Die Gesamtnote lautet "mittelprächtig" - dieses Zeugnis stellt das Institut für Höhere Studien (IHS) den österreichischen Klein- und Mittelbetrieben (KMU) bei der Digitalisierung aus. Im internationalen Vergleich hinken die österreichischen Betriebe hinten nach.
Das Zeugnis beruht auf einer Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort, für die das IHS - kurz vor der Corona-Krise - Literatur analysiert und qualitative und quantitative Interviews mit Führungskräften und Mitarbeitern in KMU durchgeführt hat. Zwar liegen die digitalen Kompetenzen der Bevölkerung dem Digital Economic and Society Index (Desi) zufolge etwas über dem EU-Schnitt, doch stehe Österreich bei der Digitalisierung von KMU, insbesondere bei E-Commerce und Social-Media-Marketing unterdurchschnittlich da.
Den Befragungen zufolge sehen viele KMU nicht, wie digitale Technologien ihrem Unternehmen nützen können. KMU aus Branchen wie Versicherungswesen, Handwerk oder Gastronomie, in denen direkter Kundenkontakt wichtig ist, sind besonders digitalisierungskritisch. Die Unternehmen gaben an, dass andere Problemfelder für sie wichtiger sind als Digitalisierung und dass sie mögliche digitale Potenziale nicht kennen. Sie fürchten hohe Kosten, die Abhängigkeit von Anbietern und zweifeln an der Kundenakzeptanz.
Sind die Bedenken der österreichischen Betriebe tatsächlich ein Indiz für Digitalisierungsverweigerung? Das Wirtschaftsministerium präsentierte Anfang Mai ein umfangreiches Förderpaket auf Basis der Studie: Acht Millionen Euro sollen insgesamt investiert werden. 5,1 Millionen Euro davon werden nach den Plänen in Qualifizierungen fließen, eine weitere Million in Digital-Pro-Bootcamps und zwei Millionen in das Programm Laura Bassi 4.0, das Chancengerechtigkeit von Frauen in der Digitalisierung fördert. Die österreichischen KMU sollen damit den digitalen Großkonzernen die Stirn bieten: "Wir werden sie dabei unterstützen, rasch entsprechende Kompetenzen aufzubauen und den Schritt in Richtung Digitalisierung zu wagen. Österreich soll sich nachhaltig unter den führenden Digi-Nationen Europas etablieren", sagt Wolfgang Schneider, ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums.
Digitalisierung in Aktion bei KMT - Kunststoff- / Metalltechnik in Groß Siegharts in Niederösterreich. Das Unternehmen stellt Präzisionswerkzeuge und Maschinenbauteile her. Digitale Technologien haben die Facharbeiter für wichtige Aufgaben freigespielt. - © KMT KMU machen ihre Digitalisierung selbstDie Kunststoff-/ Metalltechnik GmbH (KMT) aus Niederösterreich gehört zu den mittelständischen Unternehmen in Österreich, die schon früh das Potenzial digitaler Technologien für sich erkannt haben. Das Unternehmen mit 150 Mitarbeitern stellt Werkstoffe aus Metall und Kunststoffen her und investiert seit rund zehn Jahren in die Digitalisierung seiner Produktion. "Wir haben Probleme für unser Wachstum gesehen, weil wir nicht genug qualifizierte Facharbeiter bekommen haben", schildert Johannes Kößner, der Geschäftsführer, die damalige Situation.
Konnte durch Digitalisierung einem drohenden Fachkräftemangel entgegenwirken: Johannes Kößner, Geschäftsführer von KMT. - © KMTZugleich stellte sich bei KMT heraus, dass die bereits vorhandenen Fachkräfte nicht entsprechend ihrer Qualifikation eingesetzt wurden: Ihr Spezialwissen war nur während dreißig Prozent ihrer Arbeitszeit gefragt. "Der Rest waren administrative Tätigkeiten. Das war Ressourcenverschwendung", resümiert Kößner. Einer der Zeitfresser war es, herauszufinden, an welchen Stellen der Produktion Werkzeuge wie Fräser oder Bohrer fehlen und diese dann aufwändig zu bestellen. Jetzt macht das ein digitaler Werkzeugautomat, der rechtzeitig die nötigen Werkzeuge beim Lieferanten bestellt und diese den Werksarbeitern in einem digitalen Arbeitsplan automatisch zuweist. Auch werden den Kunden die Fertigungskapazitäten automatisiert gemeldet. Kößner: "Wir haben diesen Beschaffungsweg komplett durchdigitalisiert und Facharbeiter von logistischen Aufgaben freigespielt."
In einem anderen Digitalisierungsprojekt bei KMT wurden die Arbeitspläne digitalisiert: Kam zuvor mit jedem Werkstück auch eine Anleitung auf Papier mit, auf dem stand, welche Maschinen in welcher Reihenfolge am Werkstück arbeiten müssen, übernimmt diese Zuteilung nun ein cyber-physisches System für Maschinenverbünde. In diesem System sind Maschinen mit Werkstücken und Maschinen mit Maschinen vernetzt. Das System kann selbstständig aushandeln, wie Aufgaben verteilt werden. Die Teile sind mit Barcodes oder RFID-Chips ausgestattet, auf denen die Arbeitsschritte gespeichert sind. Kößner: "So kann sich das Teil selbst einer Maschine zuweisen."
Die Unterschiede zwischen den Betrieben sind großVor allem in traditionellen Betrieben, bei älteren Geschäftsführern und jenen, die nur einen Lehrabschluss haben, herrscht Digitalisierungsskepsis, wie aus der IHS-Studie hervorgeht. Das sind allerdings nicht die einzigen Unterschiede zwischen den KMU, die oftmals ungeachtet ihrer Branchenzugehörigkeit in einen Topf geschmissen werden. Karin Bachinger, Projektleiterin bei der KMU Forschung Austria, sieht Heterogenität sowohl bei Branchen, Unternehmensgröße und -alter. So seien junge Unternehmen in der Regel stärker digitalisiert. Auch sei die Digitalisierung mittlerweile verstärkt bei kleinen Unternehmen angekommen. Eine KMU-Befragung der Unternehmensberatung Arthur D. Little stellte dazu 2019 bei Kleinst- und Kleinunternehmen einen Digitalisierungsschub im Ausmaß von sieben bzw. acht Prozentpunkten fest.
Die KMU-Forschung Austria geht davon aus, dass etwa drei Prozent der KMU echte Digitalisierungsverweigerer sind, alle anderen sind - je nach Branche unterschiedlich - bereits in der Digitalisierung angekommen. Konkrete Zahlen, "wieviel" Digitalisierung eigentlich fehlt, gibt es nicht, denn die digitalen Bedürfnisse der Unternehmen sind so vielfältig wie diese selbst. Fundierte Daten dazu, wieviel also und in welchen Bereichen KMU bereits in Digitalisierung investiert haben, sind ein Desiderat.
Die KMU Forschung Austria hat aber bereits seit längerem einen Digitalisierungsindex entwickelt, demzufolge rund zehn Prozent der KMU zu den digitalen Nachzüglern oder der digitalen Basis gehören. Bachinger: "Auf der anderen Seite des Spektrums steht die digitale Avantgarde." Auch hier sind etwa zehn Prozent der KMU angesiedelt. Was die Branchen betrifft, seien Information und Consulting sowie Handel und Industrie in der Digitalisierung schon recht weit fortgeschritten, im Gegensatz zu Gewerbe, Handwerk und persönlichen Dienstleistungen.
Die Treppenmanufaktur Schachreiter, die neben Treppen auch Einrichtungen designt und baut, hat durch digitale Technologien ihre Geschäftsfelder erweitert. Laserscanning wird als Dienstleistung anderen Handwerksbetrieben angeboten. Schachreiter ist in Oberösterreich zuhause und hat 25 Mitarbeiter. - © Schachreiter Digitalisierung kann auch im Handwerk sinnvoll seinDass selbst Handwerksbetriebe von Digitalisierungsmaßnahmen profitieren können, macht die Treppenmanufaktur Schachreiter in Oberösterreich mit ihren 25 Mitarbeitern vor. David Schachreiter, der das Unternehmen vor eineinhalb Jahren von seinem Vater übernommen hat, führte ein Datenmanagementsystem ein, das Daten von Kunden- bis Produktionsdaten in einem System zusammenfasst: "Früher hatte jeder seine eigene Ordnerstruktur. Jetzt gibt es eine mit einem Server synchronisierte Struktur." Wenn ein Kunde es wünscht, bekommt er den Link zu seinen Daten. Die Abläufe seien heute runder und Daten für alle schnell auffindbar.
David Schachreiter setzte auf Datamanagement als eines der ersten Digitalisierungsprojekte in seinem handwerklichen Betrieb. - © SchachreiterFür Schachreiter hat ein zweites Digitalisierungsprojekt sogar einen neuen Geschäftszweig ermöglicht. Die Treppenmanufaktur investierte in ein 3D-Lasergerät, mit dem sich etwa schneller, einfacher und genauer Baufortschritte dokumentieren lassen. Früher sei die Dokumentation per Hand lästig gewesen, immer wieder seien Fehler passiert, berichtet David Schachreiter. Die Messdaten des Lasergeräts lassen sich außerdem in CAD-Programmen weiterverarbeiten. Schachreiter kam auf die Idee, das Gerät nicht nur selbst zu nutzen, sondern das Mess-Service als Dienstleistung auch anderen Firmen anzubieten.
Bei allem Erfolg: Solche Investitionen in digitale Technologien sind für KMU ein Risiko. Förderprogramme, wie sie etwa die österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) abwickelt, beruhen auf Ausschreibungen. Eine Einreichung kann einen nicht unbeträchtlichen Aufwand bedeuten. Die Projekte von Schachreiter und KMT wurden letztlich mit Mitteln der öffentlichen Hand gefördert, aber beide Unternehmen mussten mit hohen Beträgen in Vorleistung gehen, bevor sie wussten, ob sie diese Förderungen bekommen.
Ohne staatliche Förderung keine DigitalisierungFür KMU, die Innovationsvorhaben umsetzen wollen, sind Förderungen allerdings essenziell. Die FFG, die auch die acht Millionen Euro verwaltet, hält das Angebot für KMU hierzulande für sehr gut. 2019 vergab die FFG insgesamt 169 Millionen Euro Fördergelder an KMU, wobei etwa die Hälfte aller FFG-Förderungen mit Digitalisierung zu tun hatten. Innovative KMU gibt es laut FFG in allen Branchen, von der Umwelt- und Energietechnik über die Lebenswissenschaften bis hin zu industriellen und Werkstoff-Technologien. Sowohl traditionelle Gewerbebetriebe als auch hochspezialisierte KMU in Nischen würden von Investitionen in Digitalisierungsprojekte profitieren, etwa durch innovative Produkte, Prozessinnovationen oder im Vertrieb. FFG-Geschäftsführerin Henrietta Egerth sagt: "Diese Projekte zeigen auch, dass durch Digitalisierung nicht nur Prozessverbesserungen und Kostensenkungen, sondern Ressourcenschonung und Klimaschutz ermöglicht werden."
Die vergangenen Monate des Lockdowns während der Covid-Pandemie wertet Egerth als "Proof-of-Concept, ein Indikator für die Umsetzbarkeit einer Idee - von Distance-Learning über Home-Office, oder allen Varianten digitaler und virtueller Meetings bis hin zu neuen Amts- oder Arztwegen." Die Krise habe gezeigt, wie kreativ und innovativ KMU in Österreich bereits seien. Viele Unternehmen hätten sich rasch auf die geänderten Bedingungen eingestellt und mit neuen Produkten oder Vertriebswegen reüssiert. FFG-Geschäftsführer Klaus Pseiner verweist darauf, dass die notwendigen Konjunkturpakete nach der Krise so einzusetzen seien, dass damit eine klimaneutrale, smarte Wirtschaftsweise eingeleitet werde: "Ein Schlüssel ist dabei die Digitalisierung."
Was Digitalisierungsinitiativen etwa in Bezug auf Big Data, Cloud Computing, Robotik oder 3D-Druck betrifft, scheint es unterschiedliche Wahrnehmungen zu geben. Karin Bachinger von der KMU Forschung Austria sieht hier bislang nur wenige KMU investieren. Bei der FFG hingegen sehen die Geschäftsführer Egerth und Pseiner "eine große Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Technologien wie Blockchain, künstliche Intelligenz, Internet der Dinge und Big-Data-Analysen". Vielleicht zeigt diese Diskrepanz, dass Österreichs KMU sich hier gerade verändern.
Alle Experten betonen, dass die Digitalisierung neue Möglichkeiten eröffne und Unternehmen flexibler mache. Henrietta Egerth: "Corona hat verschiedene wichtige Erkenntnisse wieder ins Bewusstsein gerückt: Je höher der Digitalisierungsgrad eines Landes, desto höher ist das Wohlstandsniveau. Je innovativer die Wirtschaft, desto krisenfester und wettbewerbsfähiger. Und: Forschung und Entwicklung sind die beste Zukunftsvorsorge."
Das Wirtschaftsministerium zieht vergleichbare Lehren aus der Covid-Krise: Sowohl Nutzen als auch Herausforderung der Digitalisierung sind laut Ministeriums-Sprecher Schneider durch Ausgangsbeschränkungen, soziale Distanzierung, Betretungsverbote und Home-Office rund um Covid-19 sichtbar geworden: "Die Krise hat uns in kürzester Zeit gleichsam in eine digitale Zukunft gebeamt."
Problemkind E-CommerceDoch nicht alle sind in dieser Zukunft auch angekommen. Katharina Gangl, Autorin der IHS-Studie, sieht besonders im E-Commerce Nachholbedarf, "weil die Leute massiv bei Amazon einkaufen". Österreichs Handel entgehe "ein riesiges Stück vom Kuchen" und dem Staat Steuern und Sozialabgaben. Gangl: "Während der Corona-Krise war es mir nicht möglich, in Wien biologische Lebensmittel zu bestellen." Manch Anbieter nahm keine Kunden mehr auf, andere hatten schlechte oder unübersichtliche Online-Angebote. Dabei wäre es gerade in der Krise ideal gewesen, mit einem guten Webshop zu punkten: "Einige Kunden wären bestimmt auch danach geblieben", ist Gangl überzeugt.
Bei vielen KMU werde es laut Gangl "noch ein paar Jahre" ohne Digitalisierung funktionieren: "Aber irgendwann wird man die Transformation hinkriegen müssen." Wer jung ist, suche auf Google nach Angeboten: "Irgendwann werden sich auch die Jungen ein Haus kaufen und einen Handwerker suchen. Wenn deine Firma online nicht aufscheint, existierst du nicht." Gleiches gelte im Tourismus. Um die Ablehnung der Digitalisierung auch bei den letzten KMU zu eliminieren, hält Gangl es für wichtig, das Thema lustvoll zu kommunizieren: "Wir brauchen clevere Lösungen und müssen dafür sorgen, dass sich eine kreative Stimmung etabliert." Das IHS schlägt einige Maßnahmen vor, etwa die Einrichtung eines nationalen Digitalisierungsrats, bei dem Vertreter von Bund, Ländern, Sozialpartnern, Universitäten etc. eine Digitalisierungsstrategie entwickeln. Auch eine zentrale Online-Informationsstelle für Weiterbildungsangebote, Online-Lernmaterial und Vernetzungsmöglichkeiten sowie Infokampagnen und gezielte verhaltensökonomische Interventionen für KMU-Mitarbeiter schlägt das IHS vor.
Unterdessen kämpft David Schachreiter mit praktischen Problemen. Der Transfer großer Datenmengen ist eine bleibende Herausforderung für das kleine Unternehmen: Weil er für den Anschluss an das in der Nähe verlegte Glasfasernetz rund 20.000 Euro zahlen müsste, behilft er sich mit Datenübertragungsanbietern wie etwa WeTransfer.
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Ein Beitrag zum Schwerpunktthema "Kann man 'Amazon' trotzen?" aus der "Digitalen Republik", ein Verlagsprodukt aus der Content Production der "Wiener Zeitung".