Kanada gilt als eines der glücklichsten Länder der Welt. Sein Premierminister, Justin Trudeau, ist innerhalb von nur zwei Jahren zum Inbegriff einer progressiven Politik geworden. Bloß: Was sagen die Kanadierinnen dazu? EMMA-Redakteurin Alexandra Eul hat zwei Monate in dem Land gelebt.
von Alexandra Eul
Ich betrete das Zukunfts-Labor an einem Sommertag. Das Labor heißt Kanada und es ist fast 10 Millionen Quadratkilometer groß. Das Experiment gilt in vielen Teilen der Welt als unerhört, wenn nicht lebensgefährlich: Es heißt Feminismus.
Das Land wird seit über zwei Jahren von einem Mann regiert, der etwas ausprobiert, was vor ihm noch kein Staatschef getan hat. Er hat die Frauenrechte zum Leitmotiv erklärt. Die Rede ist von Justin Trudeau, der gerne immer wieder laut verkündet: „I am a Feminist!" Kanada gilt als eines der glücklichsten Länder der Welt - aber gilt das für die kanadischen Frauen genauso wie für die kanadischen Männer? Ich habe zwei Monate Zeit, das herauszufinden. Meine Forschung beginnt in Toronto, Kanadas Metropole am Ontariosee.
Toronto ist so, wie man sich Kanada vorstellt: weltgewandt, offen, sympathisch, hip und auch ein bisschen schrullig. Hier kann man in die Häuserschluchten von Downtown genauso eintauchen wie in Viertel mit Namen wie Little Italy, Little Portugal, China Town oder Kensington Market. „Wir sind schließlich alle Einwanderer", diesen Satz hört man häufig, die KanadierInnen sind berühmt für ihre „Openness". Es ist gar nicht einfach, hier eine Frau zu finden, die nicht mit dem Feminismus sympathisiert. „Sag mal, stimmt es, dass es bei euch in Deutschland ein extra Wort für schlechte Mütter gibt?", fragt mich eine Wirtschaftsjournalistin. Ja, gibt es. Die Rabenmutter.
Aber in Toronto explodieren auch die Mietpreise und wer hier eines der hübschen viktorianischen Häuschen kaufen will, zahlt Millionen. Alle, die sich das nicht leisten können, werden aus der Stadt herausgedrängt. Frauen kann das ganz besonders treffen, welche alleinerziehende Mutter soll das bezahlen? Die Zahl der Obdachlosen ist auffällig hoch, und es sind häufig Schwarze oder Indigene, die auf der Straße hocken und betteln.
Die Metropole Toronto ist mit einer Fläche von 630 Quadratkilometern kleiner als Hamburg. Bleiben weit über neun Millionen Quadratkilometer Kanada übrig. Trudeau muss für alle Politik machen: für moderne StädterInnen im frankophonen Montreal im Osten genauso wie für die im anglophonen Vancouver im Westen; für die ArbeiterInnen in den Ölstädten in Alberta wie für die LandwirtInnen, die in den Weiten Manitobas die Maisfelder bestellen. Und nicht zu vergessen für die indigenen Communities, sprich: für die First Nations, für die Métis als Nachkommen von europäischen Siedlern und indigenen Frauen und für die Inuit ganz nördlich im arktischen Nunavut.
In Kanada leben rund 18 Millionen Frauen. In der Cafeteria der Rotman School of Management in Torontos Universitäts-Viertel treffe ich eine Frau, die sich mit dem Leben der Kanadierinnen auskennt: die Wirtschaftsprofessorin Beatrix Dart. Sie hat die Initiative for Women in Business initiiert. (...)