Alexander Schmitt

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Warum ein ukrainischer Blogger die Mütter toter russischer Soldaten anruft

Das von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Sputnik veröffentlichte Bild zeigt russische Soldaten die im Norden der Krim auf einem Militärlastwagen sitzen. © Quelle: Konstantin Mihalchevskiy/Sputnik

In Putins Krieg gegen die Ukraine sind bereits Tausende Menschen gestorben. Unter ihnen sind auch viele russische Soldaten – nicht alle Angehörigen erfahren aber von deren Tod. Ein ukrainischer Blogger möchte Licht ins Dunkel bringen.

„Guten Tag, ist Ihr Sohn gerade in der Ukraine?", fragt ein Mann mit ruhiger, aber entschiedener Stimme am Telefon. „Ich weiß es nicht", sagt die Frau am anderen Ende der Leitung unsicher. „Also, Sie wissen nicht, wo Ihr Sohn gerade ist?", hakt der Mann nach. „Nein", entgegnet die Mutter. „Aber er ist doch gerade im Militärdienst, richtig?" Sie bejaht. Dann erklärt er ihr: „Sehen Sie, der Name Ihres Sohnes steht auf einer Liste – und zwar nicht auf der Bestenliste."

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Der Mann, der hier telefoniert, ist der ukrainische Blogger Wolodymyr Solkin. Er spricht vor einer Kamera live zu seinen Zuschauern auf Youtube, der Chat ist prall gefüllt mit Kommentaren. Neben ihm: die Einblendung einer Liste von mutmaßlich gefallenen russischen Soldaten. Solkin ruft Mütter in Russland an, die verzweifelt auf ein Lebenszeichen ihrer Söhne warten, nachdem diese in Putins Krieg gegen die Ukraine gezogen sind. Er überbringt den Müttern die Botschaft, die russische Behörden ihnen bisher verheimlicht haben: Ihre Söhne sind im Krieg ums Leben gekommen.

Der Blogger rät der Mutter am Telefon, sich mit den Soldaten in Verbindung zu setzen, die gemeinsam mit ihrem Sohn in einer Kompanie waren. Nur so könne sie erfahren, was wirklich mit ihrem Sohn geschehen sei. Die Mutter am Telefon scheint überfordert: Warum erfährt sie nicht vom russischen Militär vom Tod ihres Sohnes?

Russland will die Kontrolle – auch in der Heimat

Seit Putin die Invasion in der Ukraine begonnen hat, kontrolliert der russische Staat vehement, welche Informationen in Russland über den Krieg verbreitet werden. Unabhängige Medien sind längst verboten, die Arbeit kritischer Journalisten stark eingeschränkt. Allein von einem „Krieg" zu sprechen und nicht wie vom Kreml vorgeschrieben von einer „Spezial­operation" kann mehrere Jahre Haft bedeuten.

Putins Informations­krieg bedeutet aber auch, dass russische Truppenverluste nicht oder nur in wenigen Fällen vom Kreml bestätigt werden. Was nicht ins Bild passt, wird nicht öffentlich gemacht. Mit seinen Youtube-Livestreams will der Blogger Solkin darauf aufmerksam machen.

Telegram-Kanal hat bereits 800.000 Abonnenten

Laut dem Onlinemagazin „Vice" baut die Sendung Solkins auf dem Telegram-Kanal „Ischtschi Swoich" („Such deine Leute") auf. Demnach zeige der Kanal Bilder und Videos russischer Soldaten in der Ukraine, die getötet, verwundet oder gefangen genommen wurden. Für eine Vielzahl russischer Angehöriger ist der Kanal ein Weg, vom wahren Schicksal ihrer Kinder, Geschwister und Freunde zu erfahren. Laut „Vice" hat der Kanal etwa 800.000 Abonnenten.

In Russland ist „Ischtschi swoich" bereits wenige Tage nach der Gründung blockiert worden. In vielen Videos müssen russische Gefangene in der Ukraine ihren Namen, ihr Geburtsjahr und ihre Heimatstadt angeben und sagen, wo sie genau gedient haben. Viele russische Soldaten stehen offenbar unter Schock und weinen.

Die russische Propaganda­maschine setzt indes ihren Informations­krieg fort. Im Staatsfernsehen ist weiterhin die Rede von einer Befreiung der Ukraine vor „Neonazis". Bilder und Geschichten von Unterstützern der „Spezialoperation" werden gezeigt. Der Kreml braucht die Unterstützung der russischen Bevölkerung. Blogger, wie Volodymyr Solkin, versuchen den Menschen in Russland das zu zeigen, was ihnen der Kreml verschweigt.

(13.03.2022)

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