Die TV-Journalistin und Buchautorin Antonia Rados berichtet seit 34 Jahren von den Krisengebieten der Welt. Für ihre Berichterstattung hat die 61-Jährige viele Preise erhalten. Ein Interview.
BZ: Frau Rados, sicher beantworten Sie diese Fragen in irgendeinem Hotelzimmer. Was sehen Sie, wenn Sie aus dem Fenster schauen? Rados: Im Moment bin ich nicht in einem Hotel, sondern daheim in Paris. Noch vor einigen Tagen war ich in der Stadt Dohuk und sah von meinem Hotelbalkon auf die kurdischen Berge. Und davor: Gaza. Von meinem Hotelzimmer blickte ich jeden Morgen auf einen Hinterhof, in dem Flüchtlingsfamilien schliefen.
BZ: Halten Sie das Hotel für den idealen Wohnort? Rados: Es ist der Preis, den man zu zahlen hat, wenn man vor Ort sein möchte. Vor Ort sein, ist eine Notwendigkeit für Reporterinnen und Reporter. Anders ist es kaum möglich, Urteile zu fällen.
BZ: Was ist die wichtigste Eigenschaft für Ihren Beruf? Rados: Gute Schuhe und ein klarer Blick.
BZ: Kann man sich jemals an Krieg und Gewalt gewöhnen? Rados: Niemals. Der schönste Moment im Krieg ist für mich immer noch der Moment, in dem ich wieder wegfahre.
BZ: Ist die andauernde Präsenz von Gewalt nicht permanenter Stress? Rados: Es gibt keine andauernde Präsenz von Gewalt. Gewalt "bricht" aus. Das ist der wahre Stress, dieses ständige Warm- und Kalt-Bad. In der einen Minute Ruhe und in der nächsten knallt es, man weiß aber nie, wann es knallen wird.
BZ: Was ist Ihre Strategie, wenn es gefährlich wird? Rados: Meistens bin ich ein Bündel an Rationalität: Ich will sehen, wo geschossen wird. Ich will Sicherheitsvorkehrungen treffen, nicht den Kopf in den Sand stecken. Es kommt schon auch vor, dass ich die Augen einfach zudrücke und hoffe, es wird schon kein Mörser einschlagen, dort wo ich schlafe.
BZ: Sind Sie ein mutiger Mensch? Rados: Nein, alles andere als mutig. Ich meine aber, eine Frau tut sich in Kriegsgebieten leichter als ein Mann, Ängste einzugestehen. Das ist manchmal gut in einer Gruppe, die vor Angst nicht mehr weiß, was tun. Einer spricht es aus: Ich habe Angst!
BZ: Wie reagieren Ihre Gesprächspartner in Krisengebieten, wenn Sie als Frau dort recherchieren? Rados: Die Kriegs-Welten haben sich inzwischen an Reporterinnen gewöhnt. Es ist nichts Ungewöhnliches mehr, wenn anstatt eines Mannes eine Frau auftaucht. Die schlimmste Frage hat mir aber vor einigen Jahren ein konservativer afghanischer Islam-Lehrer gestellt. Er sah mich lange mitleidig an und sagte: "Haben Sie denn niemanden, der für Sie sorgt? Warum müssen Sie arbeiten?" Ich fiel beinahe vom Polster vor Lachen.
BZ: Wie viel Mitgefühl dürfen Sie sich erlauben? Ist klare Empathie schon Kommentar oder noch Teil der Nachricht? Rados: Das ist eine schwierige Frage, die man je nach Fall beantworten muss. Reporter ohne Mitgefühl sind keine Reporter: Wie kann man gegenüber einem Flüchtlingskind, das Krebs hat, kein Mitgefühl haben? Aber ob es in den Bericht muss, steht auf einem anderen Blatt.
BZ: Was machen Sie, um nach einem Einsatz wieder in ihren Alltag in Paris zurückzufinden? Rados: Ich habe mehrere Leben. Eines in Kriegsgebieten. Ein anderes daheim. Dazwischen gibt es keine Brücke. Dazu sind diese Welten zu unterschiedlich.
BZ: In Ihren Reportagen geht es sehr oft um die Rechte der Frau, wie auch jetzt wieder in "Die Bauchtänzerin und die Salafistin". Ist das "Ihr" Thema? Rados: Über die Hälfte der Weltbevölkerung sind Frauen. Darüber zu berichten, ist daher keine "Nischen-Berichterstattung". Mein Vorteil als Frau ist es, dass ich leichter an andere Frauen herankomme als ein Mann.
BZ: Sie haben in Ägypten zwei Schwestern kennengelernt, die die Zerrissenheit des Landes in ihrer Familie spiegeln: den schillernden Bauchtanz-Star Dina und die Salafistin Rita. Rados: Die beiden Schwestern zeigen das Problem des 21. Jahrhunderts, präzise gesagt, unser Problem des 21. Jahrhundert: Jeder sucht seine Identität. Da die globale Welt keine Grenzen mehr hat und auch keine klaren Identitäten mehr, ist jeder auf der Suche: Wer bin ich? Die Bauchtänzerin fand ihre Identität in knappen Kostümen. Ihre Schwester im Vollkörper-Umhang. Gleich auf den ersten Blick sieht man bei beiden sofort, wer sie sind.
BZ: Wie ist es, ein Interview mit einer Frau mit Gesichtsschleier zu führen? Rados: Eine irritierende Angelegenheit: Wir sind es gewohnt, jemandem in die Augen zu schauen. Im Orient ist das ohnehin weniger verbreitet, aber eine Frau ohne Gesicht ist schwierig zu erfassen. Ich versuchte ständig, so wenig Gesichtsregung wie nur möglich zu zeigen, denn sie hatte ja auch keine.
BZ: Eine besondere Herausforderung? Rados: Vieles, was ich wissen wollte, blieb unausgesprochen. Andererseits erzählte sie mir Dinge, die ich nie erwartet hätte. Jede Reportage ist ein Akt des Kompromisses, die perfekte Reportage gibt es nicht.
BZ: Hätten Sie es bei den Gesprächen mit Rita nicht leichter gehabt, wenn Sie selber ein Kopftuch getragen hätten? Rados: Ja, sicherlich, aber meine Haltung zum Kopftuch ist folgende: Ich trage lieber keines (außer, ich muss in gewissen Lagen, um das Team und mich nicht zu gefährden). Wenn andere ein Kopftuch tragen, stört es mich jedoch nicht.
Antonia Rados, geboren 1953 im österreichischen Klagenfurt, studierte Politikwissenschaft in Salzburg und Paris sowie Internationale Beziehungen in Bologna. Von 1980 an war sie in der außenpolitischen Redaktion des ORF tätig, mit Stationen in Washington und Rom. Seit 1991 berichtet sie mit Unterbrechungen für RTL aus Krisengebieten. Rados lebt mit ihrem Lebensgefährten in Paris. - Antonia Rados: "Die Bauchtänzerin und die Salafistin". Amalthea-Signum-Verlag Wien 2014. 224 S., 19,95 Euro.
Autor: Andrea Herdegen
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