saatgut üblich, die direkte Züchtung übernahmen staatliche Institute. Diese Pflanzenzüchtungsprogramme werden in vielen Ländern zurückgefahren und von privater Hand übernommen. Besonders große Konzerne konzentrieren sich dabei auf wenige, gut vermarktbare Anbauprodukte, wie z. B. Reis, Mais oder Weizen. Neu entwickelt werden vor allem Hybridsorten, die nach erneuter Aussaat nicht mehr die gewünschten Eigenschaften erbringen. Die Landwirte werden so gezwungen, jedes Jahr aufs neue Saatgut zu kaufen. Die Entwicklung gentechnisch veränderter Pflanzen ist ein weiterer Schwerpunkt der Agrarkonzerne, da sich diese leicht patentieren lassen. Bauern, die dann eigenes Saatgut aus diesen Pflanzen ziehen, müssen Lizenzgebühren zahlen. Weltweit werden so in der Nahrungsmittelproduktion immer weniger Arten und Sorten eingesetzt. Galt in der traditionellen Landwirtschaft noch das Prinzip Erntesicherheit vor Ertragshöhe, so sollen in der modernen Agrarindustrie wenige Elitesorten mit schmaler genetischer Basis hohe Erträge liefern.

Eingriffe in das ökologische Gleichgewicht

Die Eigenschaften der auf dem Markt erhältlichen gv-Pflanzen (gentechnisch veränderter Pflanzen) konzentrieren sich auf die Resistenz gegen Herbizide und oder die Bildung von Insektiziden. Zusammen mit den gv-Pflanzen werden Totalherbizide verkauft, deren flächendeckender Einsatz die Ackerbegleitflora verändert und somit Organismen, die wichtige Funktionen im Ökosystem erfüllen, die Nahrungsgrundlage entziehen kann. Erste Ackerunkräuter haben bereits Resistenzen entwickelt und können nur durch den Einsatz weiterer Herbizide bekämpft werden. Bei den sogenannten Bt-Pflanzen, benannt nach dem Einzeller Bacillus thuringiensis, werden Genabschnitte dieses Bodenbakteriums in das Erbgut der Pflanze eingebracht. Sie bildet dann während der gesamten Wachstumsperiode eigenständig Insektizide gegen tierische Schädlinge. In einer nachhaltigen Landwirtschaft sollten Schadorganismen aber nur bei massivem Befall bekämpft werden, um ihren Fressfeinden nicht die Nahrungsgrundlage zu entziehen. Wird ein Schädling massiv reduziert, gerät das ökologische Gleichgewicht ins Wanken. Die freiwerdenden Lücken werden dann durch andere Organismen besetzt, die sich möglicherweise zu einer größeren Plage entwickeln. So hat der mehr als zehnjährige Einsatz von Bt-Baumwolle in China die Verluste durch den Baumwollkapselbohrer zwar verringert, aber jetzt nehmen vorher eher selten vorkommende, Pflanzensaft saugende Weichwanzen seinen Platz ein. Diese sind weniger spezialisiert und befallen zudem andere Kulturpflanzen. Als Gegenmittel werden die gv-Pflanzen von den Saatgutkonzernen mit immer mehr artfremden Eigenschaften ausgestattet. So wurde eine neue, SmartStax genannte, Maissorte auf den Markt gebracht, deren Erbgut insgesamt acht fremde Gene enthält. Er produziert verschiedene Gifte gegen Insekten und ihre Larven und ist gleichzeitig gegen mehrere Herbizide resistent. Das Versprechen der Agrarindustrie, Gentechnikpflanzen würden den Herbizid- und Insektizideinsatz reduzieren oder gar überflüssig machen, hat sich nicht erfüllt.

Dass sich gentechnisch veränderte Pflanzen über ihr Anbaugebiet hinaus verbreiten, lässt sich nie ganz ausschließen. Resistenzen gegen Schädlinge oder verstärktes Wachstum könnten den gv-Pflanzen dann Vorteile gegenüber ihren Wildarten verschaffen. Vor allem mehrjährige Pflanzen, die unterschiedliche Lebensräume besiedeln können und eine große Anzahl an Samen produzieren, werden zu den Hochrisikopflanzen bei der Ausbreitung gezählt. Kulturpflanzen haben oft verwandte Wildarten als potenzielle Kreuzungspartner in der Region. Dies erhöht das Risiko eines Transfers artfremder Eigenschaften, besonders durch den zunehmenden Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen in den Ursprungsländern der Kultursorten. Bäume gehören ebenfalls zu den potenziellen Verbreitern artfremder Gene - Pappeln beispielsweise produzieren bis zu 50 Millionen Samen pro Jahr, die kilometerweit vom Wind transportiert werden. In China wurden bereits gv-Pappeln angebaut und in Hawaii Versuche an Papayas unternommen.

Die Risiken einer unkontrollierten Verschleppung artfremder Gene sollen durch neue gentechnische Verfahren, wie cisgene Pflanzen gemindert werden. Da diese nur DNA aus kreuzungsfähigen Sorten enthalten, erhoffen sich die Saatgutproduzenten weniger aufwendige Risikoüberprüfungen bei der Zulassung und mehr gesellschaftliche Akzeptanz in der EU. Grundsätzliche Risiken der Gentechnik, wie die Zufälligkeit des Einbauorts und daraus resultierende unerwünschte Effekte bei der Genregulierung, bleiben allerdings weiterbestehen. Im Rahmen der UN-Konvention über die Biologische Vielfalt wurde im Jahre 2000 ein Moratorium gegenüber der umstrittenen Terminator-Technologie beschlossen. Diese wurde ursprünglich zum Schutz von patentierten Pflanzen entwickelt und erzeugt nur noch steriles Saatgut, beziehungsweise solches, dass nur durch bestimmte Chemikalien zum Keimen gebracht werden kann. Unklar ist, wie weit die Forschung in diesem Bereich fortgeschritten ist. Allerdings gibt es immer wieder Versuche der Gentechnik-Lobby, die internationale Ablehnung dieses Verfahrens aufzuweichen, neuerdings mit dem Argument des Umweltschutzes. So soll die Terminator-Technologie die unerwünschte Verbreitung gentechnisch veränderter Pflanzen verhindern.  Etwas, was es nach den Angaben der Saatgutkonzerne gar nicht geben soll. Sicher ist nur, dass diese Technik die Landwirte endgültig davon abhalten könnte, neue Saat aus ihrer Ernte zu gewinnen.

Neue Wege

Immer noch wird weltweit, vor allem in kleinbäuerlichen Gesellschaften, ein Großteil des Saatguts aus der eigenen Ernte gewonnen. Im Namen der Ernährungssicherheit wird versucht, dieses Vorgehen durch internationale Verträge wie der „New Alliance for Food Security“ zu unterbinden. Die Investitionen der Agrarkonzerne in die afrikanische Landwirtschaft sollen so geschützt werden. Im Rahmen dieses Abkommens hat sich beispielsweise die Regierung von Mosambik verpflichtet, die Verteilung und den Handel mit freiem und nicht zugelassenem Saatgut zu beenden. Ausgenommen sind davon nur Rücklagen für Notlagesituationen. Den Bauern wird damit eine jahrtausendealte Tradition verboten und sie werden zu Bittstellern gemacht. Aber gerade in Zeiten des Klimawandels wird der Schutz lokaler anpassungsfähiger Kulturpflanzen und ihre züchterische Weiterentwicklung immer wichtiger. Alle großen Hilfsorganisationen sind sich mit der Welternährungsorganisation FAO einig, dass nur die genetische Vielfalt in der Landwirtschaft die Versorgung der Weltbevölkerung für die Zukunft sicherstellen kann. Das Wissen um die Bedeutung der Agrarbiodiversität hat sich zwar durchgesetzt und immer mehr alte Sorten werden in Genbanken aufbewahrt, die Erfassung der Anbaueigenschaften und die züchterische Weiterentwicklung werden aber meist vernachlässigt.

Einige Wissenschaftler setzen auf molekularbiologische Verfahren um genetisch vielfältige Sorten zu beschreiben, damit diese die Hürde der strikten Saatgutzulassung überwinden. Benutzt werden dazu Marker um die Existenz bestimmter Gene im Erbgut nachzuweisen. Bei der Züchtung neuer Sorten für die nachhaltige Landwirtschaft ist es möglich, mit Markern bereits im Keimling die gewünschten Eigenschaften nachzuweisen. In der Pflanzenzüchtung wird diese Technik markergestützte Selektion (MAS), in der Tierzucht Smart Breeding genannt. Allerdings haben kleinere Saatgutbetriebe kaum Ressourcen, um Forschung in diesem Bereich zu betreiben und die finanziellen Spielräume der öffentlichen Forschungsinstitute werden immer knapper. So ist es vor allem die Saatgutindustrie, die den Ausbau dieser Methode betreibt, um sich Patentansprüche auf Lebewesen und Saatgut zu sichern.

Ein alternativer Ansatz, um pflanzengenetische Ressourcen zu sichern und weiterzuentwickeln ist die sogenannte Open-Source-Biologie. Analog zur Open-Source-Software geht es um die Entwicklung eines Modells, in dem zwar Forschung honoriert wird, es aber nicht möglich ist, durch Schutzrechte Innovationen zu blockieren. Die genetische Vielfalt der wichtigsten Kulturpflanzen und die Daten zu den Sammlungen der Genbanken sollen in einem gemeinsamen Pool für jedermann verfügbar sein. Forschungseinrichtungen, private Züchter und lokale Projekte können mit dem eingelagerten Material arbeiten, um Kulturpflanzen in freier Natur zu verbessern - Landwirte werden in die Züchtungforschung einbezogen. In diesem Modell entspricht die genetische Vielfalt dem Quellcode offener Software. Und jeder ist berechtigt, diese Ressourcen zu nutzen, um neue Sorten zu entwickeln, solange nicht andere von den Weiterentwicklungen ausgeschlossen werden.

 




Cisgene Pflanzen

Cisgene Pflanzen werden mittels der gleichen Technologie wie die bereits auf dem Markt erhältlichen sogenannten transgenen Pflanzen hergestellt. Es wird kein artfremdes Erbgut, sondern nur Genmaterial von Wild- oder Zuchtformen der Zielpflanze eingefügt. Das Risiko artfremden Gentransfers soll so gemindert werden. Der Ort des Einbaus fremder Gene in das Erbgut unterliegt aber weiterhin dem Zufallsprinzip. Da sich der Einbau arteigener DNA bisher nur schwer nachweisen lässt, wird überdies eine “heimliche” Einführung gentechnisch veränderter Lebensmittel befürchtet.

Terminator-Technologie

Bei GURT (genetic use restriction technology), bekannt als Terminator-Technologie, werden Pflanzen gentechnisch so verändert, dass es nicht mehr möglich ist, keimfähiges Saatgut aus der Ernte zu gewinnen. Ein eingebautes Gen tötet den Samen in der Embryonalphase. Dieser Mechanismus wird mittels einer Chemikalie, dem Induktor, an und abgeschaltet. Das Selbsttötungsgen wird entweder vor dem Verkauf an die Landwirte aktiviert, so dass in der Ernte kein keimfähiges Saatgut mehr entsteht, oder das Saatgut ist bereits beim Verkauf steril und kann nur durch einen gekauften Induktor keimfähig gemacht werden. Eine 100%ige Sterilität kann allerdings bisher nicht garantiert werden. Und über die weiterhin fruchtbaren Pollen bleibt eine Verbreitung fremder Gene möglich.

 

Markergestützte Selektion

Bei der MAS wird, im Gegensatz zur konventionellen Züchtung, das komplette Erbgut der Pflanze und nicht nur die äußere Erscheinungsform betrachtet. Mittels DNA-Bruchstücken, die sich an bestimmte Stellen im Erbgut heften, kann bereits bei jungen Keimlingen bestimmt werden, ob sie die Gene für die gewünschten Eigenschaften tragen. Um festzustellen, welche Pflanzen sich zur Weiterzüchtung eignen, muss kein kompletter Vegetationszyklus mehr durchlaufen werden. Die Kreuzung selber erfolgt nach konventionellen Methoden, es werden keine Gene von außen eingefügt und die natürlichen Mechanismen der Genregulation bleiben erhalten.