Wladimir Putin hat seine Herrschaft gerettet – dank eines Deals mit den Wagner-Söldnern. Doch wie sieht seine Zukunft aus? Einschätzungen von Politologe Stefan Meister.
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Aufstand in Russland – am Wochenende sah es über Stunden so aus, als ob Jewgenij Prigoschin, Chef der russischen Privatarmee »Wagner«, Tausende seiner Kämpfer zum Angriff auf die Hauptstadt schickte.
In einer am Montag veröffentlichten Nachricht sagte Prigoschin nun, er habe nie vorgehabt, die russische Regierung zu stürzen. Die Aktion sei vielmehr vor allem ein Protest gegen die Überführung seiner Kämpfer in die regulären russischen Streitkräfte und gegen die aus seiner Sicht katastrophale Kriegsführung in der Ukraine gewesen.
Offenbar eine Flucht nach vorne, die er jedoch schnell wieder abbrach. Für den russischen Machtapparat dürfte der Aufstand trotzdem nicht folgenlos bleiben.
Stefan Meister, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik
»Es ist natürlich schon offensichtlich, dass das System Putin und Putin selbst angeknackst sind. Also, dass sie letztlich geschwächt sind durch diese ganze Aktion. Zeitweise hat der russische Staat das Gewaltmonopol in Russland selbst verloren und war nicht dazu in der Lage, diesen schwarzen Schwan, sozusagen, also diese Aktion zurückzuschlagen. In der Hinsicht sehen das natürlich nicht nur externe Akteure, sondern auch interne Akteure. Also ich würde schon sagen, das System Putin ist insgesamt geschwächt. Es brauchte im Prinzip Loyalitätsbekundungen von Gouverneuren, von Leuten aus dem Sicherheitsapparat, dass niemand übergelaufen ist zu Prigoschin, um nochmal seine Legitimität zu untermauern. Und die Gefahr kommt eben nicht aus der Gesellschaft, nicht von den Oligarchen. Sie kommt aus dem Sicherheitsapparat.«
Der Aufstand der »Wagner«-Truppen endete am Samstag mit einem Deal. Das Strafverfahren gegen Prigoschin wird laut Kreml eingestellt, auch wenn am Montag gegenteilige Meldungen aus Russland kamen. Dem »Wagner«-Chef wurde außerdem eine unbehelligte Ausreise ins Nachbarland Belarus zugesichert, auch wenn nicht klar ist, ob er sich dort inzwischen wirklich aufhält. Die Frage ist, was kann Prigoschin noch erreichen, nachdem er für Putin als Verräter gilt?
Stefan Meister, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik
»Das System muss im Prinzip ein Exempel statuieren. Es kann es eigentlich nicht zulassen, dass Prigoschin sich hier durchgesetzt hat. Also es wird irgendwann eine Aktion geben, um ihn zu eliminieren, möglicherweise, oder um ihn zu verhaften. In Belarus ist er nicht sicher. Da herrscht sozusagen das russische Militär und auch die russischen Sicherheitsorgane. Möglicherweise geht er nach Afrika. Also ich glaube nicht, dass er nach Russland zurückkehrt, um hier zu versuchen, nochmal einen Umsturz zu starten. Dieser Moment ist vorbei. Am Ende geht es für ihn jetzt darum, am Leben zu bleiben und möglicherweise auch diese Region zu verlassen. Und Wagner wird sicher in der einen oder anderen Form aufgelöst und versucht werden, in die regulären, in die reguläre russische Armee zu integrieren.«
Die Zahl der »Wagner-Kämpfer« wird auf bis zu 50.000 geschätzt. Insbesondere im Kampf um Bachmut in der Ostukraine war die Söldnertruppe wichtig für Russland. Durch die Eingliederung in die regulären Streitkräfte dürften die Kämpfer deutlich an Bedeutung verlieren.
Stefan Meister, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik
»Viele Militärs sagen, Wagner wird keine entscheidende Rolle mehr in diesem Krieg spielen, weil es einfach so einen Blutzoll schon geleistet hat, dass es nicht mehr wirklich schlagfähig ist und vor allem auch die fähigsten Leute verloren hat. Aber es wird natürlich in der einen oder anderen Form die russische Armee verstärken und wir sehen, dass das ganze Businessmodell Privatarmee in Russland obsolet ist. Also im Prinzip: Wir brauchen keine hybriden Truppen mehr, die verdeckt kämpfen, weil alles, was Russland an Militär oder an Kämpfern sozusagen rekrutieren kann, schickt es im Prinzip im Rahmen des offiziellen Krieges in die Ukraine.«
Der Krieg in der Ukraine geht derweil unvermindert weiter. Ob die ukrainische Seite aus den Wirren rund um den Kurz-Aufstand einen militärischen Vorteil ziehen kann, ist ungewiss. Der Aufstand dürfte für Russland aber innenpolitische Folgen haben.
Stefan Meister, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik
»Also man kann jetzt sagen, wir sehen den Anfang vom Ende des Systems Putin. Aber ich würde sagen, das sehen wir mit diesem Krieg sowieso. Also weil langfristig das Regime und das System geschwächt wird. Aber es zeigt die Brüche im System, es zeigt die Schwächen, wenn Dinge passieren, auf die das System nicht vorbereitet ist, die die fehlende Flexibilität letztlich des Systems in Krisen, plötzlichen Krisensituationen. Mit einem alternden Präsidenten, der isoliert ist und der auch in einer eigenen Welt lebt, ist mein Eindruck. Also in der Hinsicht, das kann ganz schnell gehen. Aber das kann auch noch ganz lange und unangenehm dauern, sozusagen, bis hier möglicherweise Putin tatsächlich so unter Druck kommt, dass es eine Veränderung in der russischen Führung gibt.«
(26.06.2023)
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