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Die Stadt der Zukunft braucht neue Konzepte

Die ideale Stadt ist eine Utopie

Schnell wachsende oder schrumpfende Städte stellen Politik und Stadtplanung vor große Fragen. Doch die Kommunen bekommen Hilfe von den Bewohnern – wenngleich das nicht immer konfliktfrei vor sich geht.


Zwei Meldungen, die auf den ersten Blick wenig miteinander gemeinsam haben: Detroit musste Ende Juli Konkurs anmelden, die US-Stadt hat Schulden in der Höhe von 18,5 Milliarden Dollar angehäuft. Zeitgleich ist Wien zur zweitgrößten Stadt im deutschsprachigen Raum aufgestiegen und hat Hamburg bei der Einwohnerzahl überholt, nur Berlin ist noch größer. Diese zwei Meldungen zeigen, wie schwierig das Management und die Planung von Städten heute ist. 


Wenn Städte schnell wachsen, hat das mitunter schmerzliche Auswirkungen für die Bewohner: Die Preise fürs Wohnen steigen und ganze Viertel – Stichwort Gentrifizierung – werden aufgewertet, wodurch die weniger Betuchten in Randgebiete ausweichen müssen oder ganz aus der Stadt vertrieben werden. Auch die Stadtplanung kommt unter Umständen nicht mit dem Bau neuer Schulen und anderer Infrastruktur nach. 


Das rasche Schrumpfen von Städten kann noch schlimmere Konsequenzen haben: Schulen und Geschäfte schließen reihenweise, Unternehmen siedeln ab, Busstrecken werden eingestellt, nach und nach ziehen die Nachbarn weg und die Kriminalität steigt. Beides – Schrumpfen und Wachsen – existiert heute in extremen Ausformungen. Vor allem ehemalige Industriestädte kämpfen mit Abzug, Armut, Überalterung und leeren Kassen. Auf der anderen Seite der Skala wachsen die meisten Städte exponentiell. Eine UN-Prognose rechnet damit, dass 2070 mehr als drei Viertel der Weltbevölkerung in Städten leben wird – heute ist es die Hälfte. 


Bürger einbinden 

Beide Entwicklungen stellen Herausforderungen nicht nur an die Bewohner, sondern auch an Politik und Stadtplanung. Schließlich kann keiner gezwungen werden, zu gehen oder zu bleiben. „Die meisten Städte können sich nicht aussuchen, ob sie schrumpfen oder wachsen wollen", sagt Urbanistik-Expertin und Kuratorin Angelika Fitz. Für sie liegt der Schlüssel in beiden Fällen in der Bürgerbeteiligung, sei es durch die Einbeziehung in städtische Planungsprozesse oder durch Eigeninitiativen wie Gemeinschaftsbüros oder das Betreiben eines Nahversorgers, wenn Supermärkte sich zurückziehen. So wünschens- und fördernswert Bürgerinitiativen aber auch sind, Fitz betont: „Sie sollen nicht Politik und Stadtplanung ersetzen. Es geht nicht um die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, sondern um neue Vorstellungen von Kollektiv und Gemeinwohl." 


In der auf 700.000 Einwohner geschrumpften ehemaligen Autostadt Detroit – Mitte des 20. Jahrhunderts lebten hier noch 1,8 Millionen Menschen – gelingen solche Initiativen bereits im Ansatz, wie Katja Kullmann in ihrem Buch "Rasende Ruinen" berichtet. Die Journalistin erzählt etwa von Urban Farming und einer aufkeimenden Kreativszene, die auch die untersten Schichten einbindet. 


Abschreckendes Beispiel 

In den vergangenen Jahren hat die Politik erkannt, dass sie kaum über die Köpfe der Bewohner hinweg entscheiden kann. Was dann passieren kann, machten die Stuttgarter klar, als sie gegen das Bauprojekt Stuttgart 21 auf die Straße gingen, dessen Kernstück der massive Umbau des Hauptbahnhofs war. Ruhe trat erst ein, als die Bürger per Volksabstimmung selbst entscheiden durften, was geschehen soll. Dass die Abstimmung erst recht für Stuttgart 21 ausging, erschien wie eine Ironie des Schicksals.

„Stuttgart 21 ist auf jeden Fall ein Thema – als Argumentation gegenüber den Entscheidungsträgern", sagt Herbert Bork, der beim Wiener Raumplanungsunternehmen stadtland unter anderem für Stadt- und Regionalplanung und Beteiligungsprozesse zuständig ist. Wollen seine Auftraggeber ihr Ding ohne die ansässige Bevölkerung durchziehen, spielt Bork die Stuttgart-Karte, „um ihnen zu sagen: Es kann so weit gehen, dass ein Fass explodiert."

Vom Mitreden zum Mitmachen
Für Angelika Fitz muss die Einbindung der Bürger aber noch weiter gehen: „Der springende Punkt ist, dass die Bürgerbeteiligung weit über eine Befragung hinausgehen muss. Es gibt einen Wechsel vom Mitreden zum Mitmachen." In der Theorie klingt das wunderbar. In der Praxis ist es Knochenarbeit. „Tendenziell ist eine frühe Einbindung sinnvoll.

Es gibt aber auch Themen, wo man die Rahmenbedingungen erst erklären muss und es keinen Sinn macht, falsche Hoffnungen zu wecken", sagt Raumplaner Bork. „Das Ideal ist, dass man mit der Bevölkerung gemeinsam überlegt: Wo wollen wir hingehen? Den ersten Input gibt man an die Fachleute weiter, dann gibt man das Feedback an die Bevölkerung zurück und fragt: Ist es das, was ihr gemeint habt?" Für Bork ist das kein Fluch, sondern ein Segen: „Man kann mit der Bevölkerung einen Qualitätssprung machen. Einen Vorteil kann es auch bringen, weil das Projekt schon mal abgesichert wurde." Wenn Wünsche nicht realisiert werden, müsse man erklären, warum das nicht gemacht wird – das Verständnis sei in der Regel groß.

Verdichtung angesagt
Erklärungsbedarf gibt es genügend, vor allem, weil Städte in Zukunft noch mehr bebaut werden. „Wir haben in letzten Jahrzehnten Städte gebaut, die zu wenig dicht sind", sagt Herbert Bork. Zwar wünscht sich fast jeder, in einem Einfamilienhaus am Stadtrand zu wohnen, aber gerade in wachsenden Städten bringt das Nachteile mit sich. „Die Dichte der Stadt spart Ressourcen. Zersiedelte Gebiete sind nicht wahnsinnig nachhaltig", sagt Angelika Fitz. Doch was macht man mit den Einfamilienhäusern am Rand der Stadt? Herbert Bork: „Realpolitisch ist es nicht machbar, zwischen die Einfamilienhäuser große Wohnbauten zu stellen, obwohl es die ehrlichere Politik wäre, weil es der Allgemeinheit etwas bringt."

Grünflächen schaffen
Die Kehrseite der Medaille namens „dichte Bebauung" ist die verminderte Lebensqualität, wenn ein Wohnbau neben dem anderen steht. Daher muss die Stadtplanung eine Gratwanderung beschreiten und in Zukunft umso mehr darauf achten, dass ausreichend Grünflächen vorhanden sind. Bork: „Wir müssen wieder lernen, Stadt zu bauen und nicht nur Wohnbauten." Während Fachwelt und Politik diese Aufgaben erkannt haben, hapert es laut Bork bei den Projekt- und Wohnbauentwicklern, die in erster Linie aufs Geld, also auf die gewinnbringende Ausnutzung von Fläche, schauen.

Bei all den erfolgreichen oder verzweifelten Versuchen, mit den schwankenden Bevölkerungszahlen in Städten fertig zu werden, gibt es tröstende Nachrichten. Angelika Fitz: „Städte sterben selten, sie haben eine hohe Resilienz." Und: Eine ideale Stadt gibt es ohnehin nicht: „Die ideale Stadt ist schon ein Widerspruch in sich. Die Stadt lebt auch davon, dass sie nicht ideal ist. Jede Stadt ist viele Städte – und das ist gut so."
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