Mumbai überrascht mit einer lebendigen Jazz-Szene und Art-déco-Architektur. Hunderte Gebäude sind schon erfasst. Auf der Suche nach weiteren Architekturschätzen durchstreifen auch Schüler als „Déco-Detektive" Indiens größte Stadt.
Von Alexandra Eul
Zu Beginn fühlt es sich merkwürdig an. Wohntürme werden vom grauen Smog fast verschluckt. Ein Knäuel aus knatternden Autorikschas verstopft die Straße, nichts geht mehr. Ihr Hupen vermischt sich mit dem Bollywood-Pop aus dem Autoradio. Herzlich willkommen in Mumbai, Indiens „City of Dreams". Auf den ersten Blick alles andere als eine Traumdestination.
Und auf den zweiten? Vielleicht doch. Denn ganz plötzlich lichtet sich das Chaos. Ein Türmchen mit knallrotem Dach erhebt sich zwischen den Häuserreihen; daneben elegant geschwungene Balkone und gusseiserne Gitter, schmuckvolle Veranden und Fenster, die in die Höhe ragen, wie zu Eis erstarrte Fontänen.
Bei Bombay, so nennen viele Bewohner Mumbais ihre Heimat bis heute, denken die meisten an Bollywoods Traumfabrik. Und an unermessliche Armut, die direkt neben unermesslichem Reichtum wohnt. Für Reisende ist die Millionenstadt an der Westküste häufig nur ein Zwischenstopp, bevor sie sich auf die Zugreise zu Goas Palmenstränden machen oder noch weiter südlich in Kerala durch die Backwaters schippern.
Touristen nehmen in Mumbai normalerweise nur die bekanntesten Sehenswürdigkeiten mit: das Gateway of India etwa, diesen 26 Meter hohen Triumphbogen, direkt daneben das legendäre „Taj Mahal Palace Hotel"; den neogotischen Bahnhof Chhatrapati Shivaji Terminus oder die Höhlen-Tempel auf der vorgelagerten Elephanta-Insel.
Was allerdings nur wenige wissen: Mumbai ist darüber hinaus eine Art-déco-Metropole - eckig, geometrisch, ein Mix aus Stahlbeton und rotem Agra-Sandstein, aus Holz und Gusseisen, aus Marmor, Glasbausteinen und Bullaugenfenstern. Sie kann es mit Miami, der bekanntesten Art-déco-Stadt, locker aufnehmen, bietet Mumbai doch die zweitgrößte Anzahl von Art-déco-Gebäuden weltweit.
Diese modernistischen Wohngebäude, Hotels, Kinos und Bürohäuser erzählen zugleich eine hoffnungsvolle und verwegene Geschichte, die um 1930 begann und lange fast vergessen war. Sie klingt nach Jazzmusik und spielt in Hotel-Ballsälen und Bars, wo eine aufstrebende indische Mittelschicht von der Unabhängigkeit träumte.
Den Hunger nach Fortschritt hat Indiens Kultur- und Handelsmetropole nie verloren. Man muss sich auf den Spaziergängen durch das architektonische Erbe wegen der ununterbrochenen Mumbai-Symphonie aus Hupen und Motorenlärm heute nur stärker konzentrieren, um den „Bombay Spirit" noch zu spüren. (...)
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