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Minsk im August 2020. Vor drei Jahren gingen die Menschen in Belarus auf die Straßen. Es waren die größten Proteste seit Ausrufung der Republik Belarus nach dem Zerfall der Sowjetunion im Jahr 1991.
Ziel des Zorns der Massen ist der seit 1994 als Staatspräsident amtierende ehemalige Sowchosendirektor Alexander Lukaschenko. Sein brutales Regime foltert, verschleppt und unterdrückt Oppositionelle. Dabei kann Lukaschenko auf Rückendeckung vom Machthaber im Kreml, Wladimir Putin, zählen.
Nach der blutigen Niederschlagung der Massenproteste 2020 sollen etwa 100.000 Menschen Belarus verlassen haben. Ein Teil der Opposition formiert sich im Nachbar- und EU-Land Polen. Russlands Angriff auf die Ukraine hat einiges verändert.
Pavel Maryeuski, Belarussischer Oppositioneller
»Als Erstes dachte ich an die Ukraine, an die Ukrainer und daran, Leben zu schützen. Dann dachte ich an Belarus, weil ich verstanden habe, dass bei einer Niederlage Russlands innenpolitische Veränderungen stattfinden würden. Das könnte die russischen Eliten schwächen, und sie würden untereinander darum kämpfen, wer die Oberhand behält.«
Maryeuskis Einheit kämpft aufseiten der Ukraine gegen Russland und steht der Exilregierung von Swjatlana Zichanouskaja nahe. Ihre Hoffnung: zuerst die Ukraine befreien, dann ihr Heimatland.
In der Nähe der polnischen Stadt Białystok trainiert die paramilitärische Einheit unter dem Kommando von Sergey Kedyshko. Sie bereiten sich für ein Szenario vor, in dem Oppositionelle in Belarus auch mit Waffen gegen das Regime in Minsk kämpfen müssen.
Sergey Kedyshko, belarussischer Oppositioneller
»Wenn ein bewaffneter Kampf stattfindet, wenn es darauf ankommt, schnell und effektiv zu handeln, dann hängt die belarussische Opposition immer hinterher – deshalb verlieren wir.«
Kedyshko führt die etwa 200 Mann starke Gruppe an, trainiert mit ihnen in Polen und Litauen. Offenbar hatte die Gruppe in der Vergangenheit auch Kontakte zu Rechtsextremen.
Bei den Protesten vor drei Jahren habe nur das Regime Gewalt angewandt – der zivile Widerstand geht der Gruppe um Kedyshko nicht weit genug. Nun sind er und seine Leute bereit, den Systemwandel notfalls auch mit Waffengewalt zu erzwingen.
Sergey Kedyshko, belarussischer Oppositioneller
»Deshalb haben wir diese Einheit gebildet. Wir trainieren Menschen und bereiten uns auf die Befreiung von Belarus vor.«
Maryeuski ist schon vor drei Jahren aus Belarus geflohen. Ihm droht in seiner Heimat unter dem Regime Lukaschenkos eine hohe Strafe. Die Unterstützung der Ukrainer mit Waffen aber, so sagt er, sei auch eine Chance.
Pavel Maryeuski, belarussischer Oppositioneller
»Ich sehe es als Möglichkeit für uns Belarussen, nach Hause zu kommen. Außerdem dürfte es für uns sehr praktisch sein, in der Ukraine Erfahrung zu sammeln. Das Jahr 2020 hat gezeigt, dass ein Protest mit Blumen nichts bringt.«
Solange Wladimir Putin sich an der Kremlspitze hält, dürfte auch Lukaschenkos Platz in Minsk sicher sein. Was danach kommt, ist offen.
(16.08.2023)
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