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Von Bunten Forellen und Chinesischen Keulen

Ein öffentlich gefördertes Projekt arbeitet daran, beinahe verschwundene Salatsorten wieder anzubauen. Sie lieferten Saatgut an Gartenbaubetriebe, mit dem Ziel die alten Kulturpflanzen wieder zu vermarkten. Andreas Heins berichtet über das Projekt und stellt alte Salatsorten vor.

Auch beim Salat, so wie bei Äpfeln oder Wein, gibt es mehr Sorten als Kopf-, Romana- und Eisbergsalat. Die moderne Gemüsezüchtung jedoch richtet sich nach den Zielen des großflächigen intensiven Anbaus und der industriellen Verarbeitung: Resistenz gegen Krankheiten, gleichzeitige Abreife, große Transportwege und lange Haltbarkeit. Die steigende Nachfrage nach Convenience-Produkten erfordert Pflanzen, die sich zumindest halbmaschinell verarbeiten lassen. In der Züchtung ist der Geschmack daher immer weiter in den Hintergrund geraten. Das Ergebnis beim Kopfsalat ist der derbe moderne Allwettersalat mit ledrigen Blättern. Alte Kopfsalatsorten dagegen sind besonders zart mit buttrigem Geschmack oder haben ungewöhnliche Blattzeichnungen und Kopfformen. Aber Pflücksalate wie der „Hohlblättrige Butter“ haben besonders zarte knackige Blätter. Romanasalatsorten wie „Wiener Maidivi“ und „Romaine Red Cos“ zeichnen sich vor allem durch unverwechselbare Blattformen und -farben aus.

Es waren wohl die Römer, die den Salat in Nordeuropa verbreiteten, doch der Ursprung dieser Kulturpflanze liegt vermutlich in Ägypten. Mehr als 4000 Jahre alte Reliefs zeigen den Anbau einer Pflanze, die dem heutigen Romanasalat ähnelt. Im Laufe der Jahre entwickelten sich daraus lokale Sorten, die an die Bedingungen der Entstehungsgebiete angepasst waren. Der Mitte des 19. Jahrhunderts aufkommende Samenhandel machte diese Regionalsorten schließlich weltweit bekannt. Über 200 Salatsorten waren Anfang des 20. Jahrhunderts im deutschen Handel erhältlich. Es gab Frühjahrs- und Sommersorten für den Freilandanbau und Sorten für das Früh- und Mistbeet. Im Herbst ausgesät, überwinterten diese unter Glas, um im zeitigen Frühjahr geerntet zu werden. Oft aber hielten die Sämereien nicht, was sie versprachen. Bereits eingeführte Sorten wurden unter neuen Namen verkauft. Immer wieder gab es Forderungen von Züchtern und Gärtnern nach Qualitätskontrolle und Sortenschutz. Als das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft 1934 diesen Wünschen mit der Einführung eines Sortenregisters nachkam, ging es ihm nicht nur um die Rechte der Züchter. Das Ziel war die „restlose Beseitigung aller für die Landeskultur wertlosen Sorten“. Der Bestand wurde auf 30 für den großflächigen Anbau geeignete Salatsorten reduziert. Diese Zahl stieg auch in der Nachkriegszeit kaum an. Nur im sogenannten Tütengeschäft für den Hobbygärtner überlebten einige Traditionssorten, wie „Maikönig“, „Winterbutterkopf“ und „Victoria“.

Heute werden alle Sorten, deren Zulassung ausläuft, in Genbanken eingelagert. Aber eine alte Gemüsesorte ist auch Kulturgut, sie spiegelt die Ansprüche ihrer Zeit wieder und bewahrt traditionelles Wissen über Anbau, Eigenschaften und Zubereitung. Vielfach ist dieses Wissen schon verloren gegangen, es liegt keine wirkliche Sortenbeschreibung mehr vor, nur der Name ist noch registriert. Tiefgekühlte Samen können sich nicht veränderten Umweltbedingungen anpassen, bei Langzeitlagerung in einer Genbank nimmt mit der Zeit die Keimfähigkeit ab und genetisches Potenzial geht verloren. Um alte Sorten lebendig auf dem Feld oder im Kleingarten zu erhalten, rief die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) 2006 ein Beispielprojekt zur Wiedereinführung alter Salatpflanzen ins Leben. Der Verein zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen in Brandenburg e.V. (VERN) und die Humboldt-Universität zu Berlin untersuchten die Möglichkeit, in Vergessenheit geratene Sorten wieder in die Vermarktung zu bringen.

Gunilla Lissek-Wolf, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität, fasst das Projekt so zusammen: „Wir haben 57 Salatsorten aus Genbanken unter aktuellen Kulturbedingungen angebaut. Zuerst untersuchten wir die Eigenschaften der Salate, erfassten Anbaubedingungen, Lagerfähigkeit und Geschmack. Dann wählten wir geeignete Sorten aus, um sie in Erwerbsgartenbaubetrieben in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern anzubauen. Die Betriebe erhielten Saatgut von alten Sorten, bauten den Salat an und vermarkteten ihn über ihre üblichen Vertriebswege.“ Im Projekt engagierten sich vorwiegend Biobetriebe, die auf Wochenmärkten verkaufen. Viele der Betriebe, wie die „Domäne Dahlem“ in Berlin, der „Hof am Weinberge“ in Bornow und der „Ökohof-Waldgarten“ in Barenthin, bieten auch weiterhin die alten Salatsorten an. Selbst wenn es nicht möglich war, diese Salate zu einem höheren Preis anzubieten, so profilieren Sie sich durch das Besondere der alten Sorten und konnten neue Kunden an sich binden.

Neue Abnehmerkreise konnten meist in der Stadt erschlossen werden, die Verbraucher im ländlichen Raum standen den „neuen“ alten Sorten eher verhalten gegenüber. Was von einigen Käufern als etwas Besonderes empfunden wurde, wie der herbe Geschmack mancher Salate, wurde von anderen als „bitter“ kritisiert. Besonders skeptisch waren die Konsumenten bei gefleckten oder getuschten Salaten, wie den „Bunten Forellen“, viele dachten dabei an Blattkrankheiten. Auch die Verwendung von Salat als Kochgemüse ist in Deutschland inzwischen meist vergessen. Alte Romanasalatsorten wurden nicht nur roh verzehrt. Die Sorte „Wiener Maldivi“ wird in Österreich noch immer als Kochsalat mit Erbsen in einer Mehlschwitze serviert. Auch Stängelsalate wie die „Chinesische Keule“ entsprechen so gar nicht unserem gegenwärtigen Bild vom Salat. Die jungen Blätter eignen sich auch als Rohkost, die eigentliche Ernte beginnt jedoch, wenn der Salat geschossen ist, also einen dicken Stängel gebildet hat. Dieser Stängel wird geerntet, geschält um die bitteren milchsafthaltigen Pflanzenteile zu entfernen und gekocht.

Von den untersuchten 57 Sorten verblieben 27, die sich für den Anbau in Gartenbaubetrieben oder im heimischen Kleingarten eignen. Der Verein VERN hat Samen dieser Sorten in seinen Katalog für seltene Kulturpflanzen aufgenommen. Ausreichende Mengen Saatgut in guter Qualität für Gartenbaubetriebe bereitzustellen, kann allerdings ein Problem sein, erklärt Gunilla Lissek-Wolf. „Die Vereine, die sich mit der Wiedereinführung von alten Sorten beschäftigen, vermehren in der Regel nur kleine Mengen, die für den Kleingartenbereich interessant sind. Hier sind wir momentan noch auf öffentliche Förderung angewiesen.“ Aber auch die großen Saatgutunternehmen orientieren sich langsam um. Vor allem den verloren gegangenen Geschmack möchte sie in ihre neuen Sorten wieder zurückholen, und dafür werden alte Sorten und ihre Eigenschaften gebraucht.  Von einem großen Revival sind die Bunten Forellen & Co. trotzdem weit entfernt. Den Vertrieb der alten Sorten sieht Gunilla Lissek-Wolf auch für die Zukunft als Nischenmarkt: „Es werden vor allem der Hobbygärtner und der extensive Erwerbsgartenbau mit Direktvermarktung sein, die diese alten Sorten anbauen wollen. Jetzt geht es darum, mit Züchtern und Vereinen eine gemeinsame Strategie zur Erhaltung von alten Kulturpflanzen zu finden. Der politische Wille ist da, die Vielfalt alter Sorten wieder zu nutzen.“ So steht zu hoffen, dass etwas von der verloren gegangenen Vielfalt auch den Weg in unsere Märkte findet.