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Massenproteste in Israel: Am Montag sind wie hier in Jerusalem wieder Zehntausende Israelis auf die Straße gegangen. Sie demonstrieren gegen eine Justizreform der rechts-religiösen Regierung von Benjamin Netanyahu.
In der Nacht zum Dienstag hat das israelische Parlament nun die ersten Bestandteile des Gesetzespaketes durchgewunken. Und das hat es in sich.
Amalia Heyer, DER SPIEGEL
»Geplant ist quasi der gesamte Staatsumbau, so wie ihn diese rechts-religiösen, messianischen Menschen sehen, die da jetzt das Sagen haben; die Premierminister Netanyahu mit in seine Koalition genommen hat. Nur deswegen kann er wieder regieren. Und die ihn von dort aus treiben. Also Netanyahu ist nicht mehr das bestimmende Element, falls man ihn für moderat gehalten hat, sondern es sind jetzt tatsächlich diese messianischen Ideologen, die sagen: Wir wollen zum Beispiel den Halacha-Staat, wir wollen, dass nur noch die jüdische Gesetzgebung gilt. Was wiederum direkte Auswirkungen darauf hat, dass Minderheiten – aber auch Frauen, Homosexuelle, Queere – gar nichts zu sagen haben, in diesem Land.«
Der Kern des Gesetzespaketes zielt darauf ab, die Rolle von Regierung und Parlament gegenüber dem Obersten Gericht zu stärken. DAS nimmt allerdings eine wichtige Kontrollinstanz im Staat wahr, denn Israel hat keine geschriebene Verfassung. Der Einfluss besonders religiöser Fanatiker auf die Gesetzgebung könnte deutlich wachsen – was den liberalen und linksgerichteten Teilen der Bevölkerung Angst macht. Israelischen Medien zufolge gingen am Montag mehr als 70.000 Menschen auf die Straße. Aus ihrer Sicht steht viel auf dem Spiel.
Gidon Yuval, Demonstrant
»Ich bin heute in der Hoffnung hergekommen, die israelische Demokratie vor diesen drakonischen Maßnahmen zu retten, die die Regierung einführen will. Das sind Gesetze, die jedes einzelne unserer Rechte beschneiden würde.«
Nurit Vatnik, Demonstrantin
»Ich bin stolze Israelin, Hightech Arbeiterin, Mutter von zwei Soldaten und Ehefrau eines Reservisten – und ich bin heute hier, um für die Demokratie in unserem geliebten Land zu kämpfen.«
Gal Nyska, Demonstrant
»Wir sind hier, um gegen die Veränderungen von unserem Justizsystem zu protestieren, die ihre Freiheit einschränken und ihre Integrität und unsere gesamte Demokratie zerstören will.«
Premierminister Benjamin Netanyahu sieht das – wenig überraschend – allerdings ganz anders.
Benjamin Netanyahu, Ministerpräsident Israel
»Ich bin glücklich diese Herausforderung anzunehmen, unsere Feinde zu enttäuschen und unseren Freunden zu versichern: Israel war und wird eine starke und lebhafte Demokratie bleiben – eine unabhängige Demokratie.«
Umfragen zufolge lehnt eine Mehrheit der Israelis die Reformen ab – oder will sie wenigstens verlangsamen, um einen Dialog mit Kritikern zu ermöglichen.
Amalia Heyer, DER SPIEGEL
»Also so außergewöhnlich und auch beeindruckend diese Proteste sind, bin ich leider der Meinung, dass sie keine Auswirkungen haben. Denn dieser Regierung ist es völlig egal, ob 60 Prozent dagegen sind. Es können auch 92 Prozent sein. Denn es würde implizieren, dass das rational denkende Politiker sind, die sagen: Okay, ein Teil unseres Landes ist unzufrieden, da müssen wir noch mal nachjustieren, da müssen wir noch mal gucken, was hier passiert, wenn ein Teil, ein großer Teil des Landes, das so nicht will. Aber da sitzen reine messianische Ideologen, die haben sehr lange darauf hingearbeitet, dass sie da jetzt sitzen, und die sehen einfach nur noch im Tunnelblick: Wir haben jetzt die Macht, wir können den Staat jetzt nach unserem Gusto umbauen und dann tun wir das.«
Am Mittwochabend gingen weitere Teile der Justizreform in erster Lesung durch die Knesset. Die Reform dürfte die Gewaltenteilung in Israel zunehmend schwächen – und so am Ende auch der Demokratie in dem Land schaden.
(25.02.2023)