Adrian Arab

Journalist (Wirtschaft, Mobilität, Technologie), Berlin

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WELT: Gefälschte Mitgliedsanträge - Nicht nur SPD hat kein Konzept

Deutschland

Fake-Mitgliedschaften Warum die Parteien auf systematischen Identitätscheck verzichten

Die Anmeldung eines Hundes bei der SPD offenbart Lücken bei der Prüfung neuer Mitglieder. Auch andere Parteien verlassen sich vor allem auf Plausibilitäten. Warum nutzen sie nicht ein sicheres Identitätsverfahren wie Banken?

Wie einfach ist es, in eine Partei aufgenommen zu werden? Und wer entscheidet nach welchen Kriterien darüber? Der SPD-Mitgliederentscheid über eine Neuauflage der großen Koalition hat diese Fragen aufgeworfen. Und das Beispiel von Hund Lima führt vor Augen, dass die Identität vermeintlicher Neumitglieder mitunter schlampig geprüft wird - oder gar nicht.

Die „Bild"-Zeitung hatte das Tier erfolgreich bei der SPD angemeldet. Nach Recherchen von WELT verzichten auch CDU, FDP und Linke auf einen systematischen Identitätscheck bei Neumitgliedschaften. Sie setzen auf eine Plausibilitätskontrolle, eine Abwägung zwischen Effizienz und Sicherheit, in Eigenverantwortung ihrer Ortsverbände. AfD und Grüne wollten bis Redaktionsschluss keinen Einblick in die jeweiligen Verfahren geben.

Bei der FDP war das Thema Mitgliederentscheid im vergangenen Jahr akut. Im Juni 2017 hatten rund 6000 Mitglieder aus Nordrhein-Westfalen über eine Regierungsbeteiligung ihrer Partei abgestimmt - anders als bei der SPD jedoch nicht per Briefwahl, sondern online per Mausklick. Doch gleichermaßen verzichtete die Partei auf eine gesonderte Identitätskontrolle. „Wer bis zum Stichtag in die FDP aufgenommen wurde, erhielt die entsprechenden Abstimmungsunterlagen", sagt ein Sprecher.

Persönlicher Kontakt mit Bewerber

In der FDP glaubt man, dass „Fake-Mitglieder" bereits im Aufnahmeverfahren enttarnt werden. „Die Kreisvorsitzenden sind angehalten, vor der Aufnahmeentscheidung persönlichen Kontakt mit dem Bewerber zu suchen", so der Sprecher. „Über die Aufnahme entscheiden dann in der Regel die Kreisvorstände."

Immerhin, über den persönlichen Kontakt lassen sich vor allem Mitglieder verifizieren, die Stammtische und Versammlungen besuchen - passive Mitglieder, die nur zahlen, enttarnt man damit aber nicht. „Eventuelle Identitätstäuschungen sind aber dadurch praktisch ausgeschlossen, dass Schreiben an ihre Adresse unzustellbar sind", sagt der Sprecher. Am Ende sind es also Rückläufer, die über den Verbleib von Fake-Mitgliedern in der Kartei entscheiden.

In der CDU, wo ebenfalls die Kreisvorstände über die Neuaufnahme entscheiden, läuft es nicht anders. Mitglieder werden entweder persönlich geworben oder sie schreiben ihren Namen in ein Onlineformular - ohne Lichtbild. „In der Regel nehmen die Mitgliedsbeauftragten danach Kontakt zum Bewerber auf", heißt es aus dem Kreisverband Berlin-Mitte. „Inwiefern man dadurch Fake-Mitglieder frühzeitig enttarnt, hängt von der Hartnäckigkeit des jeweiligen Mitgliedsbeauftragten ab."

So habe sich unlängst ein Bewerber mit dem Geburtsdatum 1918 beworben. „Da dachten wir uns schon, vielleicht ist der ein bisschen alt, um jetzt in die CDU einzutreten, und haben ihn persönlich besucht." Der Mann war deutlich jünger. Im Formular hatte sich ein Fehler eingeschlichen.

Manchmal ziehe der Kreisvorstand eine Melderegisterauskunft. „Aber nur, wenn es Anzeichen gibt, die eine zusätzliche Überprüfung nötig machen, zum Beispiel, wenn Briefe zurückkommen." Der CDU-Kreisverband Berlin-Mitte gibt an, zumindest in solchen Fällen das Melderegister zu nutzen. In den vergangenen Monaten habe es sogar Ausschlüsse gegeben, bei denen Auskunft und Adresse nicht übereinstimmten.

Doch die Abfragen seien teuer, zwischen fünf und sieben Euro fielen pro Abfrage an. „Wenn wir das standardmäßig einführen, würde das ziemlich ins Geld gehen", so der Vorstand.

Melderegister gibt Auskunft

Überhaupt, das Melderegister. Nachdem Hund Lima in die SPD geschleust worden war, sagte ein Parteisprecher: „Auf Melderegister oder dergleichen haben Parteien in Deutschland keinen Zugriff. Grundsätzlich heißen wir neue Mitglieder willkommen und gehen von der Richtigkeit der Angaben zur Identität aus." Stimmt das wirklich?

Anruf beim Einwohnermeldeamt Lichtenberg. „Für eine Überprüfung der Mitgliedsdaten kommt eine einfache Melderegisterauskunft infrage", heißt es dort. Die Behörde gebe durchaus schriftlich Auskunft über Vornamen, Familiennamen, Doktorgrad und die aktuelle Anschrift, auch online gehe das.

Doch auch bei der Linken wählt man lieber den Plausibilitätscheck. „In den ersten sechs Wochen der Mitgliedschaft wird die Adresse des Bewerbers verifiziert, indem wir darauf achten, ob Post zurückkehrt und die Kontoverbindung stimmt. Danach wird durch den Kreis- oder Stadtverband der persönliche Kontakt hergestellt", sagt eine Sprecherin. Es gebe keine klassische Identitätsprüfung. „Aber wir glauben, auf diesem Weg feststellen zu können, dass der Bewerber auch die Person ist, die er vorgibt zu sein."

Doch warum führen die Parteien keinen Identitätscheck durch, wie ihn zum Beispiel Banken und Versicherungen nutzen? Sie nutzen das sogenannte Post-Ident-Verfahren, bei dem sich Kunden über ein Ausweisdokument und einen persönlichen Besuch in einer Postfiliale oder über ihre Webcam identifizieren.

Der Berliner Parteienforscher Oskar Niedermayer hält das Post-Ident für untauglich. „Parteien müssen zusehen, dass sie ihren Bewerbern den Beitritt so einfach wie möglich machen", sagt der Politologe, der sich für die Freie Universität mit Parteimitgliedschaften beschäftigt hat. „Die Beitrittsbarrieren zu erhöhen wäre kontraproduktiv und würde weitere Rekrutierungsprobleme mit sich bringen." Auch ein FDP-Sprecher bezeichnet das Post-Ident-Verfahren als „unverhältnismäßig hohe Hürde", auf die die Partei verzichte, weil es „keine nennenswerten Missbrauchsfällen" gebe.

Überhaupt sei das Problem mit Fake-Mitgliedern überschaubar, so Niedermayer. „Keine Partei kann ausschließen, dass sie Fakes oder verstorbene Mitglieder in ihrer Kartei führt." Der Schaden, der durch diese „Mitglieder" entstehe, sei aber vernachlässigbar - selbst bei Mitgliederentscheiden. „Um Abstimmungen wirklich zu beeinflussen, müssten Fake-Mitglieder eine feindliche Übernahme planen. Dafür braucht es mehrere Tausend Bewerber." Das würde auffallen, meint der Wissenschaftler. In der Abwägung sei es schädlicher, auf die Mitglieder zu verzichten, die sich durch aufwendige Identifikationsmaßnahmen abgeschreckt fühlten.

Bei der politischen Konkurrenz wundert man sich über den Trubel, den Anmeldung von Hund Lima bei der SPD verursacht hat. „Wenn in meinen Kreisverband auf einmal Tausende Neumitglieder strömen würden, würde so ein Fake sicherlich durchgehen", gibt ein CDU-Kreisvorstand zu. Schließlich gebe es nur eine Vollzeitstelle in der Geschäftstelle, und die müsse sich um mehr als nur die Mitgliedsanträge kümmern.

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