Seit 25 Jahren schreibt Martin Suter Bestseller. Er ist der erfolgreichste lebende Schriftsteller der Schweiz. Ein Gespräch über rosa Elefanten, Gentechnik und Realismus.
Herr Suter, wie würden Sie reagieren, wenn jetzt ein kleiner rosa Elefant durchs Zimmer laufen würde?
Kommt darauf an, wie viel ich vorher getrunken habe. Wenn ich nüchtern wäre, wüsste ich, dass es sich um etwas gentechnisch Erzeugtes handelt. Wenn ich betrunken wäre, würde ich denken, ich sollte vielleicht ein bisschen bremsen.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, in einem Roman durch Gentechnik diesen kleinen Elefanten zu erschaffen?
Das war gar nicht meine Idee. Das war die Idee eines Hirnforschers, Professor Jucker, der mir bei einem Alzheimer-Kongress in Tübingen so nebenbei gesagt hat, es wäre heute kein Problem, einen rosaroten kleinen Elefanten zu erschaffen. Das war vor mehr als zehn Jahren, aber es ist mir im Kopf geblieben.
Und aus so einer Bemerkung wird dann ein Buch?
Ja, mit etwas Glück wird ein Buch daraus.
Können Sie sich vorstellen, dass Sie - so wie Schoch im Buch - Ihr ganzes Leben darauf ausrichten, den Bedürfnissen dieses kleinen Elefanten gerecht zu werden?
Wenn man Kinder hat, kann man sich das vorstellen, dass man sein ganzes Leben ausrichtet nach den Bedürfnissen von jemand anderem, doch, doch.
Wie schafft es das niedliche Tier, dass sich nach und nach die Menschen in seiner Umgebung in verantwortungsvollere, liebenswertere Menschen verwandeln?
Es schafft es ja nicht bei allen. Aber natürlich kann es, wie alle kleinen schutzbedürftigen Wesen, diesen Instinkt in uns ansprechen, der uns kleine und schutzbedürftige Wesen beschützen lässt.
Für „Elefant" haben Sie in der Obdachlosenszene recherchiert. Wie haben Sie das Vertrauen dieser Menschen gewonnen?
Das habe ich dadurch gewonnen, dass ich mit zwei ehemaligen Obdachlosen geleitete Führungen gemacht habe durch die Welt dieser Menschen. Sobald ich das Vertrauen meiner Guides hatte, hatte ich es - über sie - auch von den anderen.
Sie mussten für Ihr Buch noch mehr recherchieren. Über Gentechnik. Über das Wesen und das Verhalten von Elefanten.
Das macht Spaß. Es passiert mir immer, dass ich in so eine Geschichte hinein schlittere, und dann bleibt mir nichts anderes übrig, als dass ich das lernen muss. Zumindest, wenn es sich um Dinge dreht, von denen ich nichts verstehe - und das ist meistens so.
Fühlen Sie sich im Unwahrscheinlichen, im Fantastischen beim Schreiben wohl?
Eigentlich nicht einmal so. Ich habe ganz gern den Realismus. Ich versuche, das Fantastische möglichst realistisch darzustellen. Es macht mir Spaß, wenn die Leser nicht mehr sicher sind: Gibt es das jetzt? Oder hat er das erfunden? Deswegen muss man genau recherchieren. Denn alles, was man nachprüfen kann, muss auch stimmen. In diesem Netz von Tatsachen kann man dann ganz gut ein paar Lügen auftischen.
„Elefant" ist voller Spannung. Birgt die Realität - das Geschäft mit der Genmanipulation - einen vergleichbaren Zündstoff?
Der potenzielle Zündstoff in der Realität ist natürlich noch viel, viel größer. Ich habe versucht, auch durch die Wahl dieses Tierchens, das Thema möglichst possierlich darzustellen. In der Hoffnung, dass es einem dann doch noch ein bisschen kalt über den Rücken läuft. Aber natürlich: Das Potenzial dieser Techniken ist immens. Es ist das Potenzial, Gutes zu tun für die Menschheit, Krankheiten auszurotten, Organe herzustellen, ohne dass jemand dafür sein Leben lassen muss. Auf der anderen Seite: Wenn man eingreifen kann in die Erbmasse der Menschen, dann kann man natürlich auch Menschen nach eigenem Design und nach eigenen Qualitätskriterien herstellen. Das wäre ein sehr gefährlicher Aspekt.
Wie schaffen Sie es, dass Sie stets den Nerv der Zeit mit Ihren Geschichten treffen?
Das ist eigentlich nie der Plan. Ich kann es mir nur so erklären: Es liegt an meiner Liebe zum Realismus, dass man die Welt beschreibt, so wie sie ist. Dann tauchen diese Themen auf. Ich glaube, wenn man realistische Geschichten schreibt, trifft man den Nerv der Zeit, ob man will oder nicht.
Das Interview führte Andrea Herdegen.
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