"Diesen Sommer ist der Worldcup in Johannesburg, und Südafrika ist dadurch stark in den Medien vertreten. Wir wollen die Aufmerksamkeit, die eher beim Fußball liegt, nun auch auf die Menschen richten, die dort leben, auf ihre Kultur und ihre Lebensumstände", sagt Erika Köchl, Projektleiterin von Ke Nako.
"Ke Nako - Afrika jetzt!" ist der Name eines Projekts, bei dem Veranstaltungen in Kooperation mit dem Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation (VIDC) den Zuschauern die afrikanische Kultur näherbringen und verständlich machen sollen. Von Theater, Konzerten, Ausstellungen und Buchpräsentationen bis hin zu Diskussionen über Politik in Afrika ist alles zu finden.
Große Sorge: ArbeitslosigkeitIn diesem Rahmen fand letzte Woche auch das Jugendtheater No Dumping der Schauspielgruppe M.U.K.A. (Most United Knowledgeable Artists) aus Johannesburg statt, die gerade quer durch Europa tourt. Zinhle (18), einer der Schauspieler, erzählt: "Unsere Theatergruppe basiert auf der Arbeit unserer Gemeinde. Wir beschäftigen uns in unseren Stücken mit Erlebnissen, die die Mitglieder haben. Bevor wir ein Stück schreiben, diskutieren wir über die wichtigsten aktuellen Themen. In unserem aktuellen Stück behandeln wir Arbeitslosigkeit, Armut und Kriminalität." Ursprünglich von Straßenkindern in Johannesburg gegründet, ist die Gruppe inzwischen zu einer Gemeinde angewachsen, die sich, so gut es geht, in allen Lebensbereichen gegenseitig unterstützt.
"Mittlerweile sind keine Leute mehr in unserer Gemeinde, die auf der Straße leben müssen. Sobald ein Kind von der Straße aufgenommen wird, sorgen wir dafür, dass es einen Platz bekommt, wo es wohnen kann. Viele von ihnen können wir auch weiterleiten zu anderen Organisationen, bei denen sie ausgebildet werden und eine Arbeit, zum Beispiel als Security oder Handwerker, bekommen können", erklärt Zinhle.
Schöne, heile StadtObdachlosigkeit ist seit dem Ende der Apartheid 1994 zu einem großen Problem geworden. Viele Jugendliche zog es in die Städte, wo sie dachten, die große Freiheit und ein spannendes Leben genießen zu können. Doch häufig fanden sie sich auf den Straßen der Großstädte wieder. Auch heute existiert der Irrglaube von der Jobvielfalt der Städte.
"Manche Familien in Afrika sind so von Armut geplagt, dass die Kinder beschließen loszuziehen, um sich einen Job zu suchen. Doch die erhofften Jobs werden meistens nicht gefunden, und die Kinder können es sich entweder nicht mehr leisten, nach Hause zu fahren, oder trauen sich aus Scham nicht mehr, ihren Familien gegenüberzutreten. Wieder andere Kinder laufen vor den Problemen zu Hause davon, wie zum Beispiel einem gewalttätigen Elternteil", erklärt Zinhle, wie es zu der hohen Kinderobdachlosigkeit kommt. Was M.U.K.A. den Leuten, die auf den Straßen leben müssen, geben möchte, ist Hoffnung.
Das Stück No Dumping endet mit der Entdeckung der Obdachlosen, dass sie über Recycling des Mülls zu Geld kommen können und damit außerdem das Leben im Zentrum Johannesburgs wieder erträglicher machen.
Auch die Religion gibt den Menschen Halt: "Der Gesang in der Kirche verbindet und gibt Hoffnung. Für einen Moment lang ist man glücklich und fühlt sich willkommen. In Kirchen sind die Leute viel offener und verurteilen einander nicht. Jeder ist gleich. Das ist sehr wichtig für uns."
Die Apartheid wirkt nachDieses Gefühl der Gleichheit mussten die Leute im wirklichen Leben lange entbehren. Die institutionalisierte Rassentrennung während der Apartheid schränkte die Afrikaner in sämtlichen Lebensbereichen sehr stark ein. Mittlerweile hat sich die Situation gebessert. "Es gibt nur noch eine wirtschaftliche Trennung. Wir können uns einfach vieles nicht leisten, das sich Weiße leisten können. Zum Beispiel gehen wir nie in große Einkaufszentren, weil die viel zu teuer sind. Und Weiße wiederum kommen nicht in viele unserer Orte. Stück für Stück wird es aber besser", schildert der Schauspieler Brian.
Seiner Ansicht nach ist die Fußball-WM zwar alles in allem gut für die Wirtschaft, und Brian freut sich auch, dass die Spiele in Johannesburg ausgetragen werden. Dennoch weist er auf mögliche negative Auswirkungen auf die arme Bevölkerung hin: "Wir haben gehofft, dass wir Souvenirs, Obst, Gemüse und andere Waren an die Touristen verkaufen können. Aber rund um die Stadien haben nur Großkonzerne wie Coca-Cola die Erlaubnis, ihre Produkte zu verkaufen. Ich fürchte, der Worldcup wird die Trennung zwischen Arm und Reich noch mehr vergrößern."
Etwas Gutes, das die Schauspieler der Weltmeisterschaft abgewinnen können, ist die verstärkte Sicherheit. "Es sind viel mehr Polizisten auf den Straßen unterwegs, was uns das Leben um einiges einfacher macht", sagt Zinhle.
(Alicia Prager, DER STANDARD Printausgabe, 2. 6. 2010)