Josefine Heinemann spielte ihre erste Schachmeisterschaft mit neun Jahren. Heute ist die 24-jährige Schachgroßmeisterin auf dem Weg, eine der besten Frauen in ihrem Sport zu werden. Das Drama um Spielbetrug unter Schachgiganten wie Magnus Carlsen und Hans Niemann sieht Heinemann gelassen. Dass ihre Gegner:innen gegen sie schummeln würden, hat sie zumindest noch nie bemerkt.
ZEIT Campus: Josefine Heinemann, die TV-Serie The Queens Gambit hat Schach wieder sehr populär gemacht. In der Serie geht es um ein weibliches Schachgenie, das sich in der männlichen Schachwelt beweisen will. Sind Frauen im Schach seitdem sichtbarer?
Josefine Heinemann: Nach The Queens Gambit hat es plötzlich viel mehr Zuschauer:innen gegeben, vor allem im Streaming. Viele von ihnen sind immer noch dabei. Ich streame meine Spiele gelegentlich selbst, da ist die Männerquote unter den Zuschauer:innen nach wie vor sehr hoch. Mehr Schachspielerinnen sind aber nicht dazugekommen.
Josefine Heinemann
wurde 2018 "Großmeister der Frauen" im Schach. 2020 schlug die 24-Jährige den neunfachen russischen Großmeister Pjotr Swidler in einem Simultanwettkampf. Heinemann ist seit 2015 in der Auswahl der deutschen Frauennationalmannschaft.
ZEIT Campus: Warum?
Josefine Heinemann: Ich könnte mir vorstellen, dass es einfach mehr Männer gibt, die Schach interessant finden, als Frauen. Ich habe gehört, dass Frauen sich in der Schachwelt nicht so willkommen fühlen und dass deshalb weniger Frauen Schach spielen. Das kann ich allerdings selbst nicht bestätigen.
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ZEIT Campus: Die Berichterstattung über Schach hat sich lange nur auf Männer fokussiert.
Josefine Heinemann: Ja, aber es gibt Fortschritte. Wenn wichtige Frauenturniere stattfinden, dann werden diese inzwischen auch gut kommentiert. Das wurde früher nicht gemacht. Aber wenn der Weltmeister Magnus Carlsen spielt, dann interessiert das immer noch mehr als wenn Ju Wenjun, die Frauenweltmeisterin, spielt.
ZEIT Campus: Magnus Carlsen wirft dem 19-jährigen Großmeister Hans Niemann vor, ihn betrogen zu haben. Carlsen, die Schachlegende, und Niemann, der Emporkömmling, treten in den Medien extrem selbstbewusst auf. Hat Schach ein Männerproblem?
Josefine Heinemann: Ich habe nicht das Gefühl, dass das bei den beiden ein großes Ego-Ding ist. Auch wenn Niemann ein sehr spezieller Charakter ist. Ich glaube nicht, dass Männer mehr Skandale erzeugen. Die Auseinandersetzung zwischen Carlsen und Niemann ist einfach sehr groß geworden - Carlsen ist schließlich Weltmeister. Aber ja, es gibt deutlich mehr Männer als Frauen im Schach.
ZEIT Campus: Weil Frauen nicht so sehr gefördert werden wie Männer?
Josefine Heinemann: Ja. In Deutschland läuft es besser, aber in manchen Ländern ist es noch so, dass Frauen zwischen 20 und 30 für die Familiengründung ihre Karriere beenden, wenn sie bis dahin überhaupt noch spielen.
ZEIT Campus: Spielst du auch gegen Männer?
Josefine Heinemann: Ja, in vielen Turnieren spiele ich auch gegen Männer. Im Schach gibt es separate Turniere für Frauen und offene Turniere, an denen Männer und Frauen teilnehmen können. Reine Männerturniere gibt es nicht. Bei den sehr wichtigen Turnieren spielen nur kaum Frauen mit, weil die Weltspitze der Männer deutlich stärker ist als die der Frauen. Frauen haben deshalb kaum eine Chance, sich zu qualifizieren.
"Ein Gegner hat sich darüber aufgeregt, dass er gegen ein kleines Mädchen verloren hat" Josefine Heinemann
ZEIT Campus: Gibt es Forderungen nach derselben Bezahlung für Frauen und Männer?
Josefine Heinemann: Einige Schachgroßmeisterinnen können mit Schach nicht ihren Lebensunterhalt verdienen. Gleichzeitig verdienen Männer mit demselben Erfolg sechsstellig, Magnus Carlsen locker siebenstellig. Die langjährige Nummer eins im deutschen Schach, Elisabeth Pähtz, setzt sich für Equal Pay ein. Sie konnte in Deutschland ein paar Dinge verbessern. Durch ihre Forderungen ist die Bezahlung für die Frauennationalmannschaft deutlich besser geworden und die Zuschüsse der Kaderspieler:innen sind angeglichen worden. Die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern wird im Schach aber auch kritisch gesehen. Manche behaupten, dass Männer wegen biologischer Unterschiede tatsächlich besser spielen würden. Andere meinen, dass die Unterschiede historisch bedingt seien, weil Frauen erst kürzer Schach spielen als Männer. Auch unter uns Schachspielerinnen gibt es unterschiedliche Lager.
ZEIT Campus: Denkst du, dass Frauen und Männer beim Schachspielen unterschiedliche Herausforderungen haben?
Josefine Heinemann: Ich habe den Eindruck, dass es vor allem im Kinder- und Jugendbereich Unterschiede gibt. Die Einstiegsschwelle für Mädchen scheint mir höher, da viele Mädchen schüchtern sind und nicht allein in den Schachclub wollen - weil da oft wenige oder gar keine Mädchen sind. Mir ist auch aufgefallen, dass Jungen kompetitiver sind. Mädchen wollen ihre beste Freundin nicht besiegen, während das bei Jungen eher einen Ansporn darstellt. Aber das sind nur Beobachtungen von mir und müssen keinesfalls die wahren Gründe sein.