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»Five, four, three, two, one.«
Der Brexit ist da. Ende Januar 2020 verlässt Großbritannien die Europäische Union. Tausende Briten feiern auf dem Parliament Square in London.
Doch nicht alle kamen mit dem Brexit in Feierlaune. Agata Błachowska ist vor 16 Jahren aus Polen nach Großbritannien ausgewandert.
Agata Błachowska, polnische Einwanderin:
»Dzień Dobry!«
Wir treffen sie beim Einkaufen in einem polnischen Geschäft. Agata arbeitet als Pflegerin in London. Ein Job, für den sie überqualifiziert ist. Das hat ihr lange nichts ausgemacht.
Agata hat in Großbritannien eine Heimat gefunden – eigentlich. Denn seit dem Brexit ist sie sich wie viele Polinnen und Polen hier unsicher, ob sie im Land bleiben will.
Agata Błachowska, polnische Einwanderin:
»Natürlich sind mir schon Situationen begegnet, in denen mir gesagt wurde: Wenn es dir hier nicht gefällt, dann geh. Euch braucht es hier nicht. Ihr könnt jederzeit gehen.«
Großbritannien war bei Polinnen und Polen lange Zeit sehr beliebt. Polnische Staatsbürger machen im Vereinigten Königreich noch immer die zweitgrößte Gruppe an Einwanderern aus, weit vor Menschen aus Pakistan, Irland und Deutschland. Die Anzahl der Polinnen und Polen in Großbritannien ist bis 2017 immer weiter angestiegen. Mehr als eine Million polnische Staatsbürger waren es zu Hochzeiten – und das sind nur die offiziellen Zahlen. Seit 2018 aber ist die Zahl drastisch eingebrochen, inzwischen um etwa ein Drittel.
Magdalena Zielińska arbeitet in Birmingham für die NGO »POMOC« – zu Deutsch: Hilfe. Sie kennt viele Polinnen und Polen in der Stadt – und erinnert sich gut an die Verunsicherung in der Community nach dem Ja zum Brexit beim Referendum von 2016.
Magdalena Zielińska, POMOC:
»Wir haben diese passiv-aggressiven Schlagzeilen gesehen. Unsere Gemeinschaft fühlte, dass sich etwas geändert hat und wir wussten, dass noch größere Veränderungen kommen würden, wenn der Brexit tatsächlich passiert. Weil es so viele Gerüchte gab und niemand wusste, was wirklich passieren und ob es irgendeinen Schutz für uns geben würde, wollten einige es nicht riskieren. Manche schlossen ihre Firmen. Einige verkauften ihre Häuser und gingen zurück nach Polen oder in ein anderes europäisches Land.«
Magda unterstützt Polinnen und Polen zum Beispiel dabei, eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Die bürokratischen Hürden für EU-Bürger in Großbritannien sind seit dem Brexit deutlich höher.
Magdalena Zielińska, POMOC:
»Die Maßnahmen der britischen Regierungen gegenüber Migranten, nicht nur gegenüber polnischen Migranten, sind mehr und mehr feindseliger geworden. Nach dem Brexit ist es schlimmer geworden. In den letzten Jahren gab es verschiedene Innenminister und mit jedem Einzelnen scheint es schlimmer zu werden.«
Trotzdem: Viele ihrer Landsleute lassen sich davon nicht abschrecken, sagt Magda.
Magdalena Zielińska, POMOC:
»In Polen gibt es ein Sprichwort. Ich weiß nicht, wie ich es übersetzen soll: ›Polak potrafi.‹ Ein Pole kann es schaffen. Das unterstützt uns. Es zeigt, dass wir aus jeder Situation herausfinden. Diese Mentalität hat uns bislang hier gehalten.«
Für Großbritannien ist die Arbeitsmigration aus der EU eigentlich ein Glücksfall, ganz besonders in Branchen wie der Pflege.
Agata hat in Polen Musikpädagogik studiert und mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet. In London lebt sie als Pflegekraft bei ihren Klienten und betreut sie rund um die Uhr. Sie sagt: Ihr Uniabschluss war in Großbritannien offenbar nichts wert. Agata hat das lange widerwillig hingenommen, doch nun reicht es ihr.
Agata Błachowska, polnische Einwanderin:
»Ich fühle mich wie eine Bürgerin zweiter Klasse. So habe ich mich hier schon immer gefühlt, aber es ist schlimmer geworden und im Endeffekt denke ich tatsächlich darüber nach, nach Polen zurückzugehen. Ich will mich wie zu Hause fühlen, aber ich fühle mich hier nicht zu Hause. Ich habe mich hier mal so gefühlt, aber jetzt nicht mehr.«
In London hält Agata kaum noch etwas. Sie plant ihre Zukunft in Polen – auch, weil dort jemand auf sie wartet.
Agata Błachowska, polnische Einwanderin:
»Ich habe noch einen anderen Grund zurückzugehen: Ich habe einen zweijährigen Enkel, den ich sehr vergöttere. Wann immer ich kann, verbringe ich Zeit mit ihm. Ich möchte nicht, dass er seine Oma nur über Videotelefonie kennt. Ich will einfach in seinem Leben sein, das wäre wunderbar.«
Agata wird gehen. Ihr Traum von einem Leben in London geht zu Ende. Großbritannien kümmert sich nun vor allem um sich selbst – und schneidet sich damit womöglich ins eigene Fleisch.
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