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Potsdam reagiert besonnen

Nach dem Fund eines Sprengsatzes in der Potsdamer Innenstadt fahndet die Polizei nach Motiv und Täter


Potsdam. Die Lichter des KinderKarussells blinkten den ganzen Nachmittag und Abend einsam in den trüben Himmel hinein. Keine zehn Meter neben dem Karussell auf dem Potsdamer Weihnachtsmarkt an der Brandenburger Straße wurde der Sprengsatz gefunden, der Potsdam am Freitagnachmittag in Atem hielt.

Die Erinnerung an den Anschlag vom Breitscheidplatz vom 19. Dezember vergangenen Jahres war allgegenwärtig, als zwölf Menschen ums Leben kamen und mehr als 50 verletzt wurden. Das Treiben an den Ständen verstummte, der Lichterglanz schien weiter. Auch Domenico Giacomino war betroffen. Um 15.30 Uhr musste er in seinem Stand mit Spezialitäten aus Umbrien alles stehen und liegen lassen, nachdem der Sprengsatz vor der Apotheke an der Dortustraße, direkt am Weihnachtsmarkt entdeckt worden war. „Sie sagten, wir sollen den Stand sofort verlassen", sagte Giacomino. Er sei ganz ruhig geblieben. Angst habe er nicht gehabt. „Morgen machen wir wieder auf", sagte der Gastwirt. Ein Mann neben ihm stimmte zu. Man könne sich ja nicht von so etwas verrückt machen lassen. Dann müsste man ja alle Märkte schließen, sagte er mürrisch.

Dieser Meinung schloss sich am Freitag die Mehrheit der Weihnachtsmarktbesucher an. Eine Querstraße weiter und dort, wo der abgesperrte Bereich endete, aßen die Menschen ihren Grünkohl mit Kassler, tranken Glühwein und lachten. Für die anderen Budenbetreiber, die vorübergehend schließen mussten, sei es „natürlich schade", sagte Diana Tornack von „Meyer's Glühwein". Für ihren Stand war es dagegen ein lukrativer Nachmittag. Während auf dem Dach des Geschäfts Holzfiguren friedlich ihre Runden drehten, standen Menschen Schlange vor dem Ausschank. Für sie sei der Tag „perfekt" gewesen, meinte Tornack.

Ein Mitarbeiter des Kinder-Karussells neben der Apotheke konnte die Freude nicht teilen. „Ich habe ein ganz schlechtes Gefühl", sagte der Mann, der anonym bleiben wollte. Sein erster Gedanke, als er das Paket vor der Apotheke liegen sah, sei gewesen: „Erst Berlin und jetzt hier." Angst wolle er sich trotzdem nicht machen lassen. Schlimmer sei ohnehin der finanzielle Verlust an diesem Tag, sagte er. Unterdessen fragten neben ihm Neugierige die Polizisten über das Absperrband hinweg, wie der Stand der Dinge sei. Hinter ihnen patrouillierten Bundespolizisten mit Maschinengewehren.

„Nach dem Anschlag am Breitscheidplatz weiß man, dass auch Weihnachtsmärkte nicht sicher sind", sagte Marktbesucherin Ute Müller. Angst mache ihr das aber nicht. Im Gegenteil: Am Sonnabend will die Thüringerin mit Freunden Weihnachtsmärkte in Berlin besuchen.

Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) und Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) bedankten sich am Rande des Weihnachtsmarktes bei den Besuchern. „Sie haben besonnen reagiert, es gab keine Zwischenfälle", sagte Jakobs. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) lobte die Einsatzkräfte. Deren Arbeit sei „schnell und zugleich besonnen" gewesen, so Woidke. „Auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Apotheke, in der das Päckchen abgeben wurde, gilt mein Dank für ihre Umsicht." Jetzt müssten die Hintergründe aufgeklärt werden, so Woidke.

Voraussichtlich schon am heutigen Sonnabend wird der Weihnachtsmarkt wieder komplett öffnen. „Wir haben keine Veranlassung, an der Sicherheit zu zweifeln", sagte Jakobs. Denn auch am Abend war vollkommen unklar, welchen Hintergrund die versuchte Tat hatte. Das Paket war um 15 Uhr vom Paketlieferdienst DHL in der Apotheke abgegeben worden. Der Apotheker habe sich über den Inhalt gewundert, das Paket vor die Tür gelegt und die Polizei alarmiert.

Spezialkräfte des Landeskriminalamtes bestätigten am späten Nachmittag, dass es sich um einen Sprengsatz handelt. Aber ohne Zündvorrichtung, wie sich herausstellte. Im Päckchen sollen sich Schröter zufolge mehrere Hundert kleine Nägel befunden haben. „Zwei bis drei Pfund", so der Innenminister. Der polizeiliche Staatsschutz übernahm die Ermittlungen. Laut Polizei gibt es erste Ermittlungsansätze. Die Polizei will vor allem wissen, wer das Paket aufgegeben hat und ob der Absender tatsächlich existiert.


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