Viele Herrscher im Nahen Osten hassen den katarischen Sender Al Jazeera. Wir machen weiter und berichten über alles, egal wie wir es finden, sagt Korrespondent Elshayyal.
ZEIT ONLINE: Herr Elshayyal, Katars Nachbarn am Golf hatten die Schließung von Al Jazeera zu einer Bedingung für ein Ende der Blockade gegen das Emirat gemacht, haben aber mittlerweile eingelenkt. Wie steht es um Al Jazeera?
Jamal Elshayyal: Wir halten uns raus aus dieser politischen Auseinandersetzung. Wir sind ein unabhängiges Medienunternehmen und werden unsere Berichterstattung fortsetzen. Und selbst wenn wir als Institution geschlossen werden sollten: Man kann das, wofür Al Jazeera seit 20 Jahren steht, nicht abschaffen. Wir haben in der arabischen Welt einen Journalismus etabliert, der allen Seiten eine Stimme gibt. Das wird bleiben, egal was passiert.
ZEIT ONLINE: Al Jazeera ist mit täglich rund 50 Millionen arabischsprachigen Zuschauern das Medium mit der größten Reichweite in der Region. Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe für den Boykott?
Jamal Elshayyal
ist Journalist und arbeitet seit 2006 für Al Jazeera mit dem Schwerpunkt Mittlerer Osten. Er hat unter anderem aus Ägypten, Libyen und Syrien berichtet. Seit 2016 ist er Korrespondent für Al Jazeera Englisch im katarischen Doha.
Elshayyal: Man muss sich anschauen, wer diese Blockade gegen Katar anführt: eine absolute Monarchie wie Saudi-Arabien, das Frauen im 21. Jahrhundert verbietet, Auto zu fahren. Die Emirate, in denen politische Aktivisten gefoltert werden. Ägypten, wo Dutzende Journalisten und Oppositionelle verfolgt und misshandelt werden. Wenn also einige der repressivsten Regime der Region eines der wichtigsten Medienhäuser schließen wollen, scheint klar, worum es geht: Sie wollen jede Kritik loswerden. Die meisten anderen Medienhäuser im Mittleren Osten unterstützen die rigide Linie ihrer Staatsführer. Al Jazeera berichtet über Missstände und Menschenrechtsverletzungen. Deswegen werden wir zur Zielscheibe.
ZEIT ONLINE: Warum fühlen sich die anderen Golfstaaten durch Al Jazeera bedroht?
Elshayyal: Als Al Jazeera 1996 als erster panarabischer Sender mit dem Ziel gegründet wurde, Meinungsvielfalt abzubilden, wirbelte das die arabische Medienlandschaft durcheinander. Al Jazeera war eine alternative Stimme gegenüber den despotischen Regimen. Wir haben über Korruption, politische Repression und Polizeiwillkür berichtet. Wir haben die Opposition zu Wort kommen lassen und gezeigt, wie sich junge Araber gegen ihre Despoten wehren. Diese fürchten, dass das ihre Autorität infrage stellt.
ZEIT ONLINE: Die Gegner von Al Jazeera sagen, der Sender unterstütze Terroristen.
Elshayyal: In unserer digitalen Zeit, wo sich jeder online zu allem äußern kann, kann man einfach behaupten, was auf Al Jazeera gezeigt wird, entspreche nicht der Realität. Belegen kann diesen Vorwurf niemand.
ZEIT ONLINE: Al Jazeera ist einer der populärsten Sender der arabischen Welt. Aber er hat auch von Beginn an provoziert. Er ließ Säkularisten und Islamisten diskutieren, Dissidenten zu Wort kommen, aber er zeigte auch die Videobotschaften von Osama bin Laden.
Elshayyal: Ja, aber das bedeutet nicht, dass der Sender seinen Terror unterstützt hätte. Ein Gegenbeispiel: Wir haben in den USA gerade gewaltsame Proteste von Neonazi-Gruppen erlebt. Wenn CNN ein Interview mit einem dieser Rassisten geführt hätte, würde doch auch niemand sagen, dass CNN Rassismus unterstützt. Es gibt diese Menschen, also muss man mit ihnen reden. Wichtig ist, dass man das einordnet - und nicht eine Plattform für ihre Propaganda bietet.
ZEIT ONLINE: Die Abgrenzung zur Gewalt ist bei Al Jazeera nicht immer eindeutig. Die Scharia und das Leben war lange die populärste Sendung. Darin konnten Anrufer live Jussuf al-Karadawi zum Islam befragen. Karadawi ist ein geistiger Anführer der Muslimbruderschaft. Viele Kritiker werfen Karadawi vor, Terror zu unterstützen. Er billigte etwa Selbstmordattentate im Kampf der Palästinenser gegen Israel.
Elshayyal: Karadawi hat diese Art von Märtyrertod unterstützt. Er ist aber auch nach Afghanistan gereist, um die Taliban davon abzuhalten, alte buddhistische Tempel zu zerstören. Er hat sich immer dafür eingesetzt, dass Frauen studieren und arbeiten können. Qaradawi ist einer der einflussreichsten muslimischen Gelehrten, es war richtig, ihn auftreten zu lassen, auch wenn wir nicht mit allen seinen Haltungen übereinstimmen.
ZEIT ONLINE: Hätte man dann nicht seine Äußerungen zu Terror und Gewalt klarer verurteilen müssen?
Elshayyal: Karadawi ist mittlerweile über 90 und hat diese Äußerungen vor vielen Jahren gemacht. Er hat auch nicht jede Woche Palästinenser dazu aufgerufen, sich in die Luft zu sprengen. Das ist Quatsch. Seine Shows handelten von Alltagsfragen der Muslime: zur Ehe, zum Erbrecht oder zum Rauchen. Es ging nicht um politische Agitation, sondern um Fragen zur Auslegung der Scharia.
ZEIT ONLINE: Al Jazeera wurde mit seiner professionellen Berichterstattung über den 11. September 2001 und die Kriege in Afghanistan und Irak bekannt. Während des Arabischen Frühlings aber agierte der Sender als politischer Akteur und unterstützte die revolutionären Kräfte.
Elshayyal: Wir sind keine politischen Aktivisten, sondern versuchen, alle Seiten abzubilden. Deswegen werden wir von allen politischen Fraktionen gehasst. In Ägypten etwa war der damalige Präsident Hosni Mubarak gegen uns, dann die Muslimbrüder, jetzt Abdel Fattah al-Sissi. Wir wollen uns nicht bei den Mächtigen dieser Welt beliebt machen.
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