Die ständige Verfügbarkeit des Internets verändert uns. Bekenntnisse eines Betroffenen.
Mein Smartphone hat Spuren auf der Rückseite, die dem Gebiss meines Unterkiefers entsprechen. Ich ertaste die winzigen Vertiefungen jedes Mal, wenn ich das Ding in der Hand habe - also durchschnittlich 88-mal am Tag, wie eine Studie der Universität Bonn aus dem Jahr 2014 ergab. Dabei sind die Biss-Spuren das kleinere Übel, der Vorfall hätte mich auch den Kopf kosten können, und das ist wörtlich gemeint.
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Gar nicht leicht, ich weiß, und daran könnte das Internet schuld sein. Schon 2008 ergaben Untersuchungen am University College London, dass die Lesekompetenz im Netz leidet. Online werde eher gescannt als studiert. Mehr Information in weniger Zeit. Forscher befürchten, dass da die gedankliche Vertiefung auf der Strecke bleibt, das gescannte Wissen scheint flüchtig zu sein. Dieses Verhalten wirkt sich auch auf die Offlinewelt aus, bei mir jedenfalls. Wann ich das letzte Mal einen langen Artikel im Zug gelesen habe? Ich kann mich nicht erinnern. Am Stück lese ich sowieso selten, ich google am Smartphone, weil ich ein Wort nicht kenne oder einen Namen oder sonst was. Ich halte es kaum aus, einfach weiterzulesen. Wobei ich nicht weiß, ob mich die Neugier treibt, wie ich mir einrede, oder eine Fahrigkeit, die mein im Grunde sinnloses Hin und Her erzwingt.
Onlinemedien haben sich längst auf die verkürzte Aufmerksamkeitsspanne eingestellt. Auf Spiegel.de werden längere Artikel mit einer Zusammenfassung am Textende versehen. Beim kalifornischen Onlinemagazin Ozy.com steht vor jedem Artikel die Frage „Why should you care?", die mit einem Satz beantwortet wird. Das beste Beispiel ist wohl Twitter, der Kurznachrichtendienst mit dem 140-Zeichen-Limit.
Das Internet beschleunigt nicht nur Prozesse und Kommunikation, es beschleunigt auch meine Bedürfnisse. Die technische Limitierung nimmt weiter ab, Zwangspausen gibt es kaum noch. Die Werbung vor dem Youtube-Video klicke ich nach fünf Sekunden - endlich! - weg, und wenn mal etwas länger lädt, springe ich zum nächsten Tab und checke meine Twitter-Timeline. In der Welt des Multitabing tue ich, was ich will, wann ich will. Das macht mich manchmal inkompatibel mit den Zumutungen des analogen Lebens, Ampeln und Warteschlangen empfinde ich als nervig. Vor allem, wenn, wie im Supermarkt, kein Netzempfang ist. Das sich immerfort drehende Aktualisierungsrädchen auf meinem Smartphone macht mich wahnsinnig. Für so was habe ich keine Zeit.
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