Ich interessiere ich mich eigentlich nicht für Tattoos. Doch neulich stach mir eines ins Auge, das mich stutzig machte. Den Unterarm einer jungen Frau zierte bis zum Handrücken ein großer schwarzer Rosenkranz. Ich saß in einem Restaurant zufällig neben ihr und sprach sie darauf an. Tatsächlich verbarg sich eine emotionale Geschichte hinter dem auffälligen Körperschmuck. "Erinnerst du dich daran, als es in Mode war, einen Rosenkranz zu tragen?", fragte sie mich aufgebracht. "Einfach jeder Popstar ist damit auf der Bühne rumgelaufen." Ich entsann mich, es muss irgendwann Anfang der 2000er gewesen sein. Auch heute ist er Teil von so manchem Bühnenoutfit.
Für die junge Frau war es damals so unerträglich, den Rosenkranz zum modischen Accessoire trivialisiert zu sehen, dass sie dem ein Statement entgegensetzen wollte. Unter ihrer Haut, an einer sichtbaren Stelle. Mich beeindruckt diese Glaubensbekundung, ich teile ihre Empörung. Zwar ist ihre Variante kein ästhetisches Meisterstück, sondern eher grob gestochen. Sie bemerkte meine Irritation. "Das ist nichts, was du eben mal trägst, weil du es hübsch findest", sagte sie. "Ich komme aus Afrika, aus einer gefährlichen Region. Der Rosenkranz beschützt mich." Auf ihrem Handrücken habe sie ihn immer bei sich. Die Perlen sind so groß und deutlich, dass sie ihn sogar zum Beten verwenden kann - und es wohl auch tut. Die Afrikanerin zählt also zu den wenigen jüngeren Menschen, die dieses alte (aber doch einfache) Kirchengebet überhaupt noch auswendig beten können.
Ich selbst habe es meiner katholischen Kindheit im Allgäu zu verdanken, dass ich mit dem Rosenkranz aufgewachsen bin. Bei uns im Dorf gab es sogar eine von engagierten Müttern organisierte Kindergebetsgruppe, bei der als "Belohnung" für ein paar gemeinsame Gebete Nussschnecken winkten. Ich habe das Beten in Gemeinschaft gerne mitgemacht, die Lebensstationen Jesu, die dabei betrachtet werden, waren mit Bildern illustriert. Ich fand das spannend, auch gegen die Nussschnecken hatte ich nichts einzuwenden.
Später habe ich den Rosenkranz dann aus dem Blick verloren, ihn nur manchmal gebetet, wenn ich nervös war. Er hat eine sehr beruhigende Wirkung. Das teilt er mit repetitiven Gebeten anderer Religionen. Dass die Praxis hinter den hübschen Kettchen mehr und mehr in Vergessenheit gerät, finde ich deshalb schade. Statt spirituelle Formen in fernöstlichen Meditationskursen zu trainieren, greife ich inzwischen wieder gerne zur katholischen Variante. Egal ob in einer prächtigen Kirche, beim Spazierengehen in der Natur oder wenn ich Angst habe.
Die Kunst stellt gerne dar, wie Maria den Rosenkranz dem heiligen Dominikus überreicht. Als ein solches Geschenk nehme ich ihn auch wahr. Ich bin nicht nur von seiner Wirkung überzeugt, es ist auch schön, ein Gebet zu haben, das Maria in den Mittelpunkt stellt und anhand ihrer mutigen Geschichte den Lebens- und Leidensweg Jesu samt seinen Triumph über den Tod betrachtet. Das Statement-Tattoo der jungen Afrikanerin hat mich daran wieder erinnert.