Verzeihen Sie, wenn ich so direkt bin, aber ich glaube, wir sollten mal reden - über ein Thema, über das wir seit Jahren beharrlich schweigen. Über die Lage der Menschenrechte in Griechenland in Zeiten der Krise. Es ist zwar durchaus nicht so, dass niemand jemals ein Wort darüber verloren hätte. Personen von nicht geringer Prominenz haben im Laufe der vergangenen Jahre immer wieder darauf hingewiesen, dass wir da in Europa ein kleines Problem haben.
Cephas Lumina zum Beispiel, Berater der Vereinten Nationen für Auslandsschulden und Menschenrechte, warnte bereits 2011, der Griechenland auferlegte Sparkurs könne die Menschenrechte benachteiligter Bevölkerungsgruppen verletzen. Das war, wie gesagt, 2011, oder genauer: wenige Tage, bevor das zweite Sparpaket im Eiltempo durchs griechische Parlament gewunken wurde. 2013 legt der UN-Experte nach und beklagte die Verletzung individueller, sozialer, politischer, wirtschaftlicher und kultureller Menschenrechte durch die Sparauflagen und die Rettungspolitik der EU in Griechenland. "Das angebliche Ziel der Maßnahmen ist, das Haushaltsdefizit zu reduzieren, die Arbeitskosten zu senken und die Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen", so Lumina damals. Die sichtbaren Fakten jedoch würden ergeben, dass die übertrieben rigiden Maßnahmen eine Schrumpfung der Wirtschaft und beträchtliche soziale Kosten für die Bevölkerung zur Folge hätten. 2014 legte der Rechtsanwalt und Menschenrechtsexperte seinen Abschlussbericht vor: Darin war wieder von Verfassungsverstößen und Menschenrechtsverletzungen in Griechenland die Rede, vor allem von einem Verstoß gegen das Recht auf Wirtschaftsentwicklung und Fortschritt.
Seither hat sich wenig geändert außer der Mann auf dem Posten. Auf Cephas Lumina folgte Juan Pablo Bohoslavsky. Auch er hat die Lage der Menschenrechte in Griechenland untersucht, und auch er kam zu dem Schluss, dass sich die Lage keinesfalls verbessert habe, allenfalls habe sie sich verschlimmert: Grundlegende wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Rechte seien teilweise nicht mehr garantiert, und das in einem hochentwickelten Land der Europäischen Union. Griechenland halte keine weitere Austerität mehr aus, mahnte Bohoslavsky vergangenen Sommer - dennoch verabschiedete das griechische Parlament auf Druck der Geldgeber nur wenige Wochen später das dritte Sparpaket; der Philosoph Jürgen Habermas bezeichnete es als toxisch. Auch die Internationale Vereinigung der Menschenrechtsligen mit Sitz in Paris hat schon vor längerer Zeit einen umfangreichen Bericht zur Lage der Menschenrechte in Griechenland vorgelegt. Was als Wirtschafts- und Finanzkrise begonnen hat, heißt es darin, sei zu einem beispiellosen Angriff auf die Menschenrechte und die demokratischen Standards geworden.
Wer die Situation in Griechenland seit 2010 kennt, dürfte sich über diese Berichte freilich kaum wundern. Was uns dagegen in allerhöchstem Maße verwundern sollte, ist das Schweigen darüber. Weder Politik noch Medien - weder in Deutschland noch in Griechenland - haben sich je mit den Auswirkungen der Rettungspolitik auf die Menschenrechtslage auseinander gesetzt. Und wer nun einwendet, Griechenland habe sich schließlich selber in diese missliche Lage manövriert, dem sei entgegnet, dass keiner der angeführten Experten das Problem bezweifelt - kritisiert wird der Lösungsansatz. Der ist zwar, möchten wir unseren Politikern quer durch die EU Glauben schenken, ohne Alternative. Allerdings auch nur so lange, wie wir denselben Politikern den Gefallen tun, über Alternativen nicht zu reden.