Das Volk hat gesprochen. Freilich hätten manche gerne gehabt, wenn ihm das Wort im Hals stecken geblieben wär. Bestenfalls ein geröcheltes „Ja“ wäre für sie verkraftbar gewesen. Das Volk hat aber nicht geröchelt, es hat gesprochen. Ein lautes, deutliches „Nein“. 3.558.450 mal.
Glücklicherweise hat diesmal niemand gefragt, ob die Griechen überhaupt wissen, wie das funktioniert, so ein Referendum, wo doch die letzte Volksbefragung 1974 stattgefunden hat – auch damals wollten die Griechen übrigens etwas loswerden, den König nämlich, der sich ständig in die Politik einmischte, von innen putschte und mit den Junta-Generälen und anderem Gesocks im Bussi-Bussi-Modus unterwegs war. Trotzdem: als Premier George Papandreou vor vier Jahren schon mal die Idee hatte, das Volk zum Sparkurs zu befragen, was ihn übrigens den Kopf, oder doch zumindest den Kragen kostete, haben sich manche Journalisten – Korrespondenten in der Mehrzahl - tatsächlich Sorgen gemacht deshalb. Auch Papandreou selbst hat die Frage, ob der Souverän wisse, wie man einen Stift in die Hand nimmt und ein Kreuzerl macht, offenbar so nachhaltig nachdenklich gestimmt, dass er diesmal strikt gegen das Referendum war.
Mit dieser Meinung war er, wenn nicht in bester, so doch in größter Gesellschaft. Die Kunde vom Referendum hat selbst Kostas Karamanlis – auch er Ex-Premier - aus der Schockstarre erwachen lassen – etwas, womit in Griechenland eigentlich niemand mehr gerechnet hatte. Karamanlis erwachte also, sagte „ja“ – und ward dann nur noch auf einer Karikatur gesehen: „Stimmt mit ‚Ja‘, damit ich in sieben Jahren wieder zu Euch spreche“. Allerdings sind wir an dieser Stelle etwas ungerecht. In Karamanlis Regentschaft 2004 bis 2009 fiel ein kleines Malheur, nämlich entgleisten die Staatsschulden und schossen um 110 Milliarden Euro beziehungsweise um 65 Prozent in die Höhe. Wenn nicht Karamanlis die Griechen zum Sparen aufrufen sollte – wer dann?
Aber auch das gesamte griechische Privatfernsehen, die Hauptinformationsquelle der meisten Griechen, hat mit kräftiger Stimme in den Chor der Sparbefürworter eingestimmt. Das ist schon deshalb erstaunlich, weil diese Sender in der regel unrentabel sind und nur durch großzügige, ungedeckte Kredite am Leben erhalten werden. Dass die junge Athener Regierung von dem leisen politischen Druck auf die Banken, der dazu nötig war, nichts wissen wollte, hat sie in den Augen der Oligarchen, die die Sender betreiben, nicht gerade attraktiver werden lassen. Dass Tsipras dann auch noch auf die Idee kam, ein Lizenzvergabeverfahren anzukündigen – etwas, was die Vorgängerregierungen die vergangenen 30 Jahre irgendwie übersehen hatten - hat dem Fass den Boden ausgeschlagen. Saperlott, da will uns jemand an den Kragen – auf ihn mit Gebrüll!
Und so war die vergangene Woche gefühlt eine einzige Sondersendung – von dem Augenblick an, da Tsipras das Referendum ausrief, bis zum Tag der Abstimmung. Zwischen Hysterie und Panikmache. In einem Land, in dem jeder vierte in Armut lebt, jeder dritte akut von Armut bedroht ist, in dem die Selbstmorde um 40 Prozent zugenommen haben, die Leute Antidepressiva konsumieren wie anderswo die Menschen Halsbonbons, in einem Land, wo für Tausende der Gang zur Suppenküche den Gang in den Supermarkt ersetzt hat, Dinge, über die im griechischen Fernsehen kaum bis gar nicht berichtet wird, gab es plötzlich nurmehr ein Thema: die Schlangen vor den Bankautomaten.
Die ungedeckten Kredite, von denen die Sender leben, haben ganz offensichtlich auch das Rechnungsvermögen ihrer Journalisten eingetrübt. Was zu, sagen wir, kleinen Ungleichgewichten in der Berichterstattung geführt hat. So wurde über die Nein-Demonstration Anfang vergangener Woche in allen griechischen Privatsendern zusammengenommen nur 4 Minuten berichtet, über die Ja-Demo tags darauf 43 Minuten. Ein Sender, der möglicherweise nicht in den Verdacht der unausgewogenen Berichterstattung geraten wollte, hat das Problem gelöst, indem er die Demonstration fürs Nein schlicht verschwiegen hat. Genau: 0 Minuten zur Nein-Demo, 7 Minuten 13 Sekunden zur Ja-Demo.
Über die Umfragen, in denen das „Ja“ gut abschnitt, wurde freilich ausgiebig berichtet – allerdings sollen die gefälscht gewesen sein, berichtet zumindest ein griechisches Nachrichtenportal. Die griechische Journalistengewerkschaft spricht von roher Propaganda, und beim griechischen Rundfunkrat sind über 3.000 Zuschauerbeschwerden eingegangen, die Angelegenheit wird nun geprüft. Auch die Staatsanwaltschaft hat sich mittlerweile eingeschaltet. Neun big shots des Privatfernsehens sind bereits vorgeladen, gegen weitere 11 wird ermittelt.
Trotz all dem hat das griechische Volk, der Demos, gesprochen und nicht geröchelt. Und so lange man es sprechen lässt, wird es seine Meinung kund tun. Ob sie gefällt, oder nicht. Das war – außer dem Nein zur Austerität – die zweite große Botschaft des griechischen Referendums.
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