Alexander Schmitt

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Demokratie: Kreuze sind nicht alles

[Meinung] Alle paar Jahre das ein oder andere Kreuz setzen - die Politiker*innen werden die Probleme alleine schon richten. Diese Vorstellung könnte bald der Vergangenheit angehören. Nicht etwa, weil die Demokratie in Deutschland abgeschafft, sondern weil sie ausgebaut werden könnte: Nach dem Willen einiger Politiker*innen sollen sogenannte Bürger*innenräte das Funktionieren der Demokratie stärken.

Bürger*innenrat - Was ist das?

Das Konzept sieht ziemlich einfach aus: Eine zufällig ausgeloste Gruppe trifft sich und debattiert über ein aktuelles politisches Thema. Voraussetzungen für die Teilnahme gibt es nicht. Das Losverfahren soll jedoch sicherstellen, dass die gesamte Gesellschaft ausgewogen vertreten ist. Moderator*innen und Expert*innen sind an der Diskussion beratend beteiligt und sollen helfen, dass die Ideen später im politischen Geschehen auch gut umgesetzt werden können. Diese Regierungsform nennt sich „aleatorisch-repräsentative Demokratie".

In Irland gibt es diese Bürger*innenräte bereits - und sie scheinen zu funktionieren. Jedenfalls insofern, als dass politische Prozesse näher an die Bevölkerung herangetragen werden: Bereits kurz nach Einführung solcher Diskussionsmöglichkeiten wurde über das irische Abtreibungsverbot ein Referendum abgehalten. Auch in Belgien und Dänemark wurden solche Räte auf unterschiedlichen Ebenen eingeführt. In Frankreich hat ein Klima-Bürger*innenrat sogar die französische Nationalversammlung dazu bewogen, die Verfassung zu ändern und den Klimaschutz aufzunehmen.

Rund die Hälfte der Deutschen mit Demokratie unzufrieden

Dass Bürger*innenräte auch in Deutschland eine gute Idee sein könnten, legt eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2019 nahe: Mehr als jede*r zweite Befragte ist mit dem Funktionieren der Demokratie wenig oder überhaupt nicht zufrieden. Der Aussage „Jenseits von Wahlen gibt es für die Bürger nicht genügend Beteiligungsmöglichkeiten" stimmen etwa 59 Prozent voll und ganz oder eher zu. Und sechs von zehn Befragten sprechen sich für die Einführung von Bürger*innenräten aus.

Bereits Anfang diesen Jahres gab es in Deutschland einen ersten Testlauf für einen Bürger*innenrat. 154 Menschen haben sich in einem Zeitraum von sechs Wochen ausgetauscht und die Regierenden beim Thema Außenpolitik beraten. Im Vergleich zu Frankreich und Irland sind die Ergebnisse jedoch eher allgemein verblieben.

Die Grünen-Fraktion im Bundestag fordert derweil ein neues Beteiligungsgesetz, das als Grundlage für solche Bürger*innenräte dienen könnte. „Neben mehr Beteiligung ist eine engagierte Zivilgesellschaft entscheidend für Zusammenhalt und eine lebendige Demokratie", zitiert der „Tagesspiegel" aus dem Antrag. Gefordert werden in dem Antrag außerdem ein Online-Beteiligungsportal und ein „Büro für Beteiligung" beim Deutschen Bundestag.

"Die Bindung zwischen Wähler und Gewählten ist schwächer geworden"

Ein Bürger*innenrat wäre gut für die Demokratie in Deutschland. Die bisherigen Möglichkeiten zur Teilhabe an der Politik sind nämlich überholt. Sie scheinen nicht mehr genügend Menschen zu erreichen. Selbst der dienstälteste Abgeordnete und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble sagt: „Die Bindung zwischen Wählern und Gewählten ist schwächer geworden - und die Kraft der Parteien, die für eine stabile repräsentative Demokratie wichtig sind, ist auch kleiner geworden."

Für die Menschen ist es - auch abseits der Pandemie - nicht mehr attraktiv, auf Ortsvereinssitzungen von Parteien über das Klein-Klein zu streiten. Das bloße Kreuz auf dem Wahlzettel reicht nicht mehr aus, um in der Demokratie politisch zu sein. Es braucht eine neue Möglichkeit, die Demokratie zu stärken. Bürger*innenräte sind hierfür eine gute Möglichkeit.

Bürger*innenräte sorgen für Vertrauen und Begeisterung

Idealerweise helfen diese Gremien nicht nur den Politiker*innen und den Institutionen der Demokratie, sondern auch den Bürger*innen selbst. Denn die tatsächliche Gesellschaft wird in Wahlen nicht genügend repräsentiert. Das Gefühl, aktiv an einem politischen Prozess beteiligt gewesen zu sein ist schlicht sehr motivierend. Es begeistert die Menschen, stärkt das Vertrauen in die Demokratie und sorgt für eine bessere Abbildung des Willens der Bevölkerung. Die tatsächliche Gesellschaft wird besser repräsentiert. Und ist es nicht das, was die Demokratie erreichen möchte?

Dieser Beitrag ist ein Meinungsbeitrag und spiegelt den Standpunkt des*der Redakteur*in zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wider.
(09.04.2021)
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