Adrian Garcia-Landa

Freier Journalist / Recherchen, Berlin

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Artikel

Widerstand im Dritten Reich: Die Helden von Peenemünde


In Spionagefilmen spaziert der Held nicht einfach so in die geheime Basis der „Bösen". Das schafft er dank außergewöhnlichem Können und Listen, die ihn zum Helden erheben. Und die „Bösen" bringen bekanntlich nicht selbst Gegner in ihre Anlagen. Doch genau das passierte vor rund 80 Jahren. Im Sommer 1942 schickten die Deutschen rund 300 junge Luxemburger nach Peenemünde - dahin, wo sie streng geheime und völlig neue Waffen entwickelten: Marschflugkörper, ballistische Raketen, Flugzeug- und Luftabwehrraketen. Es war der am strengsten bewachte Ort Europas und er blieb jahrelang von den Alliierten unentdeckt.


 „Böser Tagtraum" in Peenemünde

In ihren späteren Berichten fehlen ihnen die richtigen Worte: Sie erwähnen „Lufttorpedos", mit dem Geräusch „eines niedrig fliegenden Geschwaders". Einige Luxemburger wie Camille Sutor, Henry Roth, Hari Lamborelle und Pierre Ginter beschlossen, alles zu tun, damit die Alliierten von Peenemünde erfuhren.


Militärisch-industrieller Komplex an der Ostsee

Der Befehlshaber der Westmächte, General Eisenhower, schrieb dazu 1948: „Wären die neuen deutschen Waffen sechs Monate früher einsatzbereit gewesen, hätten sie die Landung in der Normandie entweder stark erschwert, oder sogar unmöglich gemacht." Der Krieg hätte sich um Jahre hingezogen.


Bombenregen über Peenemünde

Die „Operation Hydra" zerstörte die Versuchsanstalt zwar weniger als erhofft, das Waffenprogramm verlor aber wertvolle Monate und führende Entwickler, die bei der Bombardierung umkamen. Darunter Walter Thiel, ein Senkrechtstarter, der mit 24 Jahren promovierte und mit 26 Chefentwickler der Raketentriebwerke wurde. Sein Talent verwandelte Prototypen in militärisch wirksame Waffen.


Alliierte übersahen die Gefahr

Bis zum Frühjahr 1943 hatten die Alliierten die Gefahr, die von Peenemünde ausging, völlig übersehen. Bis dahin wurden nur rätselhaft verbrannte Metallteile im Ostseeraum gemeldet. 


Aber im März 1943 erreichte sie eine Skizze aus Luxemburg - ein grober Plan der Versuchsanstalt, mit einer Beschreibung der V2-Rakete in 200 Wörtern: „Ein Geschoss von rund zehn Metern, zigarrenförmig, das von einem Kubus startet. Zuerst wird es mit Gas gespeist, dann folgt eine Flamme, wonach sie sich um die Achse drehend rund 50 km geradeaus in die Höhe fliegt, um sich dann zu neigen, um Entfernungen von mindestens 150, möglicherweise bis 250 km zurückzulegen."


Damit ließ sich ein Aufklärungsflug rechtfertigen und die Skepsis der alliierten Wissenschaftler durchbrechen: Sie hielten wirksame Raketen für reine Science-Fiction. Die Luftaufnahmen bewegten Churchill, am 29. Juni 1943 einen Luftangriff „größtmöglichen Ausmaßes" anzuordnen. Die Nazis durften nicht ungestört an neuartigen Waffen arbeiten.


Skizze mit weitreichenden Folgen

Diese Skizze mit weitreichenden Folgen ist der Verdienst der Luxemburger. Das Papier brauchte Wochen, um erstellt zu werden, und Monate, um London zu erreichen. Einer der Luxemburger freundete sich mit einem deutschen Ingenieur an und übernahm seine Nachtdienste in Peenemündes Telefonzentrale, wo er Pläne kopierte.

Schlüsselfigur des Widerstandes


Als die Luxemburger Ende 1942 wieder in der Heimat waren, berichteten sie einer Schlüsselfigur des Widerstandes, Fernand Schwachtgen, der zwischen Faszination und Unglauben schwankte. Aber die Berichte anderer Rückkehrer stimmten überein. Also fasste Schwachtgen die Angaben auf einem Blatt zusammen, von dem er Kopien über zwei Routen, Frankreich und Belgien, im Januar 1943 nach London schickte. Wochenlang wartete er vergeblich auf die von ihm erbetene Empfangsbestätigung in der BBC: „Danke für die gute Zigarre".


Dass seine Skizze tatsächlich ankam, erfuhr er erst Monate später, als er von der Bombardierung Peenemündes hörte. Wie man Bewohner eines besetzten Landes an so einem Ort stationieren kann, bleibt ein Rätsel. Schwachtgen wies nach dem Krieg auf die Gefahr seiner Landsleute hin: „Das Geringste, was die Deutschen den Luxemburgern hätten zutrauen sollen, war ihr Mangel an Diskretion."


Von Adrian Garcia-Landa

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