Agnes Fazekas

Freie Journalistin, Tel Aviv

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Artikel

Eine Party macht noch keinen Frieden

Mit der Techno-Reihe „Arabs do it better“ bringen David Pearl und Marwan Hawash Juden und Araber in Tel Aviv aber immerhin gemeinsam zum Tanzen


In der ersten Mainacht weint David Pearl hinter dem DJ-Pult: Es ist der Moment, als das Tempo runtergeht. Manche Tänzer zwirbeln die Hände über dem Kopf, andere zucken ekstatisch zum Techno, der mit arabischen Melodien unterlegt ist. Die meisten von ihnen sind Juden und Araber, wobei man den Unterschied nur am Akzent bemerkt, mit dem sie das Bier bestellen. „Arabs do it better“ heißt die Partyreihe – ein gewagter Titel, selbst hier an der Grenze zu Jaffa, der einst arabischen Hafenstadt, die längst vom jungen Tel Aviv geschluckt wurde.


Zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie legt David in einem Club auf. Vor ein paar Wochen ist der Israeli aus Berlin angereist, wo er inzwischen mit seinem deutschen Freund lebt. „Ich war in Hochstimmung“, sagt David. Erst die Impfung in Tel Aviv, dann die Partys. Gleich zwei, weil die erste so schnell ausverkauft war. Das erste Mal seit langem spürt er wieder, warum er DJ ist. Seit 2006 veranstaltet der 36-Jährige Clubnächte in Tel Aviv. 2016 dann gründete er mit dem 31-jährigen Marwan Hawash diese Partyreihe.


„Wir haben uns gefunden, weil wir denselben Hunger auf Musik haben“

„Ich war der Erste in der Familie, der Hebräisch sprach“, erklärt David später und in einem ruhigeren Setting über Zoom. Um zu verstehen, warum sich David und Marwan für diese Partyreihe zusammengetan haben, muss man ziemlich weit zurückblicken. Als Davids Eltern, der Vater Christ, die Mutter Jüdin, 1993 aus Armenien nach Israel migrierten, musste er für sie die Amtstermine vereinbaren. Dass er erst als Schulkind Hebräisch lernte, hat er gemein mit Marwan, der ebenfalls in einem kleinen Quadrat auf dem Bildschirm zu sehen ist.


Beide betonen: Sie haben sich nicht zusammengetan, um der Welt zu zeigen, dass Juden und Araber miteinander feiern können und es dann allen gut geht, denn so einfach ist es nicht. „Das würde die Situation weißwaschen“, sagt Marwan. David nickt: „Wir haben uns gefunden, weil wir denselben Hunger auf Musik haben.“ Der Techno, den sie „Electronic Hafla“ nennen, spielt mit traditionell „arabischen“ Rhythmen oder Melodien. Manche Israelis nennen das abschätzig „Hochzeitsmusik“. Marwan sagt: „Auf Arabisch heißt ‚Hafla‘ schlicht ‚Party‘.“ Er will zeigen, dass sich auch arabische Musik zeitgenössisch entwickelt. Zuerst haben sie nur zu zweit aufgelegt, später luden sie palästinensische DJs und DJanes aus dem israelischen Haifa dazu, dann sogar aus dem palästinensischen Ramallah. Vorausgesetzt, letztere bekamen eine Genehmigung.


Marwan ist in Bethlehem geboren – das im Westjordanland in den palästinensischen Autonomiegebieten liegt – und zog mit den Eltern nach den Intifadas zur Familie seiner Mutter nach Israel. Nach den Palästinenseraufständen und Selbstmordattentaten riegelten die Israelis das Westjordanland immer mehr ab, errichteten den Sperrwall und unzählige Checkpoints zwischen den Städten und Dörfern. Der Umzug bescherte ihm ein Privileg: den israelischen Pass. Damit konnte er sich nicht nur frei bewegen, sondern auch das College im jüdischen Kiryat Ono nahe Tel Aviv besuchen. Doch unter den vielen jüdischen Kommilitonen merkte er bald, dass er hier nie richtig dazugehören würde: „Ich spürte die Vorurteile und begann, Dinge infrage zu stellen.“


Wo hat der Israeli die arabische Musik her?

Auch deshalb suchte er Anschluss an die arabische Community in Jaffa. Er fand: die Anna-Loulou-Bar. Die winzige Kneipe in einem Kellergewölbe behauptete sich bis 2018 gegen die Gentrifikation, dann wurde sie zum Mythos. David, der oft dort auflegte, sagt: „Es ging nicht um Juden oder Araber und doch gleichzeitig um uns alle.“ Keiner machte ein Ding aus Religion, Ethnie oder sexueller Orientierung. „Die Bar war wie Israel und Palästina. So winzig, dass man miteinander auskommen muss.“


Das Anna-Loulou war Treffpunkt der palästinensischen Schwulenszene und der Ort, an dem die Idee zur Partyreihe „Arabs do it better“ entstand. Der Titel zierte ursprünglich ein Mixtape, das David als Erinnerung an einen arabischen Ex-Freund produziert hatte. Marwan hörte den Mix und war fasziniert. Wo hatte der Israeli all die arabische Musik her? Ein halbes Jahr lang redete er auf David ein: Wir müssen hier eine Party machen! Der zierte sich. „Mir kam das wie kulturelle Aneignung vor.“ Überzeugen ließ er sich schließlich mit der Idee, eine Party zur Gay Pride zu machen. Es ärgerte ihn schon länger, wie kommerziell die einst so politische Veranstaltung geworden war. Mit der Elektro-Party trafen die beiden einen Nerv beim Anna-Loulou-Publikum, das sonst arabischen Popsound serviert bekam. Es war ihnen gelungen, die „Hafla-Party“ mit einem neuen Wert zu besetzen. Die Musik rührte an etwas, weckte ein bittersüßes Heimatgefühl bei Arabern und Juden. Ein politisches Statement schwang auch noch mit. „Ich warte immer noch darauf, dass uns jemand wegen des Namens angeht“, sagt David. Bald platzte die Party aus der Anna-Loulou-Bar, zog schließlich in einen Club im Süden Tel Avivs, sogar in Berlin gab es vor der Pandemie erste Partys.


Beim Zoom-Gespräch ist die Mainacht, in der David hinterm DJ-Pult die Tränen kamen, erst ein paar Wochen her. David ist zurück in Berlin, wo er sich mit seinem Hund auf dem Sofa fläzt. Marwan sitzt in der Gartenlaube seiner Freundin in Rom. In Israel haben sie es nicht ausgehalten. Zu viel ist passiert. Nach den beiden Partys traf David einen Freund im Café. Das war der Abend, an dem die ersten Raketen aus Gaza flogen. „Wir guckten in den Himmel und aßen weiter unsere Pommes“, erinnert sich David. Später schämte er sich dafür. Marwan aber hatte Angst – vor der Eskalation der Gewalt auf den Straßen in den arabisch-jüdischen Orten.

Für Ende Juli ist eine weitere Ausgabe von „Arabs do it better“ in Jaffa geplant. Spätestens dann kehren die beiden zurück. Für Marwan bewahren die Partys ein Stück palästinensische Identität, für David waren sie der Auslöser, sich mit der Lebenswelt der Palästinenser auseinanderzusetzen. Dazu gehören auch stundenlange Diskussionen mit Marwan. „Nicht jede arabische Veranstaltung braucht ein Kamel oder einen Hidschab auf dem Flyer“, schimpfte ihn der zum Beispiel einmal. Politisch sei die Partyreihe allein durch ihre Existenz. Nicht nur der Name ist ein Statement in der Tel Aviver Clubszene, in der Palästinenser selten an der Tür vorbeikommen, geschweige denn hinter dem DJ-Pult stehen. Natürlich wird dann geflirtet zwischen Arabern und Juden, ein paar Worte an der Bar getauscht, aber der echte Zauber findet auf der Tanzfläche statt. Wo sie alle zu den elektronischen Hafla-Beats tanzen – und Herkunft, Gender und sexuelle Orientierung wirklich egal sind für den Moment.

In Israel ist inzwischen eine neue Regierung eingeschworen, ohne Ex-Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und so bunt gefächert wie nie. Große Hoffnung macht das den beiden nicht. „Die Wurzeln des Konflikts sitzen viel tiefer“, sagt David. „Auf beiden Seiten.“ Bleibt noch zu klären: Was machen die Araber denn nun besser? „Partys“, sagt Marwan. „Musik“, sagt David. „Und Sex natürlich.“





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