Beim Erneuern eines Regenwasserkanals sind Arbeiter in Lübeck auf ein Großgrab mit wohl 50.000 Skeletten gestoßen. Wissenschaftlerinnen untersuchen den Fund – und einen möglichen Kriminalfall.
Lesen Sie hier das Videotranskript
Skelette im Erdboden. Was hier begraben liegt, ist eine große archäologische Besonderheit. Denn unter Lübecks Straßen verbirgt sich ein historischer Armenfriedhof.
Mehr als 200 Jahre lang – von 1639 bis 1868 – wurden hier Menschen bestattet, die vorher im sogenannten Armenhaus am ehemaligen Augustinerinnenkloster »St. Annen« lebten; aber auch solche, die sich einen »normalen« Friedhof nicht leisten konnten.
Ingrid Sudhoff, Leitende Archäologin Hansestadt Lübeck
»Es liegen hier nicht immer Einzelskelette, sondern es sind mehrere nebeneinander. Das heißt, es wird ein Bereich gleichzeitig untersucht und freigelegt. Und das dauert dann eben einen Tag, um das erst mal so frei zu präparieren. Dann muss das Ganze dokumentiert werden.«
In der Lübecker Innenstadt werden die Regenwasserkanäle erneuert. Unter dem Baustellengebiet liegt der Friedhof. Seit Mitte Februar legen Archäologen die Ruhestätte frei. Die Toten sind so tief bestattet worden, dass hier zum Teil drei Lagen übereinandergestapelt liegen – ein Gemeinschaftsgrab, kein Massengrab, wie die Expertinnen sagen.
Katharina Ostrowski, Archäologin
»Wir legen jetzt quasi für die Fotodokumentation eine Tafel hin, auf der das Wichtige für diese Flächenzeichnung draufsteht. Also das Datum und welche Flächenzeichnung das ist und welcher Abschnitt das ist. Und dann eben noch einen Maßstab dazu, damit man auf dem Foto sieht, was für einen Maßstab das hat und einen Nordpfeil, damit man sieht, in welcher Ausrichtung der Befund hier liegt.«
Seit Einrichtung des Friedhofs wurden hier durchschnittlich 200 Menschen im Jahr beigesetzt. Mit jährlichen Schwankungen dürfte der Friedhof damit auf etwa 50.000 Tote kommen. Bislang wurden rund 200 Tote gefunden – etwa 20 davon Kleinkinder und Babys. Das Areal ist etwa 8000 Quadratmeter groß. Zwar wusste man durch die Auswertung alter Dokumente schon von dem Friedhof. Bei den Grabungen kam es jetzt aber auch zu einer Überraschung.
Chiara Engesser, Archäologin
»Man kann hier vielleicht diese kleine Kugel sehen. Das ist eine Geschosskugel, die eben gestern oder heute Morgen beim Putzen rausgekommen ist und hier direkt unterhalb des Schädels, wie man das ja ganz schön auch sehen kann.«
Ob die Kugel todesursächlich war, soll nun geklärt werden. Wie auch bei allen anderen Skeletten entnehmen die Wissenschaftlerinnen Proben, die im Nachhinein im Institut für klinische Mikrobiologie der Uni Kiel untersucht werden.
Ingrid Sudhoff, Leitende Archäologin Hansestadt Lübeck
»Aber es ist keine alltägliche Situation. Gerade ein Friedhof aus dieser Zeit, also ein frühneuzeitlicher Friedhof, das ist tatsächlich etwas Besonderes, auch bundesweit. Das ist bisher nicht so oft angetroffen worden und vor allen Dingen auch nicht so oft wirklich untersucht worden, auch mit den anthropologischen Untersuchungen. Da erwarten wir also auch viele neue Forschungsergebnisse.«
(08.08.2023)
Zum Original