Je länger der Krieg in der Ukraine dauert, desto klarer wird, dass viele Geflüchtete auf absehbare Zeit bleiben werden - auch in Hessen. Doch gerade im Rhein-Main-Gebiet fehlen bezahlbare Wohnungen. Wo sollen die Menschen aus der Ukraine künftig leben?
Es ist ein sonniger Morgen. In der Küche von Tim Sperling und Daniela Hangarter brummt schon die Kaffeemaschine, da kommt ein Schwung plaudernder Menschen zur Tür herein. Sofort ist der Raum erfüllt von Stimmengewirr aus verschiedenen Sprachen. Seit Ende März lebt eine fünfköpfige Familie aus dem Nordosten der Ukraine in einer kleinen Wohnung im Souterrain des Hauses in Hofheim am Taunus.
Ursprünglich hatte die 41-jährige Alona gehofft, mit ihren Söhnen und den Großeltern nach zwei Monaten wieder nach Hause zu können. Doch ihre Heimatstadt liegt nur rund 50 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Niemand weiß, wie es dort weitergeht, ob in absehbarer Zeit wieder ein Leben ohne Angst möglich sein wird.
Die Zukunft der Kinder hat PrioritätFür den neunjährigen Timur und seinen 13-jährigen Bruder Ilya ist längst klar, was sie sich wünschen. Sie wollen in Deutschland bleiben. "Sie sehen hier mehr Möglichkeiten für ihre Zukunft", übersetzt Elena, eine Freundin der Familie, die schon lange in Deutschland lebt. Für die Erwachsenen ist die Abwägung schwieriger.
Die Mutter der Jungs, Alona, hat nicht nur ihren Mann, sondern auch einen guten Job in der Ukraine zurückgelassen. Aber die Zukunft ihrer Kinder hat für sie Priorität. Auch Großmutter Tanja ist hin- und hergerissen. Doch am Ende sei es für sie das Wichtigste, bei ihrer Familie zu sein, sagt sie.
Bezahlbarer Wohnraum für Flüchtlinge fehltDie Gastgeber Tim Sperling und Daniela Hangarter haben der Familie versichert, dass die Einladung in ihr Haus grundsätzlich unbefristet gilt. Zumindest solange der Krieg dauert. Wenn die Familie auch über die kommenden Monate hinaus in Deutschland bleibt, will Sperling sie dabei unterstützen, eine neue, eigenständigere Lösung zu finden.
Doch das könnte schwierig werden. Die Wohnungsnot ist im gesamten Rhein-Main-Gebiet groß. Im Main-Taunus-Kreis hatten die Behörden schon im Dezember Alarm geschlagen, weil bezahlbarer Wohnraum für Flüchtlinge und andere sozial Bedürftige fehlte - lange bevor die ersten ukrainischen Geflüchteten kamen.
Und allein in Frankfurt harren etwa 4.000 Menschen aus Ländern wie Afghanistan oder Syrien in Großunterkünften aus. Was ursprünglich als Übergangslösung gedacht war, wird für viele zum Dauerzustand.
Mohammad Samadi: "Die Ukrainer bekommen schneller Wohnungen"So wie für Mohammad Samadi. Der junge Afghane hat sieben Jahre lang in Sammelunterkünften im Hochtaunuskreis gelebt. "Eine Privatwohnung ist richtig, richtig schwer zu finden", sagt er. "Sobald die wissen, dass du vom Jobcenter Geld bekommst, hast du gar keine Chance."
Dabei hat Mohammad seit Jahren nicht mehr viel mit dem Jobcenter zu tun. Er hat eine Ausbildung gemacht und arbeitet als Elektriker in Oberursel. Doch er sei eben "Ausländer", sagt er, das komme bei Vermietern nicht gut an. Auch Sozialwohnungen seien fast unmöglich zu bekommen: "Ich stand auf einer Warteliste - drei, vier, fünf Jahre. Aber es hat nichts gebracht."
Wohnung dank BürgschaftNur weil deutsche Bekannte für ihn gebürgt haben, hat er vergangenes Jahr eine kleine Wohnung gefunden. Doch er kennt viele Familien, die noch immer in Sammelunterkünften leben. Bei denen gehe jetzt die Angst um, dass sie noch länger warten müssen. "Wenn deine Chancen vorher schon schlecht waren, sind sie jetzt unter Null. Die Ukrainer bekommen auf jeden Fall schneller Wohnungen, das ist klar."
Tatsächlich ist die Bereitschaft, Geflüchtete aus der Ukraine privat aufzunehmen, ungewöhnlich hoch. Und die Frankfurter Sozialdezernentin Elke Voitl (Grüne) sagt, dass viele, die sich jetzt bei der Stadt melden und privaten Wohnraum oder Hotelzimmer anbieten, explizit nur Menschen aus der Ukraine aufnehmen wollten. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden dann dafür werben, auch Menschen anderer Herkunft in Betracht zu ziehen. Erfolg hätten sie damit aber eher selten.
Darmstadt plant WohncontainerNichtsdestotrotz bedeuten die vielen Angebote privater Gastgeber für die Kommunen eine echte Entlastung: Im Hochtaunuskreis beispielsweise ist der größte Teil der fast 2.300 registrierten Geflüchteten aus der Ukraine privat untergekommen, in Wiesbaden ist es immerhin die Hälfte der mehr als 3.000 Menschen. Doch was ist mit denjenigen, die nur übergangsweise in Notunterkünften und Hotels untergekommen sind? Oder denen, die nicht auf Dauer bei ihren privaten Gastgebern bleiben können?
Die Darmstädter Bürgermeisterin Barbara Akdeniz (Grüne) geht davon aus, dass es für diese Menschen "Anschlussperspektiven" braucht. Deswegen hat die Stadt zwei neue Unterkünfte auf den Weg gebracht. Zum einen wird ein leerstehendes Bürogebäude umgebaut. Zum anderen plant die Stadt mit Wohncontainern.
Auch neue Unterkünfte in Frankfurt geplantAuch in Frankfurt seien neue Einrichtungen geplant, sagt Sozialdezernentin Voitl - darunter sowohl Notunterkünfte, als auch solche, in denen die Menschen mittel- bis langfristig unterkommen sollen. Eigentlich hatte die Regierungskoalition aus Grünen, SPD, FDP und Volt im Koalitionsvertrag zugesagt, innerhalb von fünf Jahren alle Sammelunterkünfte aufzulösen und die Menschen in eigenen Wohnungen unterzubringen.
Doch jetzt ist die Situation eine andere. Sozialdezernentin Voitl geht davon aus, dass ein Großteil der derzeit 5.700 registrierten Geflüchteten aus der Ukraine in der Stadt bleiben werden. Sie betont, die neuen Unterkünfte sollten sich auch auf Dauer zum Wohnen eignen und Privatsphäre bieten.
Flüchtlingsrat: Großunterkünfte behindern Integration"Das sind Wohnprojekte, die möglichst wohnungsnah, also mit eigenem Sanitärbereich und eigener Küche gebaut werden", so Voitl. Mehrere davon sollen in diesem Jahr an den Start gehen. Doch ob wohnungsnah oder nicht: Großunterkünfte sind bei allen Beteiligten unbeliebt.
Der hessische Flüchtlingsrat hat sie immer wieder kritisiert, weil sie die Integration behinderten. Und egal in welcher Kommune man fragt im Rhein-Main-Gebiet: Überall hört man, das Wichtigste sei, mehr reguläre - und bezahlbare - Wohnungen für alle zu bauen.
Doch in der aktuellen Lage zeigt sich, was schon 2015 und 2016 überdeutlich wurde: Auf einem überhitzten Wohnungsmarkt wie dem im Rhein-Main-Gebiet ist für Geflüchtete wenig Platz - humanitäre Notlage hin oder her.