Benito Mussolini war für Adolf Hitler ein strahlendes Vorbild. Und nicht nur für ihn: Auch viele national gesinnte Intellektuelle begeisterten sich hierzulande früh für den italienischen Faschistenführer.
Mussolini sei einer der "Großen dieser Erde", schreibt Hitler im zweiten Band von Mein Kampf, und seine "Entschlossenheit, Italien nicht mit dem Marxismus zu teilen, sondern das Vaterland vor ihm zu retten", weise auch Deutschland den Weg: Jeder Versuch, die nationale Größe Deutschlands wiederherzustellen, müsse scheitern, solange man nicht beginne, "der marxistischen Schlange einmal für immer den Kopf zu zertreten".
Als Hitler diese Worte zu Papier brachte, lag sein Putschversuch vom November 1923 fast drei Jahre hinter ihm. Schon damals hatte er es Mussolini gleichtun wollen, der 1922 mit seinem "Marsch auf Rom" die Macht an sich gerissen hatte. "In dieser Zeit", heißt es in Mein Kampf, "faßte ich die tiefste Bewunderung für den großen Mann südlich der Alpen, der in heißer Liebe zu seinem Volke mit den inneren Feinden Italiens nicht paktierte, sondern ihre Vernichtung auf allen Wegen und mit allen Mitteln erstrebte."
Sätze wie dieser bestätigen das Urteil des deutschen Historikers Wolfgang Schieder, Hitler habe "keinen zeitgenös- sischen Politiker so vorbehaltlos anerkannt" wie den faschistischen Diktator Benito Mussolini. Bis zum Ende währte die Hochachtung des "Führers" vor dem "Duce", von dem er wichtige Impulse erhalten hatte.
Der Transfer von Ideen und Symbolen umfasste dabei mehr als nur die Einführung des saluto romano als "Deutschen Gruß" in der NSDAP 1926: Der Faschismus als spezifisch gewalttätige Politikform mit charismatischem Führertum und mythenbefrachteter Weltanschauung wurde insgesamt zum Leitbild. Immer wieder betonten Anhänger der beiden Regime die "innere Verwandtschaft" ihrer "Bewegungen". Und tatsächlich verlief die Entwicklung über weite Strecken parallel.
Dennoch war es keineswegs selbstverständlich, dass Italien zum Vorbild für den deutschen Ultranationalismus wurde. Der Faschismus, der sich von 1919 an unter der Führung des abtrünnigen Sozialisten Mussolini formierte, berief sich auf lateinische Wurzeln. Die deutsche Rechte hingegen war traditionell antirömisch eingestellt - in den Augen der Völkischen bildete der Limes die Grenze zwischen ihrer "germanischen Kultur" und der verhassten "westlichen Zivilisation".
Zudem hatte Mussolini 1915 Italiens Kriegseintritt aufseiten der Entente begrüßt. Mit der großdeutschen Bewegung gab es Konflikte um Südtirol, und selbst nach 1933 kam es noch zu Verstimmungen, als sich Mussolini dem katholisch inspirierten Austrofaschismus annäherte. Seit den Römischen Protokollen 1934 fungierte Italien gar als Schutzmacht Österreichs gegen deutsche Anschlussbestrebungen. Umgekehrt belieferte die deutsche Industrie Italiens Kriegsgegner Abessinien 1936 mit Waffen.
Stärker als alles Trennende aber war das Verbindende: Nach dem Ersten Weltkrieg fühlte sich Italien um die Früchte des Sieges betrogen und klagte über die vittoria mutilata, den "beschädigten Sieg". Wie das Deutsche Reich sah man sich zum Paria degradiert. Das brachte nationalistische Intellektuelle beider Nationen in Wallung: Enrico Corradini entwickelte die These von der "proletarischen Nation" Italien, während Arthur Moeller van den Bruck für die Deutschen das "Recht der jungen Völker" proklamierte.
Vor allem aber wurde der italienische Faschismus interessant für die deutsche Rechte, weil er so erfolgreich war. Ohne sein Vorbild wäre die NSDAP eine von vielen völkischen Sekten geblieben. Erst die Übernahme der italienischen Doppelstrategie eines durch Terror flankierten "legalen" Machterwerbs brachte den Durchbruch. Für Schieder ist diese Strategie ein wesentliches Kennzeichen faschistischer Bewegungen: "Einerseits drohten sie mit Bürgerkrieg, andererseits versprachen sie, diesen zu vermeiden, wenn man sie nur an der Macht beteiligte."
Mussolinis "Marsch auf Rom" und Hitlers " Machtergreifung" 1933 ähneln einander in vieler Hinsicht. Beide Diktatoren inszenierten ihre Regierungsübernahme als "nationale Revolution", kamen aber tatsächlich im Bündnis mit den alten Eliten an die Macht: Mussolini wurde von König Viktor Emanuel III., Hitler von Reichspräsident Paul von Hindenburg in sein Amt eingesetzt. Paramilitärische Aufmärsche und Führerkult prägten die Ästhetik in beiden Ländern. Und wie die faschistische Freizeitorganisation Opera Nazionale Dopolavoro stieß in Deutschland das Freizeitwerk Kraft durch Freude auf das klassische Terrain der Arbeiterbewegung vor. Durch diese Integration der Massen und durch ihre modernen Propagandatechniken hoben sich die Regime am deutlichsten vom alten Konservatismus ab.
Um ihre Ziele durchzusetzen, griffen beide zu blanker Gewalt. Sie zerschlugen die unabhängigen Gewerkschaften und schalteten die sozialpolitisch radikalen Flügel ihrer Partei aus. Zugleich vermieden es Hitler und Mussolini, sich mit den wirtschaftlichen Eliten anzulegen. Auch mit dem Vatikan arrangierten sie sich: Mussolini schloss 1929 die Lateranverträge ab, Hitler 1933 das Reichskonkordat.
Gemeinsam hatten sie nicht zuletzt ihre Feinde - Marxismus und Liberalismus -, und beide glaubten an die "rassische" Überlegenheit ihrer Nation. Der Rassismus richtete sich dabei in Italien in erster Linie gegen die Balkanvölker und die Afrikaner. Zu Hunderttausenden fielen sie Mussolinis Imperialismus zum Opfer. Der Antisemitismus hat hingegen nie eine so wichtige Rolle gespielt. 1938 drängten zwar auch in Italien entsprechende Gesetze die Juden aus der Öffentlichkeit, die Shoah aber blieb die entscheidende Differenz: Sie war - trotz italienischer Kollaboration - ein genuin deutsches Verbrechen.
Auch in anderer Hinsicht gingen die Deutschen ungleich radikaler und brutaler vor. Der Übergang zur Diktatur vollzog sich in Deutschland schneller als in Italien, wo es Mussolini erst 1925 wagte, die Opposition auszuschalten. Die NSDAP verschmolz Staat und Partei zudem sehr viel konsequenter. In Italien besaß der Staat eine Restautonomie; Königshaus, Vatikan und Wirtschaft bewahrten ihren Einfluss.