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Feature

Sarah gegen Goliath

Lange hat die Modeindustrie das Handwerk mit Massenware und Spottpreisen vor sich hergetrieben. Eine Münchner Taschenmanufaktur dreht den Spieß jetzt um – dank Olivenleder mit Erfolg.
Leder hat einen schlechten Ruf. Zu Recht, weiß Stefanie Trevisan. Sie ist Expertin für nachhaltiges Produktdesign und berichtet von möglichen Gefahren der konventionellen Lederherstellung. Darüber, dass weltweit 85 Prozent des Leders mit Chromsalzen gegerbt werden. Dass Gerbverfahren in Bangladesch, Indien und den anderen Hotspots der Textilproduktion ein enormes Risiko für Mensch und Umwelt darstellen. Und dass das auch für Käufer hierzulande gefährlich ist. „Auf ein Kilogramm Leder kommen in der Produktion in der Regel zwei Kilogramm Chemikalien, die bei Hautkontakt auf den Menschen übergehen können“, sagt Trevisan
Dem Impuls, angesichts solcher Informationen sofort jedes Fitzelchen Tierhaut aus dem eigenen Kleider- und Schuhschrank zu entfernen, folgen die wenigsten. Maßgeschneiderte Lederschuhe symbolisieren Geld und Stilempfinden. Die Lederjacke steigert den Coolness-Faktor. Und die Lieblingstasche ist auch aus Leder.
Sarah Jungbauer kennt die Bedenken. Im Februar hat sie sich mit ihrer Taschenmanufaktur selbstständig gemacht. Nicht trotz, sondern wegen der Bedenken. Denn während die Lederindustrie regelmäßig Negativschlagzeilen produziert und viele ihrer Kunden zumindest unterschwellig ein schlechtes Gewissen haben, heißt Jungbauers Lösung Olivenleder.
„Ich habe mich ganz bewusst für Olivenleder entschieden“, sagt die 27-jährige Münchnerin. „Bei der Gerbung wird auf Chemie verzichtet, das Leder kommt aus der Region und ist biologisch abbaubar.“ Denn der Gerbstoff wird aus den Olivenblättern hergestellt, einem Abfallprodukt, das bisher meist verbrannt wird. Für die Olivenbauern bedeutet das eine zusätzliche Einnahmequelle. Und für die Umwelt eine enorme Erleichterung: Kein CO 2 beim Verbrennen. Weder Salze noch Chemikalien, die in indische Flüsse geleitet werden. Keine Hauterkrankungen bei Käufern von Jungbauers Taschen. Und keine Umweltbelastung, wenn diese Taschen irgendwann recycelt werden.
Jungbauer ist eine organisierte Frau, die gerne gut vorbereitet ist. Sie hat ihr BWL-Studium abgebrochen, um eine Ausbildung zur Sattlerin zu absolvieren. In Australien arbeitete sie auf einer Rinderfarm. Es folgten Fortbildungen in Reutlingen und Florenz, in München war sie in einer Lederwerkstatt tätig – und Erfahrungen aus jeder dieser Stationen flossen in die Gründung der Manufaktur ein.
An der Werkbank im eigenen Wohnzimmer entstehen nun kleine Kunstwerke. „Taschen sind für mich die ideale Kombination aus handwerklichen Grundlagen und kreativem Schaffen“,sagt die 27-Jährige. Jedes Stück ein Unikat, abgestimmt auf die Vorstellungen der Kunden. Der Onlinehandel macht’s möglich. Genau diese Kunden legen immer mehr Wert auf Nachhaltigkeit. Das Olivenleder bildet deshalb den Schlussstein in Jungbauers Businessplan.
„Schon jetzt könnten wir 40 Prozent des weltweiten Lederbedarfs mit der verfügbaren Menge an Olivenblättern gerben“, erklärt Thomas Lamparter von der Firma „Wet-Green“. 700 Millionen Quadratmeter Leder wären das pro Jahr. Wet-Green hat den Olivengerbstoff entwickelt und beliefert neben Sarah Jungbauer auch Hugo Boss, Lidl und BMW. Eine generelle Skepsis führe dazu, dass weitere Kunden noch zögern, sagt Lamparter. Doch er sieht Fortschritte: „Dass sich kleine Manufakturen wie Sarah Jungbauer jetzt besser vermarkten, setzt die Großen unter Druck.“ Nachhaltige Projekte gibt es schon länger, sie waren allerdings kaum sichtbar. „Die neue Präsenz bei Instagram und Facebook sorgt dafür, dass zurückhaltende Firmen nachziehen.“
Denn das Argument, eine nachhaltige Produktion rechne sich nicht, gilt immer weniger. Jungbauers handgearbeitete Taschen haben ihren Preis. Sie findet jedoch: „Es gibt Marken, die unter ökologisch und sozial fragwürdigen Bedingungen produzieren – und trotzdem weit mehr kosten.“ Solange sich das nicht ändert, ist Jungbauer der Lederindustrie einen Schritt voraus. „Ich habe das Gefühl“, sagt sie, „die Menschen lernen regionales Handwerk zunehmend wieder zu schätzen.“