Flinken Schrittes schlängelt sich Jadranka Suster durch die von Touristen und Einheimischen bevölkerten Gassen der Altstadt von Sarajevo: kaum zwei Meter sind diese breit; gesäumt von Souvenir-, Obst und Tuchständen. In der Luft hängt der Duft von starkem bosnischen Kaffee. Normalität - wie seit Jahrhunderten, sagt Suster. Nur eines sei anders.
Es gibt neue Souvenirs. Sehen Sie, die wurden aus Geschosshülsen gemacht. Auch Souvenirs, die aus Patronen gefertigt wurden. Das gibt es erst seit dem Ende des Krieges. Und es gibt Leute, die solche Souvenirs mögen.
Die Historikerin hat ihr ganzes Leben in Sarajevo verbracht. Seit jugoslawischen Zeiten arbeitet sie als Tourguide für Touristen. Die waren schon immer fasziniert vom einmaligen Flair der Stadt, in der Orient und Okzident seit Jahrhunderten aufeinander treffen. Heute interessiere viele Touristen jedoch ein anderer Teil der Geschichte Sarajevos.
Der Hauptgrund ist der Krieg. Sie wollen die Kriegsorte sehen, die Frontlinie, das Kriegsmuseum. Sie erzählen, dass sie den Krieg damals im Fernsehengesehen haben. Und jetzt wollen sie selber sehen, wie es damals hier war.
Der Krieg, das ist der Bosnienkrieg zwischen 1992 und 1996. Nach dem Zerfall Jugoslawiens belagerten ethnisch serbische Truppen damals die Stadt mehr als drei Jahre lang. Von den umliegenden Bergen terrorisierten sie die Einwohner mit tagtäglichem Artilleriefeuer, zerstörten die gesamte Altstadt. Am Ende waren schätzungsweise 12.000 Zivilisten tot. Doch heute ist die Altstadt wiederaufgebaut.
Am zentralen Platz versperrt eine Menschentraube plötzlich den Weg von Jadranak Suster, schwenkt Flaggen und singt.
Dieses Lied ist aus dem Krieg, es geht um den Widerstand. Und das sind alte Flaggen der Republik Bosnien und Herzegowina aus Kriegszeiten. Vielleicht unterstützen die jemanden. Ich muss mal lesen.
Suster verschwindet kurz in der Menge und bestätigt ihren Verdacht. Die Demonstranten solidarisieren sich mit einem ehemaligen bosnischen General. In Den Haag wird ihm gerade der Prozess wegen Kriegsverbrechen gemacht. Der Krieg, er lässt Sarajevo nicht los.
Ortswechsel: wenige hundert Meter von der Altstadt entfernt. Ein halbes Dutzend Matratzen säumen den kargen, grauen Raum. An der Wand warnt ein Graffito auf Bosnisch vor Scharfschützen, die Fenster sind mit Bettlaken verhangen. In der Mitte des Raums: ein junger glatzköpfiger Mann in Militäruniform.
Früher haben die Leute mich immer nach dem Krieg gefragt. Und ich habe ihnen diese Dinge erzählt. Aber sie haben viele Aspekte nicht verstanden: Wie es war als Vierjähriger in einem Bunker zu schlafen, im Dunkeln, ständig Bomben, Angst, Gestank, kaum Schlaf. Also wollte ich es ihnen zeigen.
Deshalb eröffnete der heute 27-jährige Arijan Kurbasić vor drei Jahren in seinem Elternhaus das „War Hostel“. Dort, wo seine Familie einst im Artilleriebeschuss ausharrte, schlafen heute Touristen bei Kerzenschein auf dem Boden, aus den Boxen dröhnen unentwegt Gewehrsalven.
Es ist wie ein Schock, schon der Name: War-Hostel. Aber eigentlich ist es ein „Anti-Kriegs-Hostel“. Es geht um alles, außer dem Krieg selbst. Es geht um die Geschichte der Überlebende, unsere Geschichte. Vielleicht wäre es nicht so anziehend, wenn es „Anti-Kriegs-Hostel“ heißen würde.
Kurbasić hasst den Krieg, aber er und seine Familie leben von ihm. Bosnien hat die dritthöchste Arbeitslosenquote der Welt. Der „Dunkle Tourismus“, wie ihn Soziologen nennen, ist einer der wenigen florierenden Wirtschaftszweige des Landes. Auch wenn die Stadtverwaltung von Sarajevo anderes verspricht, etwa Kultur- und Biotourismus.
Ich höre von diesen Projekten. Die Stadt kann sich aber nicht entscheiden, welche sie zuerst machen will. Sie will alle gleichzeitig machen. Jetzt gibt es aber zumindest die Seilbahn. Das ist schön.
Deren brandneue Talstation steht direkt hinter dem War Hostel. Zwei Kilometer bergaufwärts standen einst die Artilleriegeschütze der Belagerer, die die Originalseilbahn direkt zum Beginn des Bosnienkrieges zerstörten. Am 6. April, genau 26 Jahren nach Kriegsbeginn, wurde sie wiedereröffnet.
Sie ist ein Symbol, ein Versprechen für eine bessere Zukunft. Alle anderen wichtigen Symbole Sarajevos, wie die Altstadt, wurden bereits restauriert. Nur die Seilbahn fehlte. Bis zur Eröffnung hat aber niemand geglaubt, dass wir sie wirklich wiederaufbauen.
Stolz blickt Dejan Gavrić auf sein Werk. Drei Jahre lang haben der Ingenieur und seine Kollegen an dem Wahrzeichen der Stadt geplant und gebaut. Seine Erstfahrt im Frühjahr treibt dem toughen Mittvierziger auch heute kurz Tränen in die Augen.
Es gibt Dinge, die kann man nicht mit Geld kaufen. Das gehört dazu. Die Chance zu haben, in diesem Korb zu sitzen für die erste Fahrt nach dem Krieg. Das war etwas, etwas Wundervolles.
Gavrić steigt in die Kabine. Fast lautlos schwebt sie den Berg hinauf. Zu seinen Füßen öffnet sich ein malerisches Panorama über das friedliche im Tal liegende Sarajevo. Sieben Minuten dauert die Fahrt zurück in die Realität.
Mitarbeiter: Welcome! Gavric: Sehen sie, unser Kollege war ein Soldat, Spezialeinheit. Er ist immer noch gut gebaut.
Die Infrastruktur mag wiederaufgebaut sein, doch der „dunkle Tourismus“ und die politische Ausschlachtung der Geschichte halten die Wunden der Menschen bis heute offen, sagt Gavrić und blickt über seine Stadt.
Die Menschen hören viel über den Krieg in den Medien. Wir brauchen positive Stories. Dann reden sie über etwas Anderes. Heute ist es wichtig, Leuten Jobs zu geben. Sie müssen etwas schaffen, Geld verdienen, ein gutes Leben haben, Freizeit!
Unterhalb der Seilbahn in einer der jungen, hippen Bars des Stadt. Damir Niksić setzt sich und schüttelt den Kopf über das Narrativ vom neuen Sarajevo. Der Performancekünstler nimmt in seinen bissigen YouTube-Videos die aktuellen Entwicklungen in Bosniens aufs Korn - Auch, dass die Kriegsopfer heute in gewisser Weise dem Krieg am Leben erhalten.
Klar waren die Leute in Sarajevo Opfer. Aber nicht nur Opfer der Belagerung des Feindes, der um die Stadt drum herum stand. Sie waren auch Opfer der Kriegsprofiteure innerhalb der Stadt.
Damit meint Niksić viele, die heute in der Politik sitzen und den Krieg ausschlachten. Aber – mit bitterbösem Sarkasmus - auch diejenigen, die heute bewusst oder unbewusst den Krieg als Anziehungspunkt für Touristen vermarkten. Das ist für Niksić der größte Hemmschuh für die Entwicklung des ganzen Landes.
Vielleicht könnten wir ja mal eine neue Marke erfinden. Denn es gibt nichts, was mehr mit dem Krieg verbunden ist als Frieden. Daher könnte man vielleicht auch ein gutes Geschäft daraus machen: Frieden zu exportieren. Das nächste Mal.
Zum Original