Kosovo, Afghanistan, Mali – die Auslandseinsätze der Bundeswehr werden nach dem Fiasko am Hindukusch heftig diskutiert. Sind solche Einsätze noch eine Option? Und was müsste sich ändern? Eine Analyse von Matthias Gebauer und Alexander Schmitt (Video)
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Angriff auf die westliche Welt: Entführte Verkehrsflugzeuge steuern direkt in die Türme des World Trade Centers in New York. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 markieren den unmittelbaren Grund für den US-geführten Einmarsch in Afghanistan.
Auch die Bundeswehr ist bei dem Einsatz dabei: Krieg in Afghanistan – Ziel unklar. Heute – 20 Jahre später – sind alle westlichen Truppen aus dem Land abgezogen. In anderen Ländern wie Mali sind Bundeswehrsoldaten noch im Einsatz. Es geht um die UN-Friedensmission MINUSMA und die Ausbildungsmission EUTM. Was ist der Grund für dieses militärische Engagement im Ausland?
Matthias Gebauer, SPIEGEL-Redakteur:
»Die meisten Auslandseinsätze der Bundeswehr muss man ganz klar sagen, sind in der Bündnissolidarität entstanden. Also wenn wir uns erinnern an den Afghanistan-Einsatz, kurz nach den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 von den USA beschlossen, dann von Gerhard Schröder sofort bestätigt worden. Damals sehr ungewöhnlich mit einer Aussage: Wir werden alles, was die Amerikaner mitmachen gegen den Terror, daran werden wir uns beteiligen. Solche Aussagen würde es heute wahrscheinlich nicht mehr geben. Aber das ist schon eine Parallele, weil wenn man sich zum Beispiel den Mali-Einsatz anguckt: Das ist keine Initiative der Bundesregierung, das ist noch nicht mal eine europäische Initiative, sondern es ist hauptsächlich damals nach den Terroranschlägen in Paris, dass damals Frankreich um Hilfe gebeten hat und wir dann zugesagt haben, dass wir sie in Mali bei ihrer Mission da unterstützen.«
Keine Initiative aus Deutschland – dafür aber Solidarität mit den Verbündeten. So lässt sich das bewaffnete Engagement der Bundesrepublik bisher zusammenfassen. Der Afghanistan-Einsatz aber, so scheint es jetzt, ist gescheitert. Die Taliban, die schon einmal Ende der 90er Jahre in dem Land herrschten, sind wieder an der Macht. Nach 20 Jahren Krieg ist die Planlosigkeit der westlichen Politik erschreckend offensichtlich geworden.
Matthias Gebauer, SPIEGEL-Redakteur:
»Das größte Problem war aber von Beginn an, dass man eigentlich ohne Ziel in diesen Einsatz gegangen ist. Man wollte eigentlich die Täter von 9/11, also die Hintermänner – vor allen Dingen Osama Bin-Laden – fassen oder töten. Das ist nicht gelungen. Das war eigentlich schonmal die erste Niederlage. Dann hat man sich plötzlich sehr große Ziele gesteckt: Man wollte Demokratisieren, man wollte die Frauenrechte zurückbringen – und im Prinzip ein Land was doch, ich will nicht sagen rückständig, aber was in der Entwicklung längst nicht so weit ist wie Europa, wollte man im Turbo-Tempo ganz weit nach vorne bringen, fast auf europäischen Standard. Und das Ziel war einfach zu hoch gesteckt und deswegen ist man auch gescheitert.«
In Afghanistan blieben die gewünschten Erfolge aus. Ein anderes Bild zeigt sich im Kosovo: Die Bundeswehr ist dort seit 1999 im KFOR-Einsatz – und zu kleinen Teilen immer noch vor Ort.
Matthias Gebauer, SPIEGEL-Redakteur:
»Ich denke mal im Kosovo ist es noch eines der positiveren Beispiele. Da hat man zumindest partiell die Ziele erreicht. Da ist eine gewisse Stabilisierung eingetreten. Zumindest die Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Ethnien gibt es natürlich weiterhin, aber sie werden nicht mehr in der Form auf der Straße oder im Kampf ausgetragen. Und das waren eben hauptsächlich die Ziele, die man sich gesteckt hat. Und deswegen kann man jetzt langsam, wie man bei der Bundeswehr sagen würde "Abschmelzen" und das tut man ja auch. Hätte man das in Afghanistan auch so gemacht, wäre wahrscheinlich der Punkt zum Abzug schon lange gekommen, weil man zum Beispiel einfach gesagt hätte, unser Ziel ist wirklich nur: Wir wollen Al-Qaida in Afghanistan die Basis nehmen. Wir wollen, sagen wir mal, den Taliban die Möglichkeit nehmen weiterhin eine Art sicherer Hafen, wie man immer so sagt, für den Terrorismus zu sein. Dann hätte man wahrscheinlich 2014 schon abziehen können.«
Für eine erfolgreiche militärische Intervention braucht es – anders als in Afghanistan – einen Plan und klare Ziele. Das Risiko zu scheitern wächst sonst rasant. Was bedeutet das für die laufende Mission in Mali?
Matthias Gebauer, SPIEGEL-Redakteur:
»Wichtig ist nur, dass glaube ich in Mali es wäre ähnlich, wenn man jetzt einen Abzug langfristig oder kurzfristig ankündigen würde, hättest du relativ schnell die Gegenbewegung, dass genau die Kräfte, die du eigentlich in Schach halten wolltest, eben wieder aus ihren Löchern kommen und dann dementsprechend auch agieren können. Und das zeigt natürlich auch, dass die Militäroperation nicht wirklich erfolgreich war, weil eigentlich war ja natürlich das Ziel, diese sogenannten gegnerischen Kräfte, jetzt nicht unbedingt niederzukämpfen, aber sie zumindest so zu schwächen, dass sie eben nicht in der Lage sind, relativ schnell wieder zu agieren. Das ist in beiden Ländern nicht gelungen.«
Mali gilt spätestens seit dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan als der gefährlichste Einsatz für die Bundeswehr. Ende Juni wurden 13 Blauhelmsoldaten bei einem Anschlag verletzt, zum Teil schwer – unter ihnen auch zwölf Soldaten der Bundeswehr. Wie lassen sich derartige Vorfälle in Zukunft vermeiden?
Matthias Gebauer, SPIEGEL-Redakteur:
»Ich glaube die größte Konsequenz – und die ist jetzt schon vor dem Abzug da – ist, dass es eine solche Militärintervention in der Form nie wieder geben wird. Also kann ich mir zumindest nicht vorstellen. Selbst wenn sich jetzt nochmal Terroranschläge oder ähnliches wiederholen würden, würde man glaub ich nie wieder – auch von US-Seite – mit einer großen Intervention oder einer militärischen Invasion in ein Land gehen. Sondern man würde immer versuchen das punktuell, gezielt zu machen, bestimmte Gruppen zu bekämpfen – allerdings auch eher mit Drohnen und Spezialkräften – als jetzt wirklich mit einer Armee, die auch am Boden steht. In eigentlich keinem Szenario, dass ich mir vorstellen kann, würde das nochmal passieren.«
Wie es mit dem militärischen Engagement Deutschlands im Ausland weitergeht, wird in den nächsten Wochen und Monaten zu klären sein. Sicher ist: Einfach werden die Entscheidungen nicht. Die Diskussion über Auslandseinsätze wird jetzt verstärkt geführt werden – und sie muss geführt werden, bevor sich Fehler wiederholen.
(06.09.2021)
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