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Der Mann hinter dem Wunder

"Das Wunder von Kärnten", ein auf einer wahren Begebenheit beruhender Film über die Rettung eines Mädchens durch einen jungen Klagenfurter Arzt vor 15 Jahren, erhielt einen internationalen Emmy. Der Lebensretter von damals erinnert sich. 

(Die Presse)                                            

Seit drei Jahren liegt Katharinas künstliche Doppelgängerin im hintersten Winkel des Filmlagers. Ein Dummy, wie es in der Kinosprache heißt, eine der vierjährigen Leinwandheldin nachgeformte Puppe aus Kunststoff und Silikon. Einem Mädchen aus Fleisch und Blut wären bei den Wiederbelebungsversuchen des Filmvaters alle Knochen geborsten. Der Körper der Plastik-Katharina musste also dieselbe Elastizität besitzen wie jener der lebendigen, damit der Brustkorb unter den Händen nachfederte. „Auf eine grausliche Art und Weise echt" sei dieser Dummy, sagt Filmproduzent Klaus Graf heute. „Die Haut hat sich kalt angefühlt, wie die eines toten Kindes." Nach dem Dreh habe er die Puppe keine Sekunde länger ansehen können und auf der Stelle verräumen lassen. Graf ist zweifacher Vater. „Ja, man denkt auch an seine eigenen Kinder", sagt er.


Als die Produktionsfirma Graf vor mehr als drei Jahren mit den Dreharbeiten zum „Wunder von Kärnten" begann, hätte sich keiner der Beteiligten träumen lassen, dass der Film 2013 in New York die höchste Auszeichnung für eine TV-Produktion einheimsen würde: den internationalen Emmy. Zu schwierig sei das Thema, dachte Graf. Doch die auf einer wahren Begebenheit aus dem Jahr 1998 beruhende Geschichte über den erfolgreichen Kampf um das Leben eines in einem Teich ertrunkenen Mädchens war von Anfang an erfolgreich. Schon bei der ersten ORF-Ausstrahlung bangten mehr als eine Million Österreicher mit. „Das Thema hat eine ungeheure Aktualität", sagt Graf. „In diesem Alter hat das Wasser eine ungeheure Anziehungskraft auf kleine Kinder." Im besten Fall, so hofft er, bewege der Film Eltern dazu, Pools und Teiche besser abzusichern. „Wir lesen jedes Jahr von ertrunkenen Kindern." Nicht immer gibt es ein Happy End wie bei der kleinen Katharina.


In Wirklichkeit heißt Katharina Michaela, sie ist heute eine junge Frau. Vor 15 Jahren stürzte sie in einen Teich nahe dem elterlichen Anwesen in Unterkärnten und trieb eine halbe Stunde ohne Luftzufuhr unter Wasser. Mediziner unter Führung des jungen Oberarztes Markus Thalmann holten sie im LKH Klagenfurt zurück ins Leben. Heute wollen die Gerettete und ihre Eltern nicht öffentlich darüber reden. Die Familie habe, erzählt Graf, zwar der Verfilmung zugestimmt, darüber hinaus aber jeden Kontakt verweigert. „Ich wollte mich mit ihnen treffen, aber sie haben abgelehnt", sagt Graf. Auch jetzt, nach dem weltweiten Erfolg der Verfilmung, gebe es von ihnen „keine Reaktion. Ich weiß nicht einmal, ob sie den Film gesehen haben."

Das reale Vorbild. Davon geht Markus Thalmann aus. Er ist das reale Vorbild für jenen jungen Oberarzt im Film, der im Landeskrankenhaus Klagenfurt eine Nacht lang um das Leben des Mädchens kämpft. Längst hat er Klagenfurt verlassen, seit zehn Jahren operiert der Herzchirurg im Krankenhaus Hietzing.


In einer Pause zwischen Frühbesprechung und Morgenvisite schlendert der 47-Jährige durch die Station und schwärmt von dem Film. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass er der Familie nicht gefallen hat. Vor allem der Charakter der Mutter ist gut getroffen", sagt er. 2011, kurz vor Beginn der Dreharbeiten, habe er das letzte Mal mit ihr telefoniert. Dem Mädchen gehe es gut. „Nach der Operation musste sie noch einige Male in stationäre Behandlung. Aber sie hat keine gravierenden Schäden davon getragen", sagt er.


Thalmann ist im OP angekommen. Es ist kurz vor neun, der Operationstisch ist für den ersten Eingriff des Tages bereit. Bald soll der Patient in den Saal gerollt werden, an der Eingangstür steht eine Traube junger Ärzte. Das öffentliche Interesse an Thalmann irritiert sie. „Krieg ma ein Autogramm, Herr Doktor?", stichelt einer. Thalmann lächelt. Eifersüchteleien und Eitelkeiten, meint er, gebe es überall. An seiner guten Laune ändert das nichts.


Den Anstoß für die Verfilmung gab Thalmann selbst. Jahre nach dem Unfall berichtete er für ein internationales Fachmagazin über die Operation. Der „New Yorker" griff den Fall auf und widmete Thalmann einen langen Artikel, der zufällig Grafs Kompagnon Sam Davis in die Hände fiel. Die Filmemacher wurden hellhörig. Graf kontaktierte Thalmann, der keine Einwände gegen eine Verfilmung hatte und sich sogar als medizinischer Berater zur Verfügung stellte.


Er selbst habe kein Problem damit, dass die meisten Rahmenhandlungen im Film erfunden sind. Etwa, dass er sich mit seinem Stellvertreter heftige Wortgefechte geliefert habe, weil der das Mädchen sterben lassen wollte. Tatsächlich hätten alle Ärzte an einem Strang gezogen. Der Männerkonflikt, sagt Thalmann, sei aber aus dramaturgischen Gründen notwendig gewesen. Er sollte die inneren Kämpfe verdeutlichen, die er mit sich ausgetragen habe: Wäre es nicht besser, das Mädchen sterben zu lassen? Was, wenn sie am Ende im Wachkoma läge? Im Nachhinein gesehen hat er sich richtig entschieden. „Erst nach der Operation sind die Emotionen aus mir herausgebrochen." Im Film geht er dann in sein Dienstzimmer, stellt sich unter die Dusche und weint. Und das war nicht erfunden. „Das", sagt Thalmann, „war in Wirklichkeit genauso."


("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2013)

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