Ahoi Camp auf Fehmarn Und am Freitag kommen die Lifestyle-Camper
Hamburger Bulli-Verleiher haben einen insolventen Campingplatz auf Fehmarn renoviert: Vanlife statt Gartenzwerg-Ambiente, Solarstrom statt Jägerzaun. Die Dauercamper beobachten das mit gemischten Gefühlen.
Mehr als 50 Jahre lang stand Volker Münch, 64, auf dem Campingplatz Fehmarnbelt in der ersten Reihe am Meer. Bereits im Eröffnungsjahr des Platzes 1968 übernachtete er dort mit seinen Eltern und seinem Bruder in einem selbst gezimmerten Wohnwagen. Später stellten er und seine Frau Petra ihr mobiles Heim in Reihe eins, Platz zehn ab.
Doch nun, in seiner 54. Saison auf Fehmarn, ist plötzlich alles anders: Die Münchs verbringen jetzt ihre Wochenenden im hinteren Teil des Camps am Binnensee, weil die neuen Besitzer des Platzes es so wollten. "Wir vermissen unsere Aussicht", sagt Volker Münch, der in den Siebzigerjahren einer der ersten Windsurfer auf Fehmarn war. "Aber wir sind auch froh, dass es den Campingplatz überhaupt noch gibt, denn der befand sich seit über zehn Jahren in der Insolvenz."
Gerettet haben den Naturcampingplatz Jens Köhler, 44, und Johannes Vieten, 42, aus Hamburg. Die Betreiber des VW-Bus-Verleihs Ahoi Bullis haben den Platz im vergangenen Herbst gekauft und am 1. April neu eröffnet. "Es war nicht leicht für uns, den Saisongästen zu sagen, dass sie umziehen müssen", sagt Köhler. "Wir haben dafür extra eine Sprechstunde einberufen, um ihnen zu versichern, dass sie auf jeden Fall bleiben können, aber wir das Campen auf den besten Plätzen gern jedem ermöglichen wollen. Wir müssen halt die hohen Investitionskosten refinanzieren."
Denn auf den "Meerblick deluxe"-Plätzen am Meer ist die Freiheit, die das Camp auf einer Landzunge in einem Naturschutzgebiet verspricht, besonders stark zu spüren. Steigt man hier aus seinem Camper, zerzaust einem der Ostseewind sofort das Haar und die Welt besteht plötzlich nur noch aus Dünengras, Strand und Möwengeschrei. Der perfekte Ort, um kurz mal den Alltag zu vergessen.
Millennials sind mit Kastenwagen und Vans daGenau deswegen kam auch Johannes Vieten schon in den Neunzigerjahren oft mit seinem VW-Bus zum Windsurfen hierher. Heute weiß er, dass eine wachsende Anzahl an Bulli-Besitzerinnen und -Besitzern in Deutschland diese Sehnsucht mit ihm teilt. Allein 2021 gab es laut Caravaning Industrie Verband (CIVD) 81.420 Neuzulassungen für Campingbusse in Deutschland. Noch einmal 4,3 Prozent mehr als im Boom-Jahr 2020.
Viele der Neueinsteiger sind Millennials zwischen 20 und 30 Jahren, die sich Kastenwagen und Vans zulegen und sich eine neue Art des Campens wünschen: ohne Jägerzäune, Verbotsschilder und die typisch deutsche Gartenzwergmentalität. "Wenn unsere Kunden uns nach Tipps für ihre Bulli-Touren fragen, dann suchen sie meist nach naturnahen Camps", sagt Vieten. "Deshalb ist dieser Platz die ideale Ergänzung zu unserem Bulli-Verleih."
Im Ahoi Camp haben Vieten und Köhler alles abgeschafft, was Camping mühselig macht: Es gibt keine Duschmarken mehr, dank Online-Check-in fällt langes Warten bei der Anmeldung weg, und es kommt auch niemand mit dem Winkelmesser vorbei, wenn man seinen Campingbus parkt. "Wir wollen moderne Platzwarte sein", sagt Köhler. "Wenn neue Gäste ankommen, dann fährt immer jemand aus unserem Team mit seinem Golf-Caddy bei ihnen vorbei, um sie freundlich zu begrüßen und zu fragen, ob sie Hilfe benötigen. Aber ganz sicher nicht, um ihnen die Campingplatzregeln zu erklären."
Franziska Hesse aus Hildesheim gefällt die lockere Atmosphäre auf dem Platz. Sie sitzt mit Hund Heinrich vor ihrem VW-Bus T2 Brasilien aus den Siebzigerjahren und sagt: "Campingplätze mit abgesteckten Parzellen und Schrebergarten-Flair sind mir ein Graus. Hier aber klettern alle morgens gleich müde und zerzaust aus ihren Vans. Diese Offenheit gefällt mir." Ihr Freund Bülent Kirtas ergänzt: "Wir haben auf Facebook gesehen, dass auf dem Platz viele unterschiedliche VW-Bus-Modelle stehen. Deshalb sind wir gekommen. Außerdem fühlen wir uns wohl zwischen den ganzen coolen Leuten mit Bart und Mütze."
Vanlife-Enthusiasten sitzen vor ihren fabrikneuen Bussen
Von denen wimmelt es auf dem Platz tatsächlich. Bärtige Ü-40-Väter fahren auf Skateboards zum Brötchenholen in den Mini-Markt, und am Strand filmen sich junge Angler mit bunten Strickmützen dabei, wie sie Heringe aus dem Meer ziehen. Ricardo Helen, der bereits seit mehreren Jahren mit seinen Freunden Max und Kathi zum Kite-Surfing auf den Platz kommt, blickt etwas skeptisch auf die vielen Vanlife-Enthusiasten, die auf Campingstühlen vor ihren fabrikneuen VW-Bussen sitzen: "Wir sind jetzt schon seit einer Woche hier und hatten den Platz fast ganz für uns allein. Bis am Freitag plötzlich lauter Lifestyle-Camper mit ihren Kindern angekommen sind", sagt der Kölner.
Früher habe es auf dem Platz nur Surfer und Rentner gegeben. "Leute, die bei Sonnenuntergang mit Weinglas an den Strand gehen, haben wir jedenfalls hier vorher noch nicht gesehen", sagt Helen. Es sei etwas schade, dass der Platz nun anscheinend kein Geheimtipp mehr sei. Trotzdem freue er sich, dass es nun endlich neue Duschen gebe, die neuen Inhaber so lockere Typen seien und das gesamte alte Campingplatzpersonal weiter beschäftigen würden.
Den ganzen vergangenen Winter haben Vieten und Köhler damit verbracht, dem Platz eine Verjüngungskur zu verpassen. Das war bitter nötig, denn die Insolvenzverwaltung hatte in den vergangenen Jahren nur noch das Nötigste investiert. Sie möbelten das letzte noch aus den Sechzigerjahren verbliebene Waschhaus auf, installierten dort Privatbadezimmer mit "Ahoi-Brausen", ließen einen neuen Abenteuerspielplatz mit Holzschiff bauen und errichteten einen neuen Empfang in hellen Holztönen und eigenem Café namens "Sand-Tropez".
Die "Surf-Oase" nebenan mit Imbiss und Kneipe blieb. Dort gibt's so wie eh und je Döner und Pommes mit Paprikapuder zu kaufen. "Uns war es wichtig, nicht nur alles komplett zu ändern, sondern auch den alten Geist des Platzes zu bewahren", sagt Jens Köhler. "Ein klassischer Imbiss gehört einfach zum Campen dazu."
Was für die neuen Besitzer nicht mehr zu einem modernen Campingerlebnis passt, sind Hecken und Zäune. Die haben Vieten und Köhler verboten. Denn: "Wir möchten keine Abgrenzung im Camp, sondern stattdessen eine offene Atmosphäre schaffen, in der man schnell Leute kennenlernt und einem nirgendwo die Sicht aufs Meer versperrt wird", sagt Vieten.
Deshalb gäbe es viele neue Begegnungsstätten auf dem Platz: das Café mit Sonnendeck am Meer und die überdachten Plätze zum gemeinsamen Abwaschen zum Beispiel. Der mobile Saunawagen, für den online Plätze gebucht werden können, steht auch schon bereit - und im Sommer werde es am Strand eine Verleihstation für Kite-, Surf- und Wingfoilboards geben. Auch Feuerkörbe für gemeinsame Stockbrotabende mit neuen Campingplatzbekanntschaften könne man sich bald am Empfang ausleihen.
"Wir sind auch ins Dauercamper-Ghetto umgesiedelt worden"Modernes Camping bedeute für Vieten und Köhler auch, der Natur etwas zurückzugeben, sagen sie. "Wir verwenden ausschließlich Ökostrom, nutzen Fotovoltaikanlagen und unterstützen mit unseren Einnahmen die Renaturierung von Dünengras auf dem Platz", sagt Jens Köhler. "Gerade richten wir auch ein Freiluftlabor für Schulklassen ein, in dem sie all das, was sie hier im Naturschutzgebiet finden, mit dem Mikroskop untersuchen können."
Buchautor Detlev Henschel, der im Winter mit seiner Frau die Welt bereist und im Sommer mit ihr auf dem Campingplatz lebt, fühlt sich deshalb nicht mehr ganz zugehörig auf dem Platz: "Wir sind auch ins Dauercamper-Ghetto umgesiedelt worden", erzählt er bei einer Tasse Früchtetee vor seinem Wohnwagen. "Nun fühlen wir uns etwas wie Außenseiter. Auch, weil wir weder Tattoos noch die richtigen Mützen haben."
Der Wandel habe aber auch gute Seiten, sagt er, denn nun kämen viele junge Leute auf den Platz, mit denen er interessante Gespräche führen könne. "Wirtschaftlich kann ich die Entscheidungen der neuen Besitzer total verstehen", sagt Henschel. "An ihrer Stelle hätte ich die alten Säcke auch nach hinten verfrachtet und die Preise auf den besten Stellplätzen angehoben."
Mittlerweile kostet die Nacht direkt am Meer 47 Euro. "Wäre ich jung, wäre mir es viel zu teuer, mir einen Camper zu mieten, um hier zwei Wochen Urlaub zu machen", sagt Henschel. "Für die Kohle würde ich lieber nach Hawaii fliegen." Da wollen er und seine Frau ohnehin bald wieder hinziehen.