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"Man wird wie ein Gegenstand behandelt": Was Hostessen auf Messen erleben

Jung, hübsch, weiblich - es gibt wenige Jobs auf der Welt, bei denen derart offen kommuniziert wird, dass es hauptsächlich um das Aussehen geht, wie bei Messe-Hostessen. Was das Model für ein Produkt auf der Plakatwand macht, sollen Hostessen oft im wahren Leben schaffen: Aufmerksamkeit lenken.

Doch während Models den Menschen vor dem Fernseher selten begegnen, sind Hostessen direkt mit den potentiellen Kunden konfrontiert. Und nicht selten scheinen die Kunden zu verwechseln, was an einem Messestand angepriesen wird - und versuchen ihr Glück bei der Frau und nicht mit dem Produkt.

"Ein etwa 50-jähriger Anzugträger kommt näher, mustert mich, von oben bis unten, und blättert dann im Info-Flyer. Ich gehe auf ihn zu, um ihn über den Messestand zu informieren. Er wirkt erfreut über meinen Anblick, aber verwundert über meine Fachkenntnis: 'Ach, du weißt wirklich Bescheid. Ich dachte ihr seid eher nett anzusehen.' Dann schiebt er mir seine Nummer rüber. 'Melde dich doch mal nach der Arbeit', sagt er mit einem Zwinkern."

So schildert Aya eine typische Begegnung bei einer Hamburger Messe. Aya* ist 25, studiert und hat vor kurzem zum ersten Mal als Hostess gearbeitet.

Messen sind in Deutschland eine eigene Industrie mit einem Umsatzvolumen von rund 3,7 Milliarden Euro in 2017 und fast 10 Millionen Besuchern bei überregionalen Veranstaltungen ( Statista). Zum Vergleich: Deutschlands größter Freizeitpark, der Europapark Rust, hat nur 5,6 Millionen Gäste.

Was macht es also mit Millionen Besuchern, wenn auf Messen vorrangig junge, hübsche Frauen über Produkte informieren sollen?

Aya sagt, sie fühle sich von vielen Besuchern nicht ernstgenommen - einige glaubten ihr nicht einmal, dass sie studiert.

Darauf kommt es aber auch für ihren Auftraggeber nicht an:

Sprachkenntnisse seien bei der Online-Bewerbung zwar erwünscht, aber nicht notwendig gewesen. Notwendig waren dagegen Fotos und Angabe zu Gewicht und Größe.

Sie und ihre Kolleginnen sind alle hübsch, schlank, Mitte 20. Ihre vorgeschriebene Arbeitskleidung sind kurzer Rock, hohe Schuhe, figurbetonte Bluse.

Aya schätzt, dass in der Messehalle rund 85 Prozent männliche Besucher waren - die meisten Frauen waren junge Hostessen. Das führe zu einem Klima, in dem sich die Männer überlegen fühlen: Mal witzeln sie über die jungen Frauen, mal steckten sie ihnen die Nummer zu oder machen zweideutige Anspielungen. Manchmal alles zusammen.

"Man wird wie ein Gegenstand behandelt - rumdrehen, gut aussehen", beschreibt Hostess Cassy aus Berlin, während "Messebesucher gaffen und flirten".

Auch Pädagogin Pia hat während des Studiums als Hostess gearbeitet. Sie beobachtete, dass die Anmachen sich häufen, wenn Alkohol fließt. Sowas wie " Hey Süße, lass uns was trinken und später kommst du mit mir", wiederholt sie. Auf einer Messe in Amsterdam machte sie deshalb unbemerkt Feierabend und schlich sich heimlich aufs Zimmer. Keiner der Messegäste sollte wissen, wo sie schlief. "Ich hatte Angst, dass sie mir folgen."

Jennifer, ebenfalls Studentin, berichtet sogar von dem sexuellen Übergriff eines Kollegen in Salzburg. Die 24-Jährige war während einer Messe in einem Hotel einquartiert worden. Einmal ging sie mit dem Team essen, danach wollten sie den Tag im Hotelzimmer ausklingen lassen. Dabei waren nur noch ihre Freundin und ein Kollege. Dieser hatte den ganzen Abend über versucht, mit ihr zu flirten. Sie ging nicht darauf ein. Doch als die Freundin den Raum verließ, drückte er sie plötzlich aufs Bett und versuchte sie zu küssen.

Nur ein übermütiger Kollege? Auch Aya erzählt, dass ihr Vorgesetzter am Messestand sie abends zu sich einlud. Cassys Chef in Berlin bestand hartnäckig darauf, die junge Frau nach Feierabend zu treffen. Es klingt so, als ob sich das sexistisch aufgeladene Messeklima nicht nur auf die Besucher, sondern auch auf männliche Kollegen und Chefs auswirkt.

Kann das sein?

Sandra Schwark forscht als Sozialpsychologin an der Universität Bielefeld über sexuelle Gewalt sowie Belästigung und Geschlechterstereotype. Sie kritisiert, dass gerade auf Messen sexistische Frauenbilder projiziert und Hostessen dadurch objektifiziert werden. "Die Optik steht hier über der Kompetenz", sagt Schwark. Weil die Frauen nach äußeren Kriterien eingestellt werden, sehen Männer es als "Freifahrtschein", sie dementsprechend zu behandeln. Schwark sieht sexuelle Belästigung zwar als gesamtgesellschaftliches Problem, "auf Messen wird diese Belästigungskultur aber extremer ausgelebt."

Es kommt zur Rollenverschiebung: Eine Studentin wird auf der Messe nicht mehr als diese wahrgenommen. "Keiner erwartet, dass die sich thematisch auskennt", erklärt Schwark. Die Frau ist nichts weiter als ein attraktives Objekt, dem sowohl das Menschsein als auch jegliche Fachkenntnis abgesprochen wird. Das präge das gesamte Messeklima und erkläre auch die Übergriffe von Kollegen und Vorgesetzten.

Zu den Aussagen der Expertin passen auch die Befragungsergebnisse des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Hier wird sexuell belästigendem Verhalten eine Doppelfunktion zugesprochen: Sex und Macht. Auch Hierarchien am Arbeitsplatz könnensexuelle Belästigung begünstigen. ( Bundeszentrale für politische Bildung) Beides lässt sich auf Messen übertragen: Chefs und Besucher demonstrieren ihre höhere Stellung gegenüber den Hostessen und nutzten somit ihre Machtposition aus.

Welche Lösung schlägt die Expertin vor?

Um sexueller Belästigung auf Messen entgegenwirken, rät die Sozialpsychologin, neue Einstellungskriterien zu definieren. Außerdem müsse man etwas an der Darstellung der Hostessen - wie der oft fragwürdigen Arbeitskleidung - ändern. " Sobald man den 'Sex sells'-Gedanken verwirft, werden die Hostessen wieder anders wahrgenommen", meint Schwark, denn "ihre Aufgabe sollte es sein, über das Produkt zu informieren - nicht sexy daneben zu stehen." Sie schlägt vor, eine allgemein gültige Verpflichtung wie eine Art Messekodex zu erarbeiten. Darin könnte zum Beispiel stehen, dass "Frauen nicht als Objekt, sondern vollwertige Messeangestellte" gesehen werden. Natürlich sind derartige Guidelines und Broschüren nur ein Schritt, ein weiteres Zeichen dafür, dass sich eine Gesellschaft langsam wandelt, dass das Verhältnis zwischen Männern und Frauen nicht mehr das gleiche ist wie noch in den 50er Jahren.

Für Cassy könnte das aber zu langsam sein. "Ich kann den Job nicht mehr allzu oft machen. Da habe ich einfach keine Lust drauf!" sagt sie.

Der einzige Vorteil, den sie heute hat:

Es gibt immerhin schon Branchen, in denen sie noch etwas anderes sein darf, als ein Objekt.
 
*Die Namen der gekennzeichneten Hostessen sind geändert.
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