Alexander Nabert

Investigativer Reporter, München

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Wie China Einfluss auf die UN-Ernährungsorganisation nimmt

Ein Insider der Welternährungsorganisation FAO hat sich Anfang dieses Jahres an die ARD gewandt: Seit dem Amtsantritt des chinesischen Generaldirektors Qu Dongyu im August 2019 habe sich die Organisation massiv geändert. Es ist der Beginn einer monatelangen Recherche von BR, MDR, rbb und SWR, die auf vier Kontinente führt. Die Reporter zeigen, wie die chinesische Führung die Institution in den vergangenen vier Jahren auf chinesische Interessen ausgerichtet hat - mithilfe eines geleakten Datensatzes, interner Unterlagen und anhand von Gesprächen mit aktiven und ehemaligen Mitarbeitern der FAO sowie nationalen und internationalen Experten.

Weitreichende Vorwürfe an China

Es geht um Lieferungen in Europa verbotener Pestizide, die mehrheitlich von einem chinesischen Agrochemiekonzern stammen, UN-Projekte im Einklang mit Chinas "Neuer Seidenstraße" sowie fragwürdige Investitionsvorhaben.

Die Food and Agriculture Organization (FAO) ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Ihr Ziel ist es, den Hunger in der Welt bis 2030 zu beenden und Nahrungsmittelsicherheit für alle Menschen zu erreichen. Deutschland ist eines von 194 Mitgliedsländern. Laut den aktuellen UN-Statistiken zahlte die Bundesrepublik im Jahr 2021 mehr als 100 Millionen Euro an die FAO. Deutschland ist damit nach den USA der zweitgrößte Geldgeber.

Fotos von Stimmzetteln gefordert?

Die Mehrheit der FAO-Mitgliedsstaaten wählte Qu im Juni 2019 im ersten Wahlgang zum Generaldirektor. Er setzte sich damit gegen eine Kandidatin der Europäischen Union und einen von den USA unterstützten Bewerber aus Georgien durch. Zuvor war Qu Vize-Landwirtschaftsminister von China. Ihm werden Verdienste für Chinas globales Infrastrukturprojekt "Neue Seidenstraße" zugerechnet: Eine Vielzahl von großen Investitionen in Straßen, Schienen, Bahnhöfe und Häfen in Dutzenden Ländern - mit dem Ziel, strategische Handelsrouten für China zu erschließen.

Im Vorfeld der Wahl hatte China dem afrikanischen Staat Kamerun knapp 80 Millionen Dollar Schulden erlassen. Danach zog ein Gegenkandidat aus Kamerun seine Kandidatur zurück. Die CDU-Politikerin Julia Klöckner, von 2018 bis 2021 Landwirtschaftsministerin, nahm für Deutschland an der Wahl 2019 teil. Sie erinnert sich so an den Wahltag: "Es sickerte durch, bevor die Wahlgänge stattfanden, dass gerade afrikanische Staaten doch bitte ein Foto von ihrem Wahlzettel in der Wahlkabine machen sollten." Unter FAO-Beobachtern wird dies als Hinweis gedeutet, dass China mehreren Staaten Angebote für ihre Stimme unterbreitet haben könnte.

Der Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsfragen der FAO beschäftigte sich mit der Wahl und regte an, bewährte Verfahren und Regeln anderer UN-Organisationen zu untersuchen, in diesem Zusammenhang ist auch die Diskussion um Mobiltelefone in Wahlkabinen dokumentiert.

Prüfung auf "politische Ideologie"

Unmittelbar nach Amtsantritt begann der chinesische Generaldirektor damit, die UN-Organisation und die Führung Chinas enger miteinander zu verbinden. Dazu gehörte die Entwicklung einer neuen FAO-Webseite. Statt an eine IT-Firma ging der Auftrag dafür an das chinesische Landwirtschaftsministerium, es flossen laut einer Liste über große Zahlungen mehr als 400.000 Dollar nach Peking.

Unter Qu vergab die UN-Organisation viele wichtige Posten an Chinesen. Deutlich wird das bei den besonders einflussreichen Direktoren, die der Generaldirektor direkt ernennt. Zum Amtsantritt von Qu gab es zwei chinesische Direktoren in der FAO, mittlerweile sind es sechs. Diese haben viele Mitarbeiter unter sich und verfügen über Budgets. Einer der chinesischen Direktoren vertritt die FAO bei den Vereinten Nationen.

Interne Unterlagen aus der FAO, die BR, SWR, rbb, MDR und dem ARD-Studio Rom vorliegen, geben Einblick in eine besondere Gruppe von Mitarbeitern: sogenannte "Officer", die in der Zentrale der Organisation in Rom arbeiten, deren Gehälter aber aus Peking bezahlt werden. Auch andere Staaten bezahlen Officer aus ihren Heimatländern. Chinesische Ausschreibungsdokumente zeigen allerdings, dass die chinesischen Officer "streng" auf "politische Ideologie" überprüft werden. Zudem müssen sie der chinesischen Botschaft in Rom regelmäßig über ihre Arbeit berichten. Der Insider aus der FAO sagt, die chinesischen Officer würden intern "Spione" genannt.

Lieferfreigaben für gefährliche Pestizide

Einer der chinesischen Direktoren ist zuständig für den Bereich Pflanzenschutz - und damit für den Umgang mit Pestiziden. Unter der chinesischen Führung hat die FAO jahrelang Lieferungen umstrittener Pestizide nach Afrika, Asien und Ozeanien freigegeben, wie interne Unterlagen aus den Jahren 2020 bis 2023 zeigen. Demnach genehmigte die FAO-Zentrale in Rom Pestizide für den Einsatz in Projekten in diversen Ländern. Viele dieser Pestizide beinhalten Wirkstoffe, die in der EU wegen ihrer Toxizität verboten sind.

Den größten Anteil an Lieferfreigaben, die sich konkreten Produkten zuordnen ließen, hatten dabei Pestizide des Agrarchemiekonzerns Syngenta. Syngenta gehört seit 2017 einem chinesischen Staatskonzern. Unter Qu schloss die FAO eine Partnerschaft mit dem Unternehmen - mit keinem anderen Pestizidhersteller besteht eine solche Kooperation. Zudem hat die FAO eine Partnerschaft mit dem Interessenverband der Agrarchemie CropLife vereinbart, in dem Syngenta Mitglied ist.

Der ehemalige FAO-Mitarbeiter Hans Dreyer zeigt sich über die Vielzahl an Freigaben solch toxischer Pestizide "schockiert". Dreyer ist der frühere Leiter der zuständigen FAO-Abteilung für Pflanzenschutz und Vorgänger des chinesischen Direktors. Er sagt: "Ich kann nur über meine Zeit sprechen. Da war es so, dass man absolut versuchte, solche Substanzen nicht einzusetzen. Und wenn ich das so sehe, entspricht das einer Erhöhung des Risikos, wenn man diese Substanzen jetzt einzusetzen beginnt." So etwas habe es zu seiner Zeit nicht gegeben.

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