Alexander Stirn

Freier Wissenschaftsjournalist, München

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SpaceX Crew Dragon & Boeing Starliner: Neue Brücken ins Weltall

Am Wochenende testet das private Raumfahrtunternehmen SpaceX eine Raumkapsel für bemannte Flüge ins All. Das Unterfangen steht symbolisch für ein neues Kapitel in der amerikanischen Raumfahrt.

Die neue Brücke zum Weltall, über die Amerikas Astronauten schon bald ihr Raumschiff erreichen sollen, erinnert an die Gangway eines Flughafens - eines sehr modernen, sehr schicken Flughafens: Vorbei die Zeiten, als Raumfahrer Raketen über einen zugigen Metallsteg mit dem Charme einer Baustelle erklimmen mussten. Künftig, so will es das private Raumfahrtunternehmen SpaceX, das die neue Brücke gebaut hat, soll ihr Weg durch helle Gänge führen, über spiegelnde Böden und vorbei an riesigen Fenstern.

Die Hochglanz-Brücke steht symbolisch für ein neues Kapitel in der amerikanischen Raumfahrt, vielleicht sogar für eine neue Ära: Nach acht Jahren Zwangspause sollen US-Raumfahrer erstmals wieder mit eigenen Raumschiffen ins All fliegen. Anders als bisher wird allerdings nicht mehr die Nasa für den Transport der Astronauten zuständig sein, sondern private Unternehmen.

Den Anfang macht SpaceX. Am Samstag steht der erste Testflug des "Crew Dragon"-Raumschiffs (auch Dragon V2 genannt) auf dem Programm. Wenige Monate später testet Boeing sein Starliner-Raumschiff. Läuft bei den beiden unbemannten Testflügen alles wie geplant, dann könnten im Sommer oder im Herbst 2019 zum ersten Mal seit acht Jahren wieder amerikanische Astronauten von amerikanischem Boden aus mit einem amerikanischen Raumfahrzeug ins Weltall abheben. Die Crews stehen bereits fest. Beide Firmen versprechen dabei einen neuen Zugang zur bemannten Raumfahrt: schnell, günstig, unbürokratisch.

Eine Milliarde Dollar pro Flug

Vor allem aber versprechen sie das Ende einer langen Durststrecke: Den 21. Juli 2011 dürften sich viele Bewohner der Space Coast, wie Floridas Atlantikküste rund um Cape Canaveral genannt wird, schwarz im Kalender markiert haben - als Trauertag. Nach 30 Jahren und 135 Starts landete damals zum letzten Mal ein Spaceshuttle in Cape Canaveral. Noch immer zieren die symbolträchtigen Raumgleiter Autokennzeichen und Vorgärten an der Space Coast. Die echten Shuttles stehen hingegen längst im Museum. Sie waren zu teuer, zu wartungsintensiv, zu unsicher geworden.

Die hochkomplexen Maschinen, von denen selbst erfahrene Shuttle-Ingenieure behaupteten, sie nie komplett verstanden zu haben, galten eigentlich (bis auf den orangefarbenen Aussentank) als wiederverwendbar. In der Praxis mussten ihre Triebwerke allerdings nach jedem Flug ausgebaut und bis ins Detail inspiziert werden. Überprüft und notfalls ersetzt werden mussten auch die 24 000 Hitzeschutzkacheln am Bauch der Raumgleiter. All das war so aufwendig und so teuer, dass jeder Flug zuletzt gut eine Milliarde Dollar kostete. Mit zwei Komplettverlusten - und vierzehn toten Astronauten - bei 135 Flügen entsprachen die Shuttles zudem nicht mehr den Sicherheitsanforderungen der Nasa.

Die neuen Raumfahrzeuge von SpaceX und Boeing sollen all diese Probleme hinter sich lassen - indem sie auf bewährte Technik zurückgreifen. Beide Unternehmen setzen auf relativ simple und robuste Kapseln. Sie ähneln den Apollo-Raumschiffen, die die Amerikaner einst zum Mond brachten, aber auch den russischen Sojus-Raumkapseln, mit denen US-Astronauten seit 2011 zwangsläufig reisen mussten. Schliesslich gab es, abgesehen von den chinesischen Shenzhen-Kapseln, keine andere Möglichkeit, ins All zu gelangen.

Verglichen mit der Sojus, deren Entwürfe bis in die 1960er Jahre zurückgehen, kommen die neuen amerikanischen Kapseln allerdings deutlich moderner daher. Bilder aus dem Inneren der "Crew Dragon" zeigen ein helles, minimalistisches Design mit Touchscreens und Schalensitzen wie aus einem Sportwagen. Wer in Boeings Starliner steigt, mit dessen Modell der Konzern derzeit über Raumfahrtmessen tingelt, sitzt dagegen vor einem deutlich klassischeren Armaturenbrett mit unzähligen Schaltern und Knöpfen. Im Idealfall wird die Crew allerdings eh nichts damit zu tun haben: Die neuen Raumkapseln sind darauf ausgelegt, eigenständig ins All zu fliegen und ohne menschliche Hilfe an der Internationalen Raumstation, der ISS, anzudocken - ein Novum in der US-Raumfahrt. Bisher wurden deren Schiffe entweder manuell angedockt oder von einem Greifarm eingefangen.

Autonomes Fliegen

"Die neue Docking-Technik war eine Vorgabe der Nasa", erzählt Boeings Chefastronaut Christopher Ferguson Ende 2018 beim Internationalen Astronautischen Kongress in Bremen. "Und ganz klar: Der Autonomie gehört die Zukunft." Eingreifen soll der Mensch nur noch im Notfall, wenn die Technik Probleme macht. Insbesondere für altgediente Nasa-Astronauten wie Ferguson, der im Juli 2011 die letzte Shuttle-Mission kommandierte, ist das eine grosse Umstellung: Der Raumgleiter durfte noch mit den Händen gesteuert werden.

Ferguson, designierter Kommandant des ersten bemannten Raumflugs des Starliner, weint der Handarbeit dennoch keine Träne nach: "Wir wollen, dass sich unsere Astronauten auf ihren sechsmonatigen ISS-Aufenthalt konzentrieren können und dass sie nicht noch lernen müssen, ein Raumschiff zu pilotieren." Auch die Landung erfolgt daher automatisch: Während das Shuttle wie ein Segelflugzeug auf einer Landebahn aufgesetzt werden musste, baumeln die wiederverwertbaren Kapseln unter einem Fallschirm zurück zur Erde - SpaceX in den Atlantik vor Florida, Boeing zu einer von fünf Landestellen in den USA.

Mindestens ebenso gross sind die Umwälzungen auf organisatorischer Ebene. Zwar hatte Boeing einst auch die Raumgleiter für das Shuttle-Programm gebaut, sie waren allerdings eine Auftragsarbeit: Die Spaceshuttles wurden von der Nasa geplant und bezahlt. Die Behörde überwachte den Bau, ihr gehörten die Raumfahrzeuge, sie betrieb sie. Bei den neuen Kapseln ist das anders: SpaceX bekam von der Nasa ein Startkapital von 2,6 Milliarden Dollar und durfte im Gegenzug ein Raumfahrzeug nach eigenen Vorstellungen entwerfen - es musste nur Platz für mindestens vier Astronauten bieten und die Sicherheitsanforderungen der Nasa erfüllen. Boeing erhielt sogar 4,2 Milliarden Dollar. Anders als die SpaceX-Ingenieure, die bei ihrer Dragon-Kapsel auf einen gleichnamigen Raumfrachter zurückgreifen konnten, der bereits seit 2012 die ISS versorgt, mussten die Boeing-Baumeister den Starliner komplett neu entwerfen - die erste Entwicklung eines bemannten US-Raumschiffs seit dem Spaceshuttle, wie Boeing betont.

Der Festbetrag umfasste dabei Entwicklung, Bau, Tests und die ersten sechs Astronautenflüge zur ISS. Alle weiteren Plätze wird die Nasa bei SpaceX und Boeing einkaufen, fast wie bei einem Charterflug in die Sommerferien. Oder wie bei der Sojus, für deren Flüge die Amerikaner zuletzt etwa 80 Millionen Dollar pro Sitzplatz an die Russen überwiesen. Der grosse Unterschied: Künftig soll das Geld in den USA bleiben. Und es wird mehr Platz für amerikanische Astronauten geben. Die "Crew Dragon" und der Starliner können bis zu sieben Astronauten transportieren - fast so viel wie seinerzeit die Spaceshuttles.

SpaceX hat dazu die historische Startrampe LC-39A in Cape Canaveral von der Nasa gepachtet und dort Ende 2018 auch die futuristische Gangway installiert. Von derselben Rampe starteten bereits die Apollo-Raumschiffe zum Mond sowie das erste und das letzte Spaceshuttle. Boeing hat sich auf der angrenzenden Air-Force-Station eingenistet, der eigentlichen Keimzelle des amerikanischen Raumfahrtprogramms. Seit mehr als 50 Jahren ist von dort kein Mensch mehr ins All aufgebrochen. Das soll sich 2019 endlich ändern.

Technische Hürden auf beiden Seiten

Eigentlich hätte all das schon vor langer Zeit passieren sollen. Doch immer wieder führten technische Probleme zu Verzögerungen. Und auch jetzt sind noch viele Hürden zu meistern. SpaceX zum Beispiel muss gleich fünfmal beweisen, dass die hauseigene Falcon-9-Rakete beim Tanken nicht in die Luft fliegt - so geschehen bei einer Satellitenmission im September 2016, als die Rakete zu einem Zeitpunkt explodierte, zu dem bei einer astronautischen Mission bereits Raumfahrer an Bord gewesen wären. Nach dem damaligen Unglück hat SpaceX die Tanks mehrfach umgebaut. Jetzt geht es darum, bei der finalen, von der Nasa abgenommenen Version zu beweisen, dass keine Gefahr mehr besteht.

Hierzu hat die Nasa SpaceX fünf "crew loading demonstrations" mit allen Prozeduren und der Kapsel an der Spitze als Prüfungen ins Pflichtenheft geschrieben, die vor dem ersten astronautischen Start bestanden werden müssen. Boeing hingegen hat Probleme mit den Rettungstriebwerken, die die Kapsel im Notfall von der Rakete wegkatapultieren sollen. Bei einem Test trat giftiger Treibstoff aus.

Grosse Verzögerungen können sich die privaten Unternehmen allerdings nicht mehr leisten. Zwar hat die Nasa zur Sicherheit nochmals drei Sojus-Plätze bei den Russen nachgekauft, Anfang 2020 dürften aber auch diese aufgebraucht sein. Dann wird es höchste Zeit für die neue, lang versprochene Hochglanz-Ära in der amerikanischen Raumfahrt.

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