Karizma - Bahnstadt
Im idyllischen Industriegebiet Heidelbergs östlich der pompös-moderen Bahnstadt befindet sich das Café „Karizma" in einer Gegend die nicht viel vermuten lässt. Beim Versuch des ersten Betretens wird man auf die Probe gestellt: Nur diejenigen, die wirklich und wahrhaftig das Lokal betreten wollen, beschäftigen sich mit der sich nicht-öffnen-wollenden Tür und kommen auf die Idee, einfach die um die Ecke auszuprobieren.
Beim Betreten habe ich ein Déja Vu, allerdings kommt mir die Situation nicht aus meinem eigenen Leben bekannt vor, sondern aus Westernfilmen die ich wider meines Willens geschaut habe: sie erinnert mir an die typische, in jedem derartigen Film untergekommene Szene in der ein lange auf der Reise gewesene Cowboy eine Bar betritt, sich die gesamte Belegschaft schockiert umdreht und die Zeit kurz stehen bleibt. Nun ist meine Situation zum Glück weniger bedrohlich und mehr witzig, doch so ganz willkommen fühle ich mich nicht. Vermutlich sind die Stammkunden, die an einem Tisch in der Mitte sitzen und Karten spielen nicht prinzipiell gegen neue Besucherinnen und Besucher, sondern eher schockiert, dass jemand nach gefühlten Jahren mal wieder das Lokal betritt.
Dieser Ort ist vermutlich einer der wenigen letzten in Heidelberg, der nicht mit der Zeit mitgegangen ist und sich selbst treu geblieben ist, mutmaße ich ohne zu wissen wie es hier einst aussah. Den Einrichtungsstil empfinde ich als ein wenig fragwürdig, ich kann ihn nicht ganz zuordnen, geht am besten selbst hin und schaut es euch an. Um ein paar Elemente in den Raum zu werfen möchte ich die Teppich-Tischdecke, knallig-gelb-orange-verrauchte Wände, ein türkischer Kalender, sowie die zwei Spielautomaten erwähnen. Beim Untersuchen des Raumes fallen noch viele weitere interessante Gegenstände auf, ein Scherlock ist wer das Schachbrett entdeckt. Ein bisschen ist es hier wie in unserer Stammkneipe in der Heimat, nur dass wir hier keine Stammgäste sind. Trotzdem fühle ich mich nicht unwohl, zwar auch nicht ganz wohl, aber definitiv wohler als im „Jinx" oder im „Mohr". Hier kann man sein, oder eben nicht sein, auf jeden Fall aber anonym sein. Niemand interessiert sich für einen, niemand nervt, weil hier eben auch fast niemand ist. Es ist wesentlich entspannter mit seinen Freundinnen und Freunden hier einen Abend zu verbringen und in Ruhe mal miteinander sprechen zu können ohne dass einem, wie auf der Unteren, verschwitzte alkoholisierte Menschen und viel zu laute Musik einen Strich durch die Rechnung machen. Man kann sich auch zurückziehen und sein Glück an einem der beiden Spielautomaten versuchen, welche vermutlich ein größeres Suchtpotenzial bergen als der Zigarettenautomat in der Ecke. Leider sind die beiden Automaten heute belegt, zu meinem Pech, da ich diesen Abend gerne als Chance genutzt hätte zum ersten Mal in meinem Leben mein Geld, also die paar Euros die ich für diese Erfahrung bereitstellen würde, zu verzocken. Nun spielen wir aber ein anderes Glücksspiel, das klassischste aller Kartenspielen „Arschloch", da wir mit dem Kartenregal im Hintergrund nicht still sitzen konnten. Man sollte, wenn man hier denn Karten spielen möchte, aber auf jeden Fall darauf achten dass man sie vorher sortiert um nach verlorenen Karten zu suchen. Nach langjähriger Nicht-Benutzung kann sowas ja auch mal passieren.
Ihr wollt natürlich unbedingt wissen, wie teuer die Getränke nun waren, aber wir erfuhren es auch erst ganz zum Schluss beim Bezahlen. Für Zwei Euro bekommt ihr bei „Karizma" ein Becks, mehr Infos habe ich leider auch nicht. Nehmt diesen Preis sowie die Ungezwungenheit dieses Ortes als größtes Argument ins „Karizma" zu kommen. Nur hier könnt ihr so stressfrei und ruhig euer Feierabendbier zippen wie es die alten Männer so tun.
Von Xenia MillerZum Original