SWR 2, Matinee am 01.Mai 2016
Künstler, die ihre Schüler oder Assistenten für sich arbeiten lassen
Mit Schablonen, Schrubber und Wasserdampf hat Kentridge einen halben Kilometer Street Art geschaffen, den es ohne die vielen fleißigen Helfer des Künstlers nicht geben würde. Das war schon immer so. Auch wenn wir gern glauben, dass ein Kunstwerk von einem einzelnen genialen Künstler stammen müsste. Aber das ist nicht so. Sie gibt es nur, weil viele fleißige Assistenten den Künstlern Arbeit abnehmen. Adolf Stock hat diese Spur verfolgt.
Sprecher:
1504 kam Lucas Cranach der Ältere als Hofmaler nach Wittenberg. In seiner Werkstatt wurden hochwertige Bilder in Serie produziert und ein besonderer Malstil entwickelt.
Take 1: (Timo Trümper)
„Da kann man wirklich von einem Cranach-Stil sprechen, der gar nicht unterscheidbar sein sollte zwischen den einzelnen Werkstattmitgliedern, zwischen Vater und Sohn, das ist eher eine moderne Frage, sondern es sollte unverwechselbar sein. Und Cranach selber als Hofmaler, der eben für einen mäzenisch wirkenden Hof tätig war.“
Sprecher:
Cranach hatte die größte Malerwerkstatt diesseits der Alpen, erklärt Timo Trümper, Kunsthistoriker in Gotha. Damals war kein Maler autark. Lucas Cranach, zwei Söhne und ein Dutzend Mitarbeiter bevölkerten die Werkstatt. Für Luther-Bildnisse hatte sie das Monopol, und auch katholische Auftraggeber waren willkommen.
Take 2: (Timo Trümper)
„Luther von Cranach erkennen Sie immer wieder, weil es da ein Schema, ein Portrait-Schema gibt.“
Sprecher:
Mit den standardisierten Bildern wurde viel Geld verdient. Cranach war zeitweise der reichste Bürger in Wittenberg. Wieviel Lohn in den Taschen der Schüler und Gesellen verblieb, wissen wir nicht. Sie arbeiteten nicht nur in der Künstlerwerkstatt, sondern strichen auch Zäune und Häuserwände.
Zeitgenossen wie Leonardo da Vinci waren mit ihren Werkstätten ähnlich erfolgreich, sagt die Berliner Kunsthistorikerin Annette Spohn. Da Vinci beschäftigte zahlreiche Assistenten, das ging zum Teil soweit, …
Take 3: (Annette Spohn)
„… dass der Meister selbst nur noch die Hauptfigur gemalt hat, und den ganzen Rest hat er seine Assistenten machen lassen. Der eine war besonders gut in Händen, dann hat er immer die Hände gemalt, der andere die Bäume. Und so sind viele Werke entstanden, die wir heute Leonardo zuschreiben, auch wenn wir uns nicht ganz sicher sind, dass wirklich jeder Pinselstrich vom Meister selber stammt.“
Sprecher:
Die Meister hatte den guten Namen und die Kontakte zu Auftraggebern. Damals wurde nur auf Bestellung produziert.
Schüler in einer Künstlerwerkstatt gibt es heute so gut wie nicht mehr. Gelernt und gelehrt wird fast nur noch an Hochschulen, sagt die Künstlerin und Kunstprofessorin Annett Zinsmeister. Trotzdem sind Künstler oft ziemlich aktive Auftraggeber: So hat Annett Zinsmeister gerade ihre begehbare Installation „Endless House“ im New Yorker MoMA ausgestellt, für die sie zwar selbst keine Assistenten, aber Fremdfirmen engagiert hat, die mit ihrem Knowhow ihre Installationen fertigen können.
Die Produktion verändert sich. Aus der klassischen Künstlerwerkstatt wurde ein multifunktionales Studio, sagt Annette Spohn.
Take 4: (Annette Spohn)
„Das geht in den 60er Jahren los, da gab es dann auch bei Künstlern wie Donald Judd und Sol LeWitt Verfahren, die eben mehr mit maschineller, mit industrieller Fertigung von Kunst zu tun haben.“
Sprecher:
Legendär ist Andy Warhol mit seiner ‚Factory‘. Die New Yorker Lofts waren weit mehr als ein Studio oder eine Kunstfabrik.
Take 5: (Annette Spohn)
„Ein Tummelplatz für alle möglichen künstlerisch Interessierten und Freunde Warhols. Da gab es so die ganz persönlichen Assistenten, die eben auch noch persönliche Beziehungen zu Warhol hatten, die auch noch einen anderen Stellenwert hatten, was den Kunstprozess angeht. Und es gab eben Assistenten, die haben, sagen wir mal, die niederen Dienste verrichtet.“
Sprecher:
Siebdruck ist eine Technik, die sich leicht delegieren lässt. Der Meister selbst macht künstlerische Vorgaben, den Rest, die serielle Produktion, erledigen die Mitarbeiter. Nicht mehr das Handwerk, sondern der Kopf ist jetzt entscheidend.
Take 6: (Annette Spohn)
„Das kann ich mir zum Beispiel bei jemanden wie Warhol auch extrem gut vorstellen, der hat die Leute da arbeiten lassen, und dann kam er und ist dann so Cäsar-mäßig mit Daumen nach oben und nach unten an den Werken vorbei und hat gesagt: das geht, das geht nicht und so nicht und das…
Heutzutage, so ein gegenwärtiger Künstler, wie zum Beispiel Eliasson, da kann man sich vorstellen, dass das ein deutlich netterer Arbeitgeber ist, aber bei Warhol könnte ich mir sicher sein, dass das nicht so war.“
Sprecher:
Olafur Eliasson, derzeit Superstar der internationalen Kunstszene, gilt als guter Arbeitgeber. Er beschäftigt in Berlin über 80 Mitarbeiter. Für Annett Zinsmeister ist das ein positives Beispiel.
Take 7: (Annett Zinsmeister)
„Das Interessante ist, dass er bewusst und gezielt auch Mitarbeiter aus ganz unterschiedlichen Sparten beschäftigt. Also er hat das Interesse in seinem Studio, das so eine Art Labor ist, unterschiedliche Kompetenzen zu bündeln, also Fachwissen unter einem Dach zu vereinen. Die Idee ist so eine gegenseitige Befruchtung, eine permanente gegenseitige Befruchtung.“
Sprecher:
Und Eliasson hat auch Schüler. Als Professor hat er seine Studenten nicht auf dem Berliner Campus unterrichtet, sondern in sein Studio integriert.
Take 8: (Annett Zinsmeister)
„Er war gar nicht der Lehrende in dem Sinne, sondern er war auch der Lernende in seinem eigenen Studio. Eigentlich wurde das komplette Programm von anderen bewerkstelligt, und alle haben gelernt, und das ist natürlich eine ganz neue Form des Lehrverständnisses oder auch des Lernens.“
Sprecher:
Es gibt weitere Beispiele: Tobias Rehberger betreibt ein Atelier mit zwei Dutzend Mitarbeitern, wo raumfüllende Installationen und Skulpturen in gemeinschaftlicher Arbeit entstehen. Autorenschaft ist ihm nicht so wichtig. Und vielleicht liegt in diesem Werkstattgedanken ja auch eher die Zukunft von Kunstproduktion als im Starkult einzelner Personen. Aber manchmal geht’s mit der Werkstatt auch schief.
Take 9: (Annett Zinsmeister)
„Wie zum Beispiel Anselm Reyle, der bis zu 50 Mitarbeiter in seinem Studio beschäftigt hatte, bevor er es geschlossen hat. Und er hat es geschlossen, weil ihm einfach die Kosten von monatlich 800.000 Euro über den Kopf gewachsen sind.“
Sprecher:
Die zurzeit wohl größte Kunstfabrik betreibt der Japaner Takashi Murakami. Der Japaner verwischt alle Grenzen zwischen Kunst, Design und Kommerz und achtet penibel auf Urheberrechte und die Finanzen.
Schüler und Meister. Künstler und Assistent. Annette Spohn sieht es so.
Take 10: (Annette Spohn)
„Es gibt sicherlich manchmal Win-win-Situationen. Sehr viel öfter, würde ich sagen, gibt es diese Situation, wo der Meister mehr davon hat als der Assistent. Gleichwohl gibt es auch gerade bei jetzt jungen Künstlern, die neu starten, die Situation, dass für die die Tatsache, dass sie ‚Assistent von‘ wem auch immer waren, durchaus nützlich ist, als Aushängeschild, dann damit weiter auf ihrem eigenen Weg gehen zu können.“
Sprecher:
Bei guter Auftragslage brauchten Künstler schon immer rege Helfer, um ihre Werke zu schaffen. Und das gilt auf jeden Fall: Ohne den stillen Fleiß der Schüler und der vielen Assistenten wäre die Kunstwelt erheblich ärmer.