Im U-Bahn-Aufgang stehen Männer mit Bierflaschen, Plakate der AfD in
Sichtweite und nur ein paar Meter weiter wurde "Hood Love" an die
Betonwand gesprayt. Dort, im Schatten eines 16-stöckigen Hochhauses,
kämpft ein rotes Feuerwehrauto für die Demokratie.
Am 15. März finden in München drei Wahlen statt: Oberbürgermeister, Stadtrat und Bezirksausschüsse werden neu bestimmt. Doch über den aktuellen Stadtrat stimmten 2014 gerade einmal 42 Prozent der Münchnerinnen und Münchner ab. 80 Stimmen zu vergeben, die kumuliert und panaschiert werden können, ist eine Herausforderung. Eine große Herausforderung. Knapp 9.000 der abgegebenen Stimmzettel waren ungültig. München musste etwas tun.
Doch die Parteien alleine können das Problem nicht lösen. Und hier kommt Theresa Baum ins Spiel: Sie ist verantwortlich für das Demokratiemobil, ein ehemaliges Feuerwehrauto, das heute vor der Stadtbibliothek Hasenbergl steht. Dort, im Stadtbezirk Feldmoching-Hasenbergl, war die Wahlbeteiligung 2014 münchenweit am geringsten: 36,1 Prozent. Und genau da möchte Theresa Baum ansetzen.
Die Angst vorm Wählen nehmen
Es braucht einen sehr großen Schritt, um über den
"Darf-ich-wählen"-Check zu springen. Übersehen kann man ihn nicht. Baum
und ihre ehrenamtlichen Helfer haben die rosa Pfeile direkt am Eingang
der Bücherei auf den Boden geklebt. Hier klärt sich: "Wie alt muss ich
sein?" und "Brauche ich einen deutschen Pass?". Ein kluger Schachzug:
Wer Medien ausleihen will, die Infotheke sucht oder eine Jacke aufhängt,
muss dort vorbei und sich entscheiden. Die einen, Blick aufs Handy,
Kopfhörer in den Ohren oder ein gemurmeltes "Ich habe es eilig", gehen
einfach weiter. Alle anderen hören die Frage: "Gehen Sie wählen?"
Seit 2017 fährt das Demokratiemobil des Kreisjugendrings durch Münchens Stadtviertel. Zu Anfang hatte man die Erstwähler im Sinn, heute sind alle Altersgruppen eingeladen, mitzumachen. Langjährige Nichtwähler, 16-Jährige, die gerne wählen würden, und diejenigen ohne deutschen Pass, die als EU-Bürger bei Kommunalwahlen trotzdem abstimmen dürfen – sie alle bekommen Erklärungen und Diskussionsanstöße, aber keine Parteiinhalte. Wen man wählt, muss jeder selbst entscheiden. Beim Demokratiemobil geht es um das Wie. Dem strandtuchgroßen Stimmzettel soll seine angsteinflößende Wirkung genommen werden.
Kommunalwahlen verlieren offenbar an Bedeutung
Kommunalwahlen sind ein großes Rätsel. Die Stimmen beeinflussen das eigene Leben so direkt wie bei keiner anderen Wahl: Hundekot im Park, die laute Nachbarskneipe, mehr Parkplätze oder weniger. Über diese Themen wird jeden Monat in den Bezirksausschüssen debattiert. "Trotzdem werden Kommunalwahlen oft als 'Nebenwahlen' angesehen", weiß der Politikwissenschaftler Dr. Martin Gross. "Die Verantwortung wird übergeordneten politischen Ebenen zugeschrieben." Wenig Bedeutung führt zu leeren Wahllokalen.
Wenn das Demokratiemobil am Dienstagmorgen, Freitagabend oder
samstags zur Mittagszeit seinen Stand aufbaut, bleiben mindestens 250
Menschen stehen. "An guten Tagen auch mehr", sagt Organisatorin Theresa
Baum. "Wir müssen nur immer wieder klar machen, dass wir keine Partei
sind", lacht sie. Dann plötzlich zeigten viele Interesse.
Kommunalwahl: Ja oder Nein? Der Kreisjugendring hat viele Menschen zum Umdenken und Wählen bewegen können. (Quelle: Kreisjugendring München-Stadt)
Baum lässt die Besucher des Demokratiemobils mit Tischtennisbällen abstimmen. Aussage 4 lautet: "Ich finde das Kommunalwahlverfahren viel zu umständlich." – Weiß heißt "Nein", Orange heißt "Ja", ein Plastikeimer dient als improvisierte Wahlurne.
Einige orangefarbene Tischtennisbälle sind es auch heute. Doch nach fünf Minuten Gespräch ersetzt so manch weißer Ball einen orangefarbenen und Theresa Baum hört die Stehengebliebenen sagen: "Jetzt habe ich kapiert, wie's geht – und gehe auch wählen!"
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