Adrian Arab

Journalist (Wirtschaft, Mobilität, Technologie), Berlin

1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

WELT: Blockchain - Deutschland verpasst die nächste Internetrevolution

Wirtschaft

Blockchain Deutschland verpasst schon wieder eine Internetrevolution

Sie ist die Basistechnologie für Bitcoin, kann aber viel mehr: Die Blockchain wird die Wirtschaft verändern - und Deutschland fehlen immer noch die politischen Rahmenbedingungen. Andere Länder sind viel weiter.

In der Öffentlichkeit ist der Koalitionsvertrag der neuen GroKo ordentlich verrissen worden. Zu rückschrittlich, zu behäbig, zu wenig innovativ. Doch ausgerechnet eine kleine Gruppe Fortschrittsjünger feiert das 179 Seiten starke Papier, als wäre das Dokument Deutschlands Eintrittskarte ins digitale Paradies. Es ist ein einziges Wort, das für Enthusiasmus sorgt, weil es gleich siebenmal im Koalitionsvertrag auftaucht: Blockchain. Die Technologie gilt als das neue große Ding nach dem Internet, die wie kaum eine zweite die Zukunft prägen könnte.

Doch die Blockchain-Anhänger sollten sich nicht zu früh freuen. Der Koalitionsvertrag mag vor Ankündigungen strotzen, doch in Berlin weiß anscheinend niemand so genau, um was es sich handelt und wie man mit dem neuen Hype umgehen soll. Das offenbart die Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion, die WELT vorliegt. In der schriftlichen Antwort der noch amtierenden Bundesregierung bleiben viele Fragen unbeantwortet, andere Antworten zeugen von Konfusion und Unkenntnis.

Es existiert noch nicht mal eine Idee darüber, ob und wie viele Mitarbeiter sich in einzelnen Ministerien mit dem Zukunftsthema beschäftigen. Das Antwortschreiben, das der Parlamentarische Staatsminister aus dem Finanzministerium, Michael Meister (CDU), für die Bundesregierung verfasst hat, liest sich fast schon wie ein Plädoyer für ein deutsches Digitalministerium, das immer wieder in der Diskussion war.

Das Prinzip Blockchain ändert die Wirtschaft

Wer bei Blockchain die Standards setzt, wird weltweit die Regeln prägen. Viele Länder bringen sich in Stellung, aber hierzulande feiert man sich bereits dafür, dass die Schlüsseltechnologie siebenmal im Koalitionsvertrag steht. Deutschland läuft Gefahr, eine weitere Zukunftstechnologie zu verpassen. Zu wenig versteht die Politik das Revolutionäre der abstrakt klingenden Blockchain.

Das Prinzip Blockchain dürfte das Internet grundlegend verändern. Heute können digitale Wirtschaftsgüter wie etwa Musikstücke beinahe mühelos kopiert und verteilt werden. In der Blockchain-Welt geht das nicht mehr. Alle Transaktionen werden in einem Kassenbuch abgespeichert - und dann Zeile für Zeile verschlüsselt und dabei mit den vorigen Daten verkettet. Dadurch sind einmal geschriebene Daten nicht mehr veränderbar.

Dank des Registers entstehen Unikate mit eindeutigen Eigentumsrechten, die für jeden digital einsehbar sind. Und das Kassenbuch liegt nicht mehr auf einem einzigen gesicherten Server. Es ist auf sämtlichen Computern des Netzwerkes gespeichert. Jeder hat Zugang und Einblick in die Transaktionen. So entsteht ein Vertrauen in eine große Gemeinschaft, die ohne zentrale Autorität funktioniert und weitgehend gegen Hackerangriffe gefeit ist. Wenn sämtliche Eigentumsrechte, etwa auch Geld, digitalisierbar sind, wäre das der Durchbruch für die digitale Gesellschaft. Doch in Berlin ist die Vision noch nicht angekommen, wie die FDP-Anfrage zeigt.

Schäffler: „Bundesregierung stochert bei Blockchain im Nebel"

„Die Bundesregierung stochert bei ICOs und Blockchain im Nebel", sagt FDP-Mann Frank Schäffler dazu. „Das ist kein gutes Signal für Deutschland." Klare rechtliche und steuerliche Rahmenbedingungen seien die Voraussetzung dafür, dass schwarze Schafe erkannt würden und gleichzeitig die riesigen Vorteile für die Wirtschaft und die Verwaltung genutzt werden könnten. „Aber für die Regierung gilt: Bedenken first, Digital second."

Schäffler hatte die Bundesregierung zu Blockchain und den sogenannten Initial Coin Offerings (ICOs) befragt, einer neuartigen Methode der Kapitalaufnahme, die einem Börsengang ähnelt und auf der Blockchain basiert. Attraktiv ist diese Form der Finanzierung vor allem für die Entwickler von Kryptowährungen, aber auch für Unternehmen, die so ohne großen Umweg über traditionelle Kapitalvermittler wie etwa Banken Kapital einsammeln können. Aber „ICO-Strukturen bergen großes Potenzial für Missbrauch und Betrug", ließ in der vergangenen Woche die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) wissen.

Wie viele ICOs es in Deutschland gibt, weiß in der Bundesregierung offenbar niemand. „Es liegen keine Erkenntnisse über die Zahl der ICOs in Deutschland vor, weil es keine generelle gesetzliche Meldepflicht gibt", heißt es. Man verweist auf die fünf größten ICOs weltweit, eine Angabe, für die es eine fünfminütige Internetrecherche braucht.

ICOs sind ein milliardenschwerer Markt

Rund 3,7 Milliarden Dollar wurden im vergangenen Jahr weltweit mit ICOs aufgenommen, lässt sich im Antwortschreiben auf Schäfflers Anfrage entnehmen. Andere Experten machen ein Volumen von 5,4 Milliarden Dollar aus. Auch in Deutschland gab es Probleme. „Die BaFin hat in 2017 13 Verfahren wegen des Verdachts unerlaubter Geschäfte eingeleitet", schreibt die Bundesregierung. Wer bedenkt, dass der größte ICO ein Volumen von 257 Millionen Dollar hat, weiß, um welche Summen es geht.

Wie wenig Kenntnis die jetzige Bundesregierung hat, zeigt sich in einer weiteren Antwort. „Auf dem Markt finden sich unterschiedliche Ausgestaltungen von ICOs. Sie sind derart vielfältig, dass pauschale Aussagen zur aufsichtsrechtlichen Einordnung nicht möglich sind", heißt es. Allerdings bleibt die Bundesregierung dem Abgeordneten auch konkrete Antworten schuldig.

Und wenn es um den Handel der digitalen Währungen, der sogenannten Token, geht, ist das Ergebnis ebenfalls unbefriedigend. Hier nennt das Papier einfach alle Institute, die eine Banklizenz haben. Doch die reicht überhaupt nicht aus, um die Token zu handeln. Hierzu bräuchte es die Erlaubnis für eine Handelsplattform.

Blockchain muss gesetzlich eingehegt werden

Entsprechend verhalten fällt auch die Bewertung von Blockchain-Experten aus. „Wir sind glücklich, dass die Blockchain es überhaupt in den Koalitionsvertrag geschafft hat. Denn sonst wäre vier Jahre lang überhaupt nichts auf dem Gebiet passiert", sagt Nina-Luisa Siedler, Partnerin bei der Kanzlei DWF Germany in Berlin. „Aber sicher ist die Politik in Deutschland nicht an der Spitze der Bewegung."

Siedler ist Mitglied im Blockchain-Bundesverband, der sich zum Ziel gesetzt hat, der Regierung die Augen für die Möglichkeiten der neuen Technologie zu öffnen. Das Ergebnis der Kleinen Anfrage der FDP zeigt ihr deutlich, dass sie noch viel Überzeugungsarbeit leisten muss, um die Blockchain in Deutschland rechtlich hoffähig zu machen und aus der Schmuddelecke zu holen.

„Bitcoin oder andere volatile Kryptowährungen sind in aller Munde. Aber Blockchain ist viel mehr", sagt Siedler. Diese Technologie schaffe Vertrauen, weil der Nachweis des Transfers von Wirtschaftsgütern digital gesichert abgebildet werden kann. „Es geht um die Tokenisierung, etwa von Immobilien oder Unternehmensanteilen", sagt Siedler.

Mithilfe der Blockchain ließen sich die Grundbuchämter digitalisieren. „Hier müssten klare Regeln her, etwa welche Rolle künftig der Notar spielt." Ein wichtiges Thema sei auch der Datenschutz. Heutzutage gebe es ein Recht auf digitales Vergessen. „Doch Daten, die einmal in der Blockchain stehen, können nicht vergessen werden. Hier muss eine Lösung her."

Deutschland darf den Anschluss nicht verlieren

Siedler sieht Risiken für Deutschland, sollte die Politik nicht endlich handeln. „In Berlin gibt es eine pulsierende Start-up-Szene. Doch viele Firmen haben aus rechtlichen Gründen ihren Hauptsitz nicht hier, sondern in der Schweiz, in London oder Gibraltar." Die Gefahr sei groß, dass die Wertschöpfung in Deutschland verloren geht, wenn die Politik nicht handelt. „Alle Firmen werden sich dort ansiedeln, wo sie rechtssichere Bedingungen vorfinden."

Andere Länder seien bei den politischen Rahmenbedingungen schon sehr viel weiter. Siedler nennt die Schweiz, Gibraltar oder Frankreich. In Frankreich könne man demnächst Wertpapiere, die noch nicht an einer Börse sind, über die Blockchain handeln. „In den kommenden fünf bis zehn Jahren werden Billionen über die Blockchain transferiert. Wer hier schnell handelt, hat bei einer Schlüsseltechnologie der Zukunft einen klaren Startvorteil."

Zum Original