Körperlich stark eingeschränkter Gipfelstürmer "Jeder muss für sich selbst herausfinden, was sein persönlicher Kilimandscharo ist"
Janis McDavid hat keine Arme und keine Beine, doch sein Wille, die eigenen Grenzen zu verschieben, ist unbändig. Mit Freunden hat er nun den höchsten Berg Afrikas bezwungen.
Ein Interview von Aileen Tiedemann
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SPIEGEL: Sie haben bereits den Vulkan Rinjani in Indonesien bestiegen, sind in Peru in die alte Inkastadt Machu Picchu hinauf gewandert, im Juli dieses Jahres haben Sie gemeinsam mit vier Freunden den Kilimandscharo, den höchsten Berg Afrikas, bezwungen. Wie ist Ihnen das ohne Arme und Beine gelungen?
McDavid: Um so ein Abenteuer zu bestehen, bin ich natürlich auf Hilfe angewiesen.
Janis McDavid
Bild vergrößernJanis McDavid, 30, lebt abwechselnd in Bochum und Berlin. Er ist Motivationstrainer, Blogger und Buchautor. In diesem Jahr hat er sein Buch "Alle anderen gibt es schon: Die Kunst, du selbst zu sein" veröffentlicht. Auf seiner Website bloggt er über seine Reisen. Aktuell ist die Reportage "Gipfelstürmer" über seine Besteigung des Kilimandscharo in der Sendereihe "37 Grad" in der ZDF Mediathek zu sehen.
Mein Freund Torsten Wetzel und ich sind ein eingespieltes Team. Er hat mich in einem Trekkingrucksack hinaufgetragen. Da muss jeder Handgriff sitzen. Ich wiege 30 Kilogramm, dazu kamen noch etwa zehn Kilo Gewicht vom Rucksack und meiner Kleidung. Der 5895 Meter hohe "Kili" war die größte Herausforderung, der wir Freunde uns bisher gestellt haben.
SPIEGEL: Worin bestand die größte Schwierigkeit?
McDavid: Technisch ist es nicht besonders anspruchsvoll, den Kilimandscharo zu besteigen. Für uns alle aber bestand die Herausforderung aus der Mischung aus körperlicher und mentaler Anstrengung, die durch die immer dünner werdende Höhenluft stetig verschärft wurde. Wegen des Sauerstoffmangels hätte ich die Tour am zweiten Tag fast abgebrochen. Zum Glück habe ich mich dann doch gut akklimatisiert.
Während die anderen gelaufen sind und teilweise mich auf dem Rücken hatten, bedeutete der Anstieg für mich, mich immer auf meine unterschiedlichen Träger einzulassen. Im Rucksack mache ich jede einzelne Bewegung mit und muss diese ausgleichen, damit wir uns nicht gemeinsam aufschaukeln.
Den Hauptteil haben allerdings die mentalen Herausforderungen eingenommen: das Immer-wieder-in-den-Vordergrund-Stellen von positiven Bildern und die Konzentration auf den nächsten Schritt. Ich fand es sehr spannend, was der Berg mit unserer Freundschaft gemacht hat.
SPIEGEL: Inwiefern?
McDavid: Wir mussten schonungslos offen zueinander sein, der Kilimandscharo verzeiht einem nichts. Da kann man keine Probleme verschieben oder Fehler vertuschen. Es gab oft Situationen, in denen einer in der Gruppe Rückenschmerzen hatte und das lieber nicht zugeben wollte. Zum Glück haben dann doch immer alle ihre Probleme eingestanden, ansonsten hätte das den Erfolg der ganzen Gruppe gefährdet. Das Leben ist immer ein Geben und Nehmen. Auf dem Berg habe ich das in einer so klaren Deutlichkeit gespürt wie sonst nur selten in meinem Leben.
SPIEGEL: Ein Fernsehteam hat das Abenteuer begleitet. In der "37 Grad"-Dokumentation sagt Ihr Freund Torsten: "Ohne Janis hätten wir den Trip nicht durchgezogen." Woher kommt Ihre Motivationskraft?
McDavid: Ich habe einen extrem starken Drang in mir, Grenzen verschieben zu wollen. Mir Dinge zu ermöglichen, die ich mir in den Kopf gesetzt habe - ganz unabhängig davon, ob ich Arme oder Beine habe oder nicht. In Momenten, in denen meine körperlichen Voraussetzungen keine Rolle mehr spielen, verspüre ich echte Freiheit und Unbegrenztheit. Während Torsten bei der Besteigung vor allem seine körperliche Kraft einsetzte, konnte ich mit meiner mentalen Stärke zum Erfolg des Projekts beitragen.
SPIEGEL: Wie ist Ihnen das gelungen?
McDavid: Meine Aufgabe war es, während des Aufstiegs positive Bilder zu produzieren und die anderen mit Sätzen wie "Stellt euch vor, wie großartig es sich anfühlen wird, wenn wir alle gemeinsam auf dem Gipfel stehen" zu motivieren.
SPIEGEL: Es führen fünf Routen auf den Kilimandscharo hinauf. Auf der einfachsten Route, der Marangu-Route, kann man unterwegs in Hütten übernachten. Warum haben Sie sich trotzdem für die anspruchsvollere Machame-Route entschieden?
McDavid: Torsten hat es so auf den Punkt gebracht: "Weil wir keinen Wellnessurlaub, sondern Abenteuer gebucht haben!" Die Machame-Route ist zwar etwas länger, dafür hat man auf ihr eine etwas höhere Wahrscheinlichkeit, den Gipfel zu erreichen. Sie führt nicht nur den Berg hinauf, sondern an einigen Stellen auch hinunter. Das ist für die Höhenanpassung enorm wichtig. Außerdem ist die Machame-Route landschaftlich schöner. Das reizt mich besonders, weil es mir beim Wandern nicht darum geht, körperlich an meine Grenzen zu kommen, sondern möglichst viel zu sehen.
SPIEGEL: Wie lange haben Sie bis zum Gipfel gebraucht?
McDavid: Für die Machame-Route brauchen die meisten Wanderer inklusive Abstieg sechs bis sieben Tage. Wir haben uns insgesamt acht Tage gegönnt, um uns ausreichend Zeit für die letzte Etappe vom Basecamp bis zu Gipfel zu lassen. Wir starteten nicht wie sonst üblich schon um Mitternacht, sondern liefen erst kurz vor Sonnenaufgang los. So konnten wir die letzten Meter bei Sonnenschein gehen, was uns alle sehr motiviert hat. Denn gerade das letzte Stück ist extrem kräftezehrend. Unsere Spitzengeschwindigkeit lag am Ende nur noch bei 0,5 Kilometern pro Stunde.
SPIEGEL: Mit welchem Gefühl standen Sie schließlich auf dem Gipfel?
McDavid: Als wir mit dem TV-Team loswanderten, hat mich gestresst, was ich sagen soll, falls wir die Tour abbrechen müssen. Es war ja nicht klar, ob wir alle den Gipfel erreichen. Umso schöner war es, tatsächlich auf dem Dach von Afrika zu stehen. Eine Wahnsinnserfahrung, weil dort außer uns weit und breit niemand anders war. Aber ganz ehrlich - ich war auch einfach nur fix und fertig und hatte nach 15 Minuten nur einen Gedanken: Ich muss hier wieder runter!
SPIEGEL: Vor der Coronapandemie bestiegen jährlich 50.000 bis 60.000 Menschen den Kilimandscharo. Wie touristisch ist es dort momentan?
McDavid: Ich kann das nur schwer einschätzen, aber unsere Guides meinten, dass das Basecamp normalerweise doppelt bis dreifach so voll sei und man normalerweise immer andere Wanderer auf dem Gipfel treffe.
SPIEGEL: Es ist Vorschrift, dass einen einheimische Guides auf den Kilimandscharo begleiten. Viele von ihnen waren schon über hundertmal auf dem Gipfel. Was haben Sie von ihnen gelernt?
McDavid: Langsam zu gehen! Schon zu Beginn der Tour bremsten unsere Guides und ermahnten uns, das Tempo zu drosseln. Nur so kann sich der Körper auf die Höhe einstellen. Die Guides wussten zudem immer genau, wer von uns wie viel getrunken hat. Ausreichend Flüssigkeit ist sehr wichtig, um nicht höhenkrank zu werden. Von ihnen habe ich auch gelernt, mich bei Übelkeit im Zweifel lieber zu übergeben, damit sich der Körper besser an die Höhe anpassen kann. Und auch dann etwas zu essen, wenn einem schlecht ist.
SPIEGEL: Worauf haben Sie bei der Buchung Ihrer Tour geachtet?
McDavid: Es ist wichtig, die Tour direkt bei einem Anbieter aus Tansania zu buchen, damit das Geld auch wirklich im Land ankommt. Ich habe vorab mehrere Anbieter danach verglichen, welche Infos sie auf ihrer Website zur Verfügung stellen. Erwähnen sie alle Risiken? Welches Equipment empfehlen sie? Wir haben uns schließlich für den Anbieter entschieden, der unsere Fragen per E-Mail am ausführlichsten beantwortet hat. Das hat Vertrauen geschaffen. Auch weil wir wussten, dass der Chef des Touranbieters selbst einmal als Guide am Kilimandscharo gearbeitet hat.
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SPIEGEL: Wie wirkt das Abenteuer in Ihrem Alltag nach?
McDavid: Ich fühle mich ein Stück weit unbesiegbar und unheimlich entspannt. Und meine Freundschaft mit Torsten, Sven, Lei und Gero ist stärker als je zuvor. Die Ideen mit dem Kilimandscharo hatte ich ja nicht nur, weil mich der Berg landschaftlich so fasziniert hat. Sondern weil ich in einem Blogbeitrag von einem Freund gelesen hatte, was für eine magische Wirkung die Besteigung auf ihn und seinen Kumpel hatte. Genauso ist es auch bei uns gekommen. Wir sind jetzt an einem Punkt, an dem wir sagen können: Unsere Freundschaft wird immer halten - egal, was kommt.
SPIEGEL: Wollen Sie auch ein Vorbild für andere Menschen mit Behinderung sein?
McDavid: Nein, denn ich habe selbst ein zwiespältiges Verhältnis zu Vorbildern. So wie jemand anders kann man sowieso nicht werden.
Ich bin deshalb sehr vorsichtig mit der Aussage: "Schaut mal, ich habe es ohne Arme und Beine auf den Kilimandscharo geschafft. Was habt ihr also für eine Ausrede?" Es gibt andere Speaker im Rollstuhl, die genau diese Karte spielen. Ich halte das für Blödsinn. Mir geht es nicht darum, dass andere nachmachen sollen, was ich tue. Jeder muss für sich selbst herausfinden, was sein ganz persönlicher Kilimandscharo ist.