So unterschiedlich die Tanzflächen dieser Welt sind, so unterschiedlich sind auch ihre Tänzer:innen. Wir wollten herausfinden, wie diese selbst auf ihre Kunst schauen und vor welchen Herausforderungen sie stehen.
Die Augen sind geschlossen, alles ist schwarz und trotzdem könnten die Emotionen nicht bunter sein. Die Bewegungen folgen dem Beat und es gibt nichts als den Moment gemeinsam mit all den Freund:innen, Fremden und denen, die irgendwo dazwischen liegen, um einen herum. Viele von euch kennen bestimmt diese Magie der Tanzfläche, wenn auch gleich sie für einige ganz anders aussehen mag. Wir haben uns gefragt, wie dieses 'anders' konkret aussehen kann und welche Bedeutung Tanzen im Leben verschiedener Menschen hat.
Um diesen Fragen nachzugehen, haben wir im Rahmen unserer Zusammenarbeit mit Desperados und deren Rave To Save-Kampagne mit zwei Berliner Kreativen darüber gesprochen, was Tanzen für sie und ihre Community bedeutet und auf welchen Tanzflächen sie diesen Sommer zu finden sind.
Damon ist Künstler, Performer, Tänzer und Drag-Artist – vor allem aber möchte er sich und seine Kunst nicht in eine Schublade stecken lassen. Das ist auch das Konzept seines Kollektivs Kvetch, das er gemeinsam mit Freund:innen gegründet hat.
Wie bist du zum Tanzen gekommen?
Da gab es zwei große Einflüsse: Zum einen hat mein damaliger Partner mich dazu ermutigt, mit ihm zusammen an einer Drag-Performance teilzunehmen. Das hat mir viel gegeben – ich habe mich empowered gefühlt! Durch mein Kollektiv Kvetch habe ich dann die Plattform bekommen, zu tanzen, zu performen und mich verwirklichen zu können. Da wir unsere Regeln selbst machen, hatte ich die Möglichkeit, mich als Künstler erst einmal selbst zu finden.
Wieso tanzt du?
Tanz ist ein Medium, mit dem man sich ganz anders ausdrücken kann als mit Worten oder Bildern. Tanzen ist empowering. Ich habe mich selten so gestärkt gefühlt, so lebendig – bis zu einem Punkt, wo man einfach auch nicht mehr darüber nachdenkt, wie etwas von außen aussieht. Tanzen gibt mir das Gefühl, am Leben zu sein.
Wo tanzt du am liebsten?
Der Ort, der mir die meiste Kreativität und Motivation gibt, sind Events unseres Kollektivs, wo wir uns einen sicheren Raum geschaffen haben. Wenn ich tanzen will, vielleicht sogar Make-up auftragen oder ein Kleid tragen will, dann sind es aus meiner Erfahrung sonst nur queere Events, bei denen ich mich wirklich sicher fühle. Das sind Orte der Selbstbestimmung, wo man als Mensch gefeiert wird.
Wieso ist es wichtig, dass Tanzflächen sichere und akzeptierende Orte ohne Diskriminierung sind?
Ich war die größte Zeit meines Lebens übergewichtig. Als schwule Person hatte ich gewisse Vorstellungen davon, wie ich aussehen sollte. Das hat sich verfestigt und dazu geführt, dass ich sehr introvertiert war. Durch meinen Gewichtsverlust habe ich dann gemerkt, dass sichere Orte allen die Möglichkeit geben, diese selbstauferlegte Restriktion abzulegen. Man muss nicht darüber nachdenken: Werde ich gerade sexualisiert? Lacht gerade jemand über mich? Sondern im Gegenteil: Man fühlt sich einfach sicher.
Was bedeutet Tanz für deine Community?
Für mich ist Tanzen Selbstausdruck – und dafür hat uns die Drag-Community schon vor Jahrzehnten den Weg geebnet. Sie ist der Urkern unserer queeren Community. Egal, was passiert, keiner wird dich schief anschauen, denn die haben die Maßstäbe da oben angesetzt – für Make-up, Verrücktheit, Lautheit, Persönlichkeit.
Hat das Tanzen dich über die Jahre hinweg in irgendeiner Form auch verändert?
In vielerlei Hinsicht. Ich finde, Tanzen hilft bei der Identitäts- und Selbstfindung. Das hat schon als Kind angefangen. Ich kann mich noch daran erinnern, als ich zu Shakiras Whenever, Wherever getanzt habe. Meine Mutter hat das gefeiert. Dann hat mir aber irgendwann mal jemand gesagt, dass das nicht geht und ich habe aufgehört. Jahrelang war Femininität dann absolut tabu für mich. Ich habe mich dafür geschämt. Erst vor vier, fünf Jahren habe ich angefangen, Femininität beim Tanzen wieder zuzulassen.
Auf welchen Tanzflächen wird man dich diesen Sommer finden?
Ich werde diesen Sommer viel reisen. Die Tanzflächen könnten also überall sein. Wenn ich zum Beispiel in einem Video unterwegs einen Tanzmove sehe, mache ich ihn direkt nach – das kann mitten auf der Straße sein, im Park, im Club oder auf allen möglichen öffentlichen Plätzen. Außerdem stehen Festivals dieses Jahr auf der Liste und ab August performe ich regelmäßig beim Event eines Freunds.
Lilia von Femme Bass Mafia
Lilia ist die Gründerin von Femme Bass Mafia, kurz FBM. Die Bass-Crew hat sich zum Ziel gesetzt, für Frauen, trans und nicht-binäre Menschen einen sicheren Raum zu schaffen, um DJing zu lernen.
Kannst du mir mehr über Femme Bass Mafia und deine Rolle dort erzählen?
Unser Fokus liegt auf Bass Music. Wir wollen die Musikszene in Berlin, die traditionell sehr House- und Techno-orientiert ist, aufmischen. Ich bin 2020 allein mit FBM gestartet, mittlerweile leiten wir die Crew zu dritt. Über ein halbes Jahr trainieren wir eine Gruppe aus sechs Leuten im DJing. Alle zwei Wochen findet in einem Club ein Workshop statt, der von Berliner DJs und Produzent:innen geführt wird.
Wie bist du zum Tanzen gekommen?
Meine erste Berührung mit Tanz war als Kind: Ich wollte Ballerina werden. Dafür war ich aber nicht talentiert genug. Dann habe ich irgendwann meine Leidenschaft für elektronische Musik entdeckt. Als Club- und Partybesucherin war Tanzen dann lange ein großer Teil meines Soziallebens. Es gab auch Momente, in denen Tanzen wie eine Art Therapie für mich war – so kitschig das auch klingen mag. Ich nehme außerdem schon lange Tanzstunden – und einer meiner besten Freunde ist Choreograf. Er hat mich zu Shows mitgenommen und war ein großer Einfluss für mich.
Wie würdest du deinen Tanzstil beschreiben?
Das kommt ganz auf die Musik und Stimmung an. Ich tendiere zum Skanking mit Headbanging und so. Es kommt aber auch vor, dass ich versuche zu twerken.
Wieso tanzt du?
Auf der Tanzfläche fühle ich mich einfach gut. In die Bewegung zu finden, hat auch etwas mit Selbstfindung zu tun. Es gibt auch diesen mentalen Aspekt, du kommst in so eine Art Trance. Manchmal hat man auch eine Euphorie-Phase, in der man einfach stundenlang tanzen kann und an nichts anderes denkt. Dann gibt es noch den physischen Aspekt, du bleibst fit und fühlst dich stark. Ich liebe auch die Ästhetik. Außerdem verbindet Tanzen: Man ist zusammen auf der Tanzfläche und kommt ins Gespräch.
Wieso ist es wichtig, dass Tanzflächen sichere und akzeptierende Orte ohne Diskriminierung sind?
Es ist schwer komplett du selbst zu sein beim Tanzen, ohne Kommentare, Blicke oder Berührungen zu riskieren. Man kann so einfach sexualisiert werden oder irgendjemand nimmt deine Bewegungen ungefragt als Einladung, zusammen zu tanzen. Dabei ist Tanzen in erster Linie etwas, das du für dich selbst tust.
Vor allem geht es darum, allen marginalisierten Communitys zu ermöglichen, sich in einem öffentlichen Raum sicher zu fühlen – und auch darum, die Musik wertzuschätzen, die von marginalisierten Communitys, BIPOCs und queeren Menschen kommt. Es gibt nicht genug Repräsentation marginalisierter Geschlechter hinter den Decks. Es ist nicht so einfach für eine FLINTA-Person, sich in der Musikindustrie weiterzuentwickeln, weil wir nicht sozialisiert wurden, so viel Raum einzunehmen.
Was bedeutet Tanz für deine Community?
Zusammenkommen, Spaß haben und die Musik genießen – und uns feiern. Wir schaffen uns ein Supportsystem und boosten unser Selbstvertrauen.
Auf welchen Tanzflächen wird man dich diesen Sommer finden?
Wir sind bei mehreren Festivals und hosten als Femme Bass Mafia außerdem eine Partynacht in Berlin.
Magische Orte gibt es nur wenige auf dieser Welt – Tanzflächen gehören aber auf jeden Fall dazu. Mit dem Versprechen, in dieser Saison über 115 000 Euro im Rahmen der Rave to Save-Kampagne zu spenden, will Desperados den Festivalsommer mit Liebe erfüllen. Damit verpflichten sie sich nicht nur dazu, das Bewusstsein für dieses wichtige Thema zu schärfen, sondern auch dazu, einen aktiven Schritt zu machen, um jeden Dancefloor in einen akzeptierenden Ort ohne Diskriminierung zu verwandeln. Jeder Dancemove, der während den Rave to Save Events gemacht wird, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wie du sie in diesem Vorhaben unterstützen kannst, erfährst du hier: .