
Nicht so alltäglich wie es aussieht: Diese Anhängerinnen des saudischen Klubs Al-Hilal können ihr Team zum ersten Mal live im Stadion sehen. Foto: afp
Rund 300 Frauen. Viel mehr waren es laut Augenzeugenberichten nicht, die am Freitag im Stadion der saudischen Küstenstadt Dschidda das Fußballspiel zwischen den Klubs Al-Ahli und Al-Batin besuchten. Trotzdem war den wenigen Frauen unter den rund 23 500 Zuschauern, die in einem von den Männerrängen abgetrennten „Familienbereich" saßen, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit sicher. Denn es war das erste Mal überhaupt, dass Saudi-Arabien seinen Bürgerinnen erlaubte, ein Fußballspiel im Stadion zu verfolgen. Die internationale Presse hat dem große Bedeutung beigemessen. In der Tagesschau war von einer „Befreiung" die Rede, beim Sportinformationsdienst von einem „wichtigen Schritt für die Gleichberechtigung", und die BBC fand, saudische Frauen schrieben „Fußball-Geschichte".
Solche Reaktionen wirken zunächst reichlich überzogen. Schließlich findet die gefeierte Reform in einem Land statt, in dem nach wie vor alle Frauen einen männlichen Vormund brauchen, in dem ihnen bei Ehebruch die Todesstrafe droht und in dem ihnen nicht zuletzt dann enge Grenzen gesetzt sind, wenn sie selbst Sport treiben wollen. In der Öffentlichkeit ist das komplett verboten, hinter verschlossenen Türen längst nicht selbstverständlich. Bis heute gibt es im ganzen Land nur einen Sportverein, „Jeddah United", in dem auch Frauen hinter hohen Mauern Basketball spielen können, wohlhabendere Sportlerinnen trainieren zum Teil in halblegalen Fitnessstudios, die in Hinterzimmern von Schönheitssalons oder Friseurläden versteckt sind. Erst im vergangenen Jahr ist Schulsport für Mädchen erlaubt worden.
Loay Mudhoon, bei der Deutschen Welle Experte für die arabische Welt, sieht durchaus die Gefahr, einer Imagekampagne der Regierung zu viel Bedeutung beizumessen: „Für die Königshäuser auf der arabischen Halbinsel ist Sport Teil des State Branding", sagt er im Gespräch mit der FR. Sie nutzten internationale Sportereignisse, um ihren Ruf bei Politikern, Investoren und Touristen aufzupolieren.
Vorbild des Kronprinzen Mohammed bin Salman, von den Saudis kurz MBS genannt, sind aus Sicht Loay Mudhoons die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Deren Führung habe es durch gutes Marketing zu einem exzellenten Ruf im Westen gebracht - obwohl sie weiterhin zu den repressivsten Regimen der Welt gehöre.
Und so sollte aus Mudhoons Sicht auch für Saudi-Arabien gelten, nicht zu bereitwillig über jedes Stöckchen zu springen, das die Spindoktoren des Regimes der internationalen Gemeinschaft hinhalten. Symbolträchtige Reformen wie die Aufhebung des Stadion- oder auch des Fahrverbots für Frauen dürften nicht darüber hinwegtäuschen, dass von Gleichberechtigung, Rechtsstaatlichkeit oder Demokratie im Land noch lange keine Rede sein kann. Darunter litten neben den Frauen auch politisch Andersdenkende und die schiitische Minderheit.
Und trotzdem gibt es gute Gründe, die Aufhebung des Stadionverbots nicht nur als unwichtige Randnotiz abzutun. Das zeigt schon die Tatsache, dass sich im schiitischen Gottesstaat Iran eine ganze Bewegung gegründet hat, die um genau dieses Recht kämpft: „Let Iranian Women Enter Their Stadiums", fordern die Aktivistinnen auf Bannern und T-Shirts. Eine der Initiatorinnen, die in Belgien lebende Exiliranerin Darya Safai, erklärte ihre Fokussierung auf das Stadionverbot in einem Interview so: „Das Stadion ist wie eine Art Gesellschaft in Miniaturform. Wenn man Frauen den Zutritt ins Stadion verbietet, schließt man sie automatisch auch aus der Gesellschaft aus." Ähnlich hatte sich eine saudische Frau nach ihrem ersten Stadionbesuch geäußert; Sie fühle sich endlich „wie eine richtige Bürgerin", sagte die 25-jährige Sultana der Agentur Reuters.
Hinzukommt laut der Aktivistin Safai, dass kaum ein Thema international so viel Aufmerksamkeit garantiere wie Sport. Als etwa die iranisch-britische Studentin Ghoncheh Ghavami 2014 monatelang im Gefängnis saß, weil sie versucht hatte, ein Länderspiel der iranischen Volleyball-Nationalmannschaft gegen Italien zu besuchen, sorgte das weltweit für Empörung und Druck auf die iranische Führung. Wie repressive Regime können also auch emanzipatorische Bewegungen den Sport für ihre Interessen nutzen.
Das sieht auch der Journalist James Dorsey so, der der „turbulenten Welt des Fußballs im Mittleren Osten“ ein ganzes Blog gewidmet hat. Er beobachtet immer wieder, dass Stadien in der Region zur Arena würden, in der um persönliche Rechte und politische Kontrolle gekämpft werde. Es gebe, so sagte Dorsey einmal, zwei Orte, die die Regime nicht vollständig kontrollieren könnten: die Moschee und das Stadion. Dorsey nannte die Aufhebung des Stadionverbots denn auch einen „Meilenstein“.
Auch DW-Experte Loay Mudhoon will die jüngsten Reformen nicht ausschließlich auf die Imagepflege der saudischen Führung reduzieren: „Der Kronprinz sieht, dass an der Öffnung seines Landes kein Weg vorbeigeht.“ Weil die Bevölkerung sich in den vergangenen 20 Jahren vervierfacht habe und das Öl zur Neige gehe, sei das Land zunehmend auf seine jungen, gebildeten Bewohner – und Bewohnerinnen – angewiesen. Und diese wachsende Gruppe sei mit dem repressiven Wahhabismus immer weniger einverstanden: „Viele haben Auslandserfahrungen und kennen die Freiheiten in anderen Ländern“, sagt Mudhoon.
Zwar gibt es keine offenen Proteste im Land wie etwa derzeit im verfeindeten Iran: „Aber wenn man in die sozialen Netzwerke schaut, sieht man, dass über die Zukunft des Landes leidenschaftlich debattiert wird.“ Der aktuelle Kurs des Kronprinzen, den Mudhoon als „autoritäre Liberalisierung“ bezeichnet, komme bei diesen jungen Leuten sehr gut an. Loay Mudhoon zeigt sich überzeugt: „Die Zeit spielt gegen den Wahhabismus.“ Und damit auch gegen den größten Gegner des Frauensports.
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