Ein paar langgezogene Wolkenfetzen kleben am Horizont, sonst ist der Himmel über Christchurch tiefblau an diesem Nachmittag. Vom Dach des alten Postamts überblickt Sam Crofskey die Innenstadt. Er ist die schmale Wendeltreppe mit dem schnörkeligen Eisengeländer raufgestiegen, weil er das Wunder hier oben nicht erklären muss. Die Aussicht reicht, um zu begreifen, wie unwahrscheinlich es ist, dass ausgerechnet dieses Haus noch steht. Ein cremefarbener Art-déco-Bau aus den 1930er Jahren.
Ringsherum fehlen die Häuser. Auf Brachflächen wächst dünnes Gras, hinter Absperrzäunen stehen Ruinen. Es sind die sichtbaren Nachwirkungen des schweren Erdbebens, das Christchurch vor viereinhalb Jahren traf. Mit 350.000 Einwohnern ist sie die größte Stadt auf Neuseelands Südinsel und deren Wirtschaftszentrum.
Es ist nicht leicht, sich vorzustellen, dass all diese Grundstücke mal bebaut waren, dass es hier geschlossene Straßenzüge gab, es an Parkplätzen mangelte. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stapeln sich rote und blaue Metallcontainer, die eine historische Fassade stützen, das sieht man hier oft. Es ist der Versuch, zumindest ein paar Eindrücke des alten Christchurch mit in die Zukunft zu nehmen.
Das Erdbeben vom 22. Februar 2011 war nur eines von vielen, das die Gegend zu dieser Zeit erlebte, mit einer Stärke von 6,3 war es nicht mal das heftigste. Aber es war das zerstörerischste: 185 Menschen starben, innerhalb von Augenblicken wurden weite Teile der Stadt verwüstet. Die Innenstadt litt besonders, mehr als zwei Jahre lang war sie militärische Sperrzone. Dort wurde fast ein Drittel aller Gebäude zum Abriss freigegeben, weil die Statik nicht mehr verlässlich war. Im gesamten Stadtgebiet waren es rund Zehntausend. Christchurch schrumpfte Haus um Haus.
2015 ist das Jahr der Kehrtwende, die Stadt wächst wieder. Die ersten Großprojekte wurden eingeweiht: das Cricket Oval im Hagley Park und das supermoderne Busterminal in der Innenstadt. Dazu kommen die Glaspaläste internationaler Firmen, etwa das Vodafone Hauptquartier oder das Gebäude der Unternehmensberatung Deloitte am Ufer des Flusses Avon. Von den Tausenden, die die Stadt nach dem Beben verlassen hatten, sind die meisten zurückgekehrt. Erstmals seit vier Jahren führte die Route des Christchurch Marathon 2015 wieder durch die Innenstadt.
Der Wiederaufbau geht voran. Währenddessen verhandeln Behörden, Bauherren und Bürger, wie das neue Christchurch aussehen soll. Manchmal streiten sie auch. Die einen wollen erhalten, die anderen erneuern. Die einen sind für eine unaufgeregte Stadt, die man sich leisten kann. Die anderen wollen Christchurch mit teuren Prestigebauten größer machen, als es je war.
Was braucht eine Stadt, in der man gerne lebt? Und was nicht? Es sind dieselben Fragen, die man sich auch in anderen Städten anderswo auf der Welt stellt, nur sind sie hier drängender, weil alles zugleich entschieden werden muss. Wer sich jetzt durchsetzt, prägt Christchurch für immer.
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